Olaf Kolbrück

Keine feine Gesellschaft


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sein Übergewicht zuließ, ging er an Eva vorbei zur Gartenbox, die in einer Ecke des Grundstücks von zwei Apfelbäumen eingerahmt wurde.

      Wim Voss zog einen hölzernen Stab aus der Sicherheitsverankerung, die verhindern sollte, dass der Deckel vom Wind hochgehoben wurde.

      »Wann kaufst du endlich mal ein Schloss dafür? Der Plunder darin muss doch hunderte Euro wert sein«, warf sie ihm hinterher.

      »Ach, Eva, immer so misstrauisch. Kleingärtner sind ehrliche Menschen. Wer soll denn da was klauen? Sie haben Schippen und Scheren doch selbst. Und einen Rasenmäher schleppt so schnell keiner weg.«

      Was so nicht ganz stimmte, wusste Eva. Die Kleinkriminalität im Speckgürtel rund um Frankfurt wurde zunehmend zu einem Problem. Wenn auch vor allem für die Grundstücksspekulanten. Die Autodiebstähle und Wohnungseinbrüche drückten auf die Preise. Die stiegen zwar immer noch. Aber nicht so schnell, wie sich das manch einer wohl erhoffte. Wim dürfte indes von den Kleinkriminellen unbehelligt bleiben. Er sah nicht aus wie jemand, bei dem etwas zu holen war. In seiner Kleidung, die selbst bei der Altkleidersammlung noch aussortiert worden wäre, sah er immer noch aus wie kurz nach der Haftentlassung. Der bunte Farb- und Stilmix – zu einer olivgrünen Hose trug er ein zitronengelbes Hemd mit grünen Querstreifen – ließ ihn zusammen mit seiner vorgeschobenen Wampe aussehen wie ein Clown im Varieté. Ein zu kurz geratener Clown. Voss war einen Kopf kleiner als Eva.

      »Ich habe mich lange genug mit solchen Oberflächlichkeiten abgegeben, die einem nur Zeit stehlen«, hielt er gerne jenen vor, die ihn deshalb schräg ansahen. Sein altes Leben sei Teil seiner Karma-Prüfung gewesen. Das habe er hinter sich gelassen. Nun sei er hier, um sein Karma zu reinigen. So redete er jedoch nur im Kleingarten, was aber auch daran liegen konnte, dass er überall in den Beeten und jeder denkbaren Ecke und Nische seines Refugiums Buddha-Figuren aufgestellt hatte, die nun wie fernöstliche Gartenzwerge vor sich hin meditierten. Sie hatten zudem für Verdruss gesorgt, weil eines Tages der Kleingartenvorstand bei ihm am Zaun stand und seine Buddha-Figuren als unpassend für eine Kleingartenanlage deklarierte, weil sie zu sehr nach religiösem Veranstaltungsort aussahen. Wim Voss war der Schreck in die Glieder gefahren. Der Vorstand galt als kleinlich. Sein Glück war, dass die Herren trotz aller Mühen keine Stelle in der Kleingartensatzung finden konnten, die sich gegen Buddhas im Beet und andere Figurendarstellungen wandte. Die Buddhas konnten bleiben.

      Er sammelte aber keine Karmapunkte, wenn es um seine Gartengerätschaften ging. Da war er ein Snob. Nur vom Feinsten. Einige Zangen hatte er sich für seine Zwergenhände sogar eigens anfertigen lassen. Wahrscheinlich war es also eher eine Abneigung gegen Schlösser. Was nicht so ganz unverständlich wäre, dachte Eva.

      Sie hörte, wie er schwungvoll den Deckel der Holzbox anhob. Es gab ein langes, seufzendes Knarren, als sei der Winter soeben aus seinem letzten Versteck vertrieben worden.

      Es folgte ein langgezogenes »Eva«.

      Eva stand schneller neben Wim als sie sich selbst zugetraut hätte. Schweigend starrten sie in die Box. Die Gerätschaften waren durcheinander gefallen wie ein morscher Haufen Mikado-Stäbe. Darauf lag mit verrenkten Gliedern eine Leiche, die in Anzug und Krawatte selbst unter anderen Umständen einen eigenartigen Kontrast zur Umgebung des Kleingartens geboten hätte.

      Der Körper des Mannes, Eva schätzte ihn auf Mitte 30, lag dort wie ein zusammengekauertes Kätzchen, das jemand auf den Sperrmüll geworfen hatte. Ein Schuh war offenbar verloren gegangen. Am linken Fuß sah Eva nur eine schwarze Socke. Zwischen den angewinkelten Beinen ragte ein Rechen heraus. Die Aufschläge des Sakkos, offensichtlich eine gute Qualität, hingen schlaff zu Seite. Ein Knopf fehlte. Die Arme waren seltsam hinter dem Kopf verwinkelt. Die Lage hatte selbst im Tod noch etwas Unbequemes.

      Voss drehte sich angeekelt zur Seite und brummte etwas Unverständliches. Er ging hustend ein paar Schritte zurück. »Und so was kannst du dir in aller Ruhe ansehen?«

      Natürlich. Dieses alberne Klischee, dass Kommissare immer wieder Probleme beim Anblick von Mordopfern hätten. Solche Kommissare gab es nur in Vorabendserien. Leichen waren für sie und ihre Kollegen genauso Routine wie Aktenordner für einen Buchhalter. Solange der Tote nicht seit Monaten in einer Wohnung ausdünstete, war das eigentliche Grauen eher der Blick auf die Banalität des Bösen. Der Blick in die Seelen der Mörder, deren Tat manchmal ein gequälter Ausbruchsversuch war, ein Hilferuf, für den Eva Ritter zuweilen sogar so etwas wie Verständnis aufbrachte.

      Sie sagte nichts und scannte die Leiche weiter mit einem routinierten Blick, stets auf der Suche nach verräterischen Details. Sie machte das automatisch, wie sie sich mit wachsender schlechter Laune eingestand. Schließlich hatte sie all dem hier den Rücken gekehrt. Trotzdem registrierte ein Programm in ihr alle Einzelheiten.

      Der Kopf des Toten war in den Nacken gefallen und schien ein an den Rand gelehntes Stück Kaninchendraht anzustarren. Die Gesichtsfarbe erinnerte Eva an vertrockneten Fisch. Das Gesicht war blutverschmiert. Dem Aussehen nach zu urteilen lag der Mann noch nicht lange da. Sie starrte weiter in die Box hinein. Das Blut wirkte leicht klebrig. Die Züge des Gesichts kamen ihr bekannt vor. »Ich komme schon noch darauf.« Neben ihr verlor Wim für einen Moment seinen Gleichmut und keifte wie eine Amsel, die man vor einen Katzenkorb gebunden hatte. »Scheiße. Scheiße. Scheiße.«

      Eva war bereit, ihm Recht zu geben. Auch wenn sie der Anblick nicht ekelte. Sie wollte einfach keine Leichen mehr sehen. Mordopfer hatten immer etwas Unwürdiges. Der gewaltsame Tod war unwürdig. Der Ermordete war aus der Bewegung herausgerissen und der letzte Gedanke in einem Moment der Überraschung eingefroren, die flüchtende Seele hinterließ stets einen Fußtritt auf dem Gesicht, wenn sie sich aus dem Körper herauswand.

      »Ich hab da nichts mit zu tun. Wer hat mir den bloß da rein gelegt? So was kann man doch nicht machen.«

      »Mörder sind da nie sehr wählerisch. Nicht, wenn sie es eilig haben. Rücksichtsvoll sind sie auch nicht. Sie nehmen keine Rücksicht auf unsere Pläne. Das haben sie mit dem Schicksal gemeinsam.«

      Vor drei Monaten hatte sie den Dienst als Kriminalober-kommissarin quittiert. Ihr war schon das ganze Jahr klar gewesen, dass ihre Muskeln nicht mehr so richtig mitspielten. Sie war langsam geworden. Das Training schwänzte sie, weil sie dabei eine immer erbärmlichere Figur machte. Auch wenn sie vor möglichen Ursachen die Augen verschloss, waren ihr dennoch die Konsequenzen klar gewesen. Sie war nicht mehr fit genug für den Außendienst. Doch bevor man sie mitleidig ins Archiv oder in die deprimierende Innenrevision steckte, weil sie eines Tages selbst für einen flüchtigen Rentner an Krücken zu langsam sein würde, hatte sie lieber frühzeitig die Konsequenzen gezogen.

      Sie hatte sich auf halbwegs geregelte Arbeitszeiten in ihrem neuen Job bei der Wirtschaftsberatung Roger & Berger als Risk Management Consulter gefreut und darauf, nie wieder prüfend vor einer Leiche zu kauern. Obwohl es auch bei Roger & Berger und deren Kunden Leichen gab. Karteileichen, Leichen im Keller, und Geschäftspartner von Geschäftspartnern, die so leblos waren, dass sie wahrscheinlich schon tot geboren worden waren. Und wenn sie ein Lebenszeichen von sich gaben, war ihr Lächeln so frisch, wie dreimal chemisch gereinigte Kochwäsche.

      Aber dafür waren diese Manager auch immer wieder überrascht wie kleine Kinder, wenn sie ihnen klar machte, dass es neben den üblichen Foulspielen auch den immer weiter wachsenden Risikofaktor Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsspionage gab. Neben der Überprüfung der Lebensläufe wichtiger künftiger Mitarbeiter und der Sicherheitsmaßnahmen war es vor allem ihr Job, dem Management klar zu machen, wie sich das Unternehmen präventiv gegen Spionage und Sicherheitsrisiken wappnen konnte und wie der Vorstand bei der Ermittlung strafbarer Handlungen vorgehen musste. Und es machte sogar Spaß, weil alle an Ergebnissen interessiert waren und nicht bürokratisch nach Kosten oder Formularen fragten.

      Mit solchen Leuten konnte man umgehen. Auch wenn ihr diese Manager sonst häufig vorkamen, wie mit der Schablone gepresst. Blasse Gestalten, die funktionierten wie programmiert. Aber der Umgang mit ihnen war ihr inzwischen lieber, als fragend in die kalten Augen einer Leiche zu starren, die ihr immer wie umgedrehte Fragezeichen erschienen. Sie hatte gehofft, dass sie nie wieder versuchen müsste, aus diesem letzten Ausdruck die Erinnerung an den Mörder herauszulesen. Das Schicksal hatte es offenbar anders gemeint. Sie würde