Melanie Winter

Gebrannte Mandeln und ein ausgebrannter Weihnachtsmann


Скачать книгу

ction>

      Melanie Winter

      Gebrannte Mandeln und

      ein ausgebrannter Weihnachtsmann

      Kurzgeschichte

      Impressum

      Texte: © Copyright by Melanie Winter

      Umschlag: © Copyright by Melanie Winter

      Verlag: Melanie Winter

      Michelangelostraße 1

      01217 Dresden

      [email protected]

      Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

      Berlin

      Weihnachtszeit, oh schöne Zeit!

      Wie das Menschenherz sich freut

      Wenn im Ofen Plätzchen backen

      Nussknacker die Nüsse knacken

      Wenn es draußen stürmt und schneit

      Ist es wieder Weihnachtszeit.

      Weihnachtszeit, du schöne Zeit!

      Wie das Bäckerherz sich freut

      Wenn im Laden Stollen liegen

      Voller Butter und Rosinen

      Hüftspeck, der lang haltbar bleibt

      -länger als die Weihnachtszeit.

      Weihnachtszeit, oh teure Zeit!

      Wie sich der Verkäufer freut

      Tüten werden immer schwerer

      Kontostände gleichsam leerer

      Man kauft, und wo Leere bleibt

      Ist im Regal der Weihnachtszeit.

      Weihnachtszeit, du schöne Zeit

      Friede und Gemütlichkeit

      Licht im Dunkel, Stress und Hetze

      -eine Zeit der Gegensätze

      Denk daran, bald ist‘s soweit

      Auch nächstes Jahr zur selben Zeit.

      Kapitel 1: Vorglühen

      Weiße Schneeflocken fielen sanft vom Himmel und bedeckten die Erde mit einer puderzuckerartigen Schicht. Jede Art von Lärm wurde verschluckt, alles wurde ruhig und entschleunigt. In der Ferne hörte man die Kirchenglocken läuten. Wer in der einsetzenden Dämmerung noch auf den verschneiten Straßen unterwegs war, konnte nicht anders, als an den beleuchteten Fenstern kurz inne zu halten und das Weihnachtsgefühl in sich aufzunehmen. Schwibbögen, Pyramiden, Räuchermänner, Weihnachtssterne, Lichterketten - in keinem Monat war es zu Hause so warm und gemütlich wie im Dezember, wenn es draußen dunkel und kalt wurde.

      Wenn dann der Heiligabend immer näher rückte, wurde die Vorfreude der Kinder zunehmend grösser. Kaum konnten sie es erwarten, das letzte Türchen am Adventskalender zu öffnen- und von ihrer Vorfreude wurden auch die Erwachsenen angesteckt.

      Zumindest hielt die Vorfreude eine kleine Weile an. Nämlich genau so lange, bis die ständige Weihnachtspräsenz in den Medien, der fünfte Besuch auf dem Weihnachtsmarkt, die unzählbare Menge verdrückten Plätzchen, Lebkuchen und Stollen und die an jeder Straßenecke ho-ho-ho rufenden Weihnachtsmänner selbst dem allergrößten Weihnachtsliebhaber zu viel wurden.

      Nicht ohne Grund war Weihnachten schließlich auf einen relativ kurzen Zeitraum am Ende des Kalenderjahres begrenzt -auch wenn die Verfügbarkeitsperiode weihnachtstypischer Produkte mittlerweile bereits im September beginnt.

      Die Weihnachtszeit, die wirklich schlimmste Zeit des Jahres, wurde immer weiter ausgedehnt. Seufzend nahm Santa den Löffel und rührte in seinem Kaffee. Eine Weile beobachtete er, wie der entstandene Strudel immer langsamer rotierte und die Flüssigkeit schließlich zur Ruhe kam, unbewegt, still. Ein hellbrauner Kaffeeteppich in seiner Tasse.

      Doch Santa selbst kam nicht zur Ruhe. Ständig musste er erreichbar sein. Kurze Pausen wie diese hier waren rar gesät und umso kostbarer, je näher die Adventswochen kamen. Dabei begann Santas Weihnachtszeit nicht erst am Jahresende, ja nicht einmal erst im September wenn die ersten Schokoladenweihnachtsmänner in den Supermarktregalen standen.

      Nein, Santas Weihnachtszeit war strenggenommen ganzjährig und ein Vollzeitjob. Denn immerhin war er der Weihnachtsmann. Also nicht einer der Weihnachtsmänner, die in Agenturen oder als Freiberufler arbeiten, Ende November wie Sternschnuppen aufblitzen und ebenso schnell, spätestens jedoch mit Beginn des neuen Jahres verschwunden waren. Sondern Santa war der echte Weihnachtsmann. Also derjenige, der unter anderem dafür sorgte, dass zu Weihnachten die Geschenke rechtzeitig zu ihrem Besitzer fanden (auch wenn inzwischen zumindest die älteren Kinder davon überzeugt waren, dass die Geschenke von ihren Eltern besorgt wurden -und diese nutzten den Glauben ihrer Zöglinge schamlos für erzieherischen Erpressungsversuche und taten dementsprechend auch nichts, um diese Annahme richtig zu stellen).

      Und das bedeutete eine Menge Verantwortung. Nicht nur für die Werkstatt, obwohl das schon reichen würde, immerhin war Santa der mit Abstand größte Arbeitgeber der arktischen Region. Aber das war vergleichsweise wenig Potential für Sorgen und Probleme, denn seine Wichtel waren sehr zuverlässig und zudem in Gewerkschaften und Arbeitsgruppen so gut organisiert, dass Santa im Prinzip lediglich einmal wöchentlich einen Rundgang durch die Werkstatt machen und die Produktionsberichte gegenzeichnen musste. Viel mehr Ärger bereitete ihm das Zeitmanagement.

      Ein Jahr hat 365 Tage, alle vier Jahre sogar einen mehr. Genug Zeit also, Wunschzettel zu katalogisieren, die Produktion zu starten und die Geschenke pünktlich zu Beginn der Weihnachtszeit zu verpacken und zu verschicken. Sollte man meinen. Aber was sich in der Theorie so einfach darstellt, ist in der Realität oft viel komplizierter. Zum Beispiel die immer frühere Verfügbarkeit von Adventskalendern. Santa war heute erst im Supermarkt an einem Regal mit mehreren verschiedenen Schoko-Adventskalendervarianten vorbei gelaufen- und es war gerade mal Anfang Oktober! Es wurde zunehmend schwieriger für seine Wichtel, da mithalten zu können, denn alle Rohstoffe für die Produktion bauten sie selbst an, und Rohstoffe wie Kakaobohnen, Holz und Färbepflanzen brauchen Zeit zum Wachsen. Und auch die Medien waren ihm ein Dorn im Auge. Neulich lief im Sommerloch ein Weihnachtsfilm im amerikanischen Fernsehen. Wie soll da noch Weihnachtsfreude aufkommen, wenn es endlich richtig Weihnachten ist? Und nicht zuletzt, neben den ganzen organisatorischen Schwierigkeiten, hatte Santa mittlerweile auch ein Imageproblem, und daran war der gutgläubige weißbärtige Mann auch noch selbst Schuld. Warum nur hatte er dem Wunsch des jungen Softdrink-Produzenten nur damals nachgegeben… er hätte es besser wissen müssen. Immerhin hatte er jahrelang die immer illusorischeren Wunschzettel des heranwachsenden Jungen erhalten. Was dann Anfang des 20. Jahrhunderts mit seinem Weihnachtsmannportrait als simpler Werbeträger für Coca-Cola begann, hatte sich zum Selbstläufer in eine für ihn völlig falsche Richtung entwickelt.

      Kurz gesagt, Santa war mit seiner Kraft am Ende. Der letzte freie Tag war Jahre her, an einen richtigen Urlaub konnte er sich kaum erinnern. Trotz der zuverlässigen Wichtel, die ihm halfen und ihn unterstützten wo sie nur konnten, trotz einfacherer Lieferwege, Santa war völlig ausgebrannt.

      Seufzend rührte er seinen Kaffee erneut um und ging im Kopf seine To-do-Liste durch. Doch irgendwann bei Punkt 745 wurde er stutzig und schaute auf. Lebkuchen und Adventskalender im September- okay. Aber lief da wirklich gerade >Last Christmas< im Radio?

      Kapitel 2: Ein Rentier kommt selten allein

      Kaum hatte Santa seinen Kaffee ausgetrunken, klopfte es an der Tür. Ein kurzes >>Herein<< war eigentlich unnötig, genau wie das Anklopfen, denn jeder wusste um die ständige Erreichbarkeit Santas, aber die Wichtel waren von Natur aus ein sehr höfliches Volk. Die schwere Eichentür öffnete sich mit einem lauten Knarren und der Wichtel trat ein.

      >>Hallo