Gunter Preuß

-Grauer- -Adane-


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       Da hörte er ein Mädchen in die Hände klatschen, zaghaft, dann wieder und kräftiger nun, und noch einmal. Und ein anderes Händeklatschen kam dazu, härter und fordernder schon, ein drittes schloss sich an, und dann klatschen alle, und es war, als würde die Flut das Wrack heben und noch einmal hinaus aufs Meer tragen.

       Der Künstler musste den Kopf schütteln und lächeln, er öffnete die Augen, griff sicher das Kätzchen, das aufschrie und seine Krallen in seine Hand drückte, sich dann aber unter der Jacke an seine Brust schmiegte und nur noch leise jammerte.

       Dem Mann gelang es, heil nach unten zu kommen. Die Mädchen traten heran, die Jungen folgten zögernd, alle wollten die Katze sehen, und einige streichelten das Tier.

       Nun wurden dem Mann doch die Knie weich, er setzte sich neben der Tür auf eine Eichenbank, der die Zeit, außer Einkerbungen und Sprayfarben, nichts hatte anhaben können. Und unvermittelt, ohne seinem jungen Publikum eine Brücke zu bauen, begann er zu erzählen.

      1.

      Wenn der Frühling kommt, ist es, als spielte ein alter Wanderer auf seiner Geige. Es sind hoffnungsfrohe Melodien; sie locken die Sonne in den Himmel und lassen es licht und warm werden.

      Diese Geschichte begann, als erste Töne fein und zart alles Lebendige bewegten. Leuta, ein Dorf, zu dem eine Handvoll Häuschen, der Gasthof „Zur Sonne“, eine winzige Kirche und ein Altersheim gehörten, wurde munter.

      Der Winter war lang gewesen, und Leuta hatte wie von der Zeit vergessen zwischen steil aufragenden Sandsteinfelsen und Fichten und Buchenwäldern versteckt gelegen. Die alte Kätzin hatte den Winter in der Gaststube auf der Bank am Ofen verbracht. An den dunklen Abenden hatten sich hier die Männer des Dorfes zusammengesetzt, Bier und Schnaps getrunken und ein paar Worte gewechselt. Die Kätzin hatte mit halb geöffneten Augen wohlig geschnurrt, sich hin und wieder gestreckt und die Pfoten geleckt. Selten nur, wenn die Gaststube leer blieb, hatte der sehnige schwarzbärtige Wirt, den die Dörfler „Mexikaner“ nannten, die Kätzin in Stall und Schuppen gescheucht. Dann hatte sie einer Maus aufgelauert, sie getötet und dem Wirt vor die Haustür gelegt.

      „Bist doch noch zu was nütze, alte Dame“, hatte der Mexikaner gutmütig gesagt, und die Kätzin war auf die Ofenbank zurückgesprungen. Das war ein faules Katzenleben, aber „Bunte“, wie die Kätzin von ihren Leuten gerufen wurde, gerade recht für die kalten lichtlosen Tage und Nächte.

      An diesem Frühlingsmorgen hielt es Bunte nicht mehr aus auf der Ofenbank. Sie lief nach draußen, mitten unter die flügelschlagende Hühnerschar, buckelte und streckte sich in der warmen Sonne.

      Die alte Paula, die schon zu Kaisers Zeiten gelebt und zwei Weltkriege überstanden hatte, legte die Federbetten aufs Fensterbrett. Sie wandte ihr runzliges, klein gewordenes Gesicht der Sonne zu, hielt ganz still und lauschte. Schließlich klopfte sie mit beiden Händen auf die Betten und sagte lächelnd: „Du alte Schwindlerin. Willst es mir wohl jung ums Herz machen. Aber hab Dank, dass du mich noch einmal besuchst.“

      Bunte sah zur Alten hinauf und maunzte.

      „Was stehst du herum, dummes Tier“, sagte die alte Paula wie zu einem Kinde. „Gerechter Gott, wenn ich noch so gut auf den Beinen wäre. Geh, lauf, Bunte. Sieh nur, wie schön der Tag wird.“

      Die Kätzin rannte über den Hof, blieb am offenstehenden Tor stehen, kehrte schließlich um und legte sich auf einen Stapel Holz in die Sonne.

      Der Gasthof „Zur Sonne“ stand am Weg, der von der Ebene steil herauf und durchs Dorf führte. Hinter Leuta wurde der Weg immer schmaler, bis er sich in vielen Pfaden in den Wäldern und zwischen den Felsen verlor. Für die Dörfler war er die einzige Verbindung zur „Welt“. Sie nannten ihn „Bahnhofstraße“ und besserten schnell jedes Loch aus, das der Frost oder ein Wolkenbruch aufgerissen hatte. Stand der Wind günstig, trug er ihnen Nachricht aus der Ebene zu, den Pfiff des Zuges und vom Fluss die Sirenenlaute der kleinen weißen Dampfer. Die Leutaer fühlten sich wohl in der Einfachheit und Stille „bei uns hier oben“. Aber pfiff im Frühjahr ein Zug, und die Dampfer schwammen wieder, stand mancher von den jungen auf der Bahnhofstraße, sah in die Ebene hinunter und seufzte. Die Älteren nannten das „Sehnsuchtskrankheit“ und lächelten; das würde vergehen, und die Jungen würden sich an das zurückgezogene Leben im Dorf gewöhnen, wie sie es auch getan hatten.

      Der Gasthof war, wie die meisten Häuser Leutas, ein altes Fachwerkhaus, das Paula und ihr Mann Henry einst aus Lehm, Holzbalken und Schieferschindeln gebaut hatten. Henry ruhte schon lange unter der steinigen Erde des Dorffriedhofs. In seinen jungen Jahren war er Holzfäller beim Grafen Sörne gewesen, dem die Wälder hier gehört hatten. Er hatte den Wald geliebt und verstanden, mit Holz umzugehen. Für Paula, das „Stieglitzchen“, die Tochter des Bauern Kranz, hatte Henry das schönste und größte Haus im Dorf bauen wollen. Das größte Haus war es nicht geworden, denn Henry verdiente beim Grafen nur ein paar Groschen, die gerade so fürs Lebensnotwendige reichten. Vom Bauern Kranz hieß es, er sei so geizig, dass er nach dem Besuch des sonntäglichen Gottesdienstes zur Kollekte nur abgerissene Hosenknöpfe in die Büchse steckte. Als Mitgift gab er seiner Tochter Paula abgelegenes Bettzeug und einen Spruch mit, den er bei jedem Anlass flink über die Zunge gehen ließ: Verschwendung ist die größte Gotteslästerung.

      Aber wohnlich war Henrys und Paulas Haus geworden, und seine Bewohner hatten gern Gäste gesehen. Schon damals, an den langen Winterabenden, trafen sich hier die Waldarbeiter und ihre Frauen. Es wurde über die harte Arbeit und den kargen Lohn geschimpft, Federn gelesen, Sachen ausgebessert, Äxte geschärft, ein paar Glas selbst aufgesetzter Hagebuttenwein getrunken und, wenn der Tag nicht zu schwer gewesen war, ein Lied vom Frühling gesungen. Viel sprach man über die kommende Zeit, die einmal besser werden müsste für die armen Leutaer.

      In Henrys und Paulas Haus träumten die Frauen und Männer laut: Der eine wollte ein Sägewerk erbauen, der andere seine sieben Kinder regelmäßig zur Schule schicken, und der nächste wünschte sich eine Kuh, die ihm die Feldarbeit erleichterte und gute Milch abgab. Henry sprach von einem Gasthof, der aus seinem Haus entstehen sollte. Sie suchten gemeinsam einen Namen für den Gasthof, nannten ihn schließlich „Zur Sonne“ und lachten froh über das schöne Bild, das in ihren Gedanken sichtbar geworden war.

      Auf die Erfüllung ihrer Träume mussten sie lange warten. Henry hatte mit den Männern in den Krieg ziehen müssen, und wer nach all den Jahren wiederkam, war noch ärmer als zuvor.

      „Lass nur, Stieglitzchen“, sagte Henry zu Paula, „wir schaffen's. Noch sind wir nicht alt.“

      Aber auch jetzt mussten sie jeden Groschen dreimal umdrehen, bevor sie ihn ausgeben konnten. Von Jahr zu Jahr kam ein Kind dazu, sechs Söhne und fünf Töchter, die wie junge Vögel ständig ihre Schnäbel aufsperrten und schrien. Drei von den Kindern starben. Der Arzt wohnte weit weg in der Ebene, er war alt und kam nicht mehr gern in die Dörfer, wo ihn nur stiller Vorwurf und Bitterkeit erwartete.

      In Berlin, so hörten die Leutaer, war ein „starker Mann“ an die Macht gekommen. Wieder einmal hofften sie auf bessere Zeiten, und manch einer der Leutaer trat in die Regierungspartei ein, präsentierte sich in Uniform und Stiefeln und sprach mit schnarrender Stimme, dass man es „denen“ nun zeigen würde.

      Es dauerte nicht lange, und die Männer Leutas mussten wieder in den Krieg, der furchtbarer war als alle vorhergegangenen.

      Als das Grauen schließlich ein Ende gefunden hatte, warteten viele der Frauen vergeblich auf ihre Männer und Söhne. Auch Henry und drei seiner Söhne kehrten nicht aus dem Krieg zurück. Das Land wurde gespalten in West und Ost, und hier kamen Arbeiter an die Regierung, sie sagten „Nie wieder Krieg“, und die Leutaer schöpften neue Hoffnung. Vieles lag in Schutt und Asche, es kamen harte Jahre des Wiederaufbaus.

      Langsam wurde mancher in Henrys Haus laut gewordene Traum Wirklichkeit: Ein jeder fand Arbeit, konnte sich kleiden, ausreichend essen und trinken, es stand nicht nur eine Kuh im Stall, und die Kinder konnten regelmäßig die Schule besuchen. Paulas Kinder, längst flügge geworden, waren in