Elisa Scheer

Ein Haus mit Vergangenheit


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brauchst auch Leute, mit denen du abends weggehen kannst.“

      Allmählich musste ich diesen Bernhard mal näher kennen lernen – er hatte Mama ja richtig verwandelt: Früher hatte sie immer an meinem Privatleben herumgemeckert und gefunden, ich ginge zu viel weg, ich sollte mir endlich einen soliden Mann zum Heiraten suchen... Und nun benahm sie sich wie eine weise Freundin! „Mama, du bist richtig gut drauf, finde ich. Dein Bernhard hat einen prima Einfluss auf dich, ich muss ihn loben. Die Idee mit den Kontakten ist nicht schlecht. Außerdem kennen die vielleicht auch gute Handwerker oder haben Projekte für uns...“

      „Babsi, geh ins Bett. Du denkst ja schon im Kreis – hast du gar nichts anderes im Kopf als euer Büro?“

      „Solange wir nicht den fetten Umsatz machen, bestimmt nicht. Aber ich glaube, oben liegt irgendwo noch die Abizeitung herum, ich werde sie mir als Einschlaflektüre holen.“

      Ich wühlte in meinem Teeniezimmer herum. Kopfschüttelnd sah ich mir das vollgestopfte Regal an. Was hatte ich da nur alles aufgehoben? Ich fand einige alte Bravos – ob die antiquarischen Wert hatten? -, ein Tagebuch aus dem Jahr 1984 (erste Liebe, Gott, war ich dämlich gewesen!), jede Menge Pferdebücher und einen Zettel, auf dem in Buchstaben aus lauter Blümchen stand Conny ist eine selten blöde Kuh. Ich grinste. Daran hatte sich nun wenig geändert! Wahrscheinlich hatten wir beide davon geträumt, ein Einzelkind zu sein.

      Unter einem Stapel Modezeitschriften (hatte ich so etwas jemals gelesen? Ich konnte mich überhaupt nicht erinnern!) fand ich schließlich, was ich gesucht hatte: die Abizeitung. Santa Maria! ABI 88, war das lange her!

      Ich nahm sie mit in meinen Keller und zündete mir eine Zigarette an. Eigentlich brauchte ich ja nur die Adressenliste, die Gabi Zünth angeblich auf dem neuesten Stand halten sollte. Nach fast dreizehn Jahren konnte man das wahrscheinlich vergessen.

      Ich wollte nur ganz kurz durch die Charakteristiken blättern, aber natürlich las ich mich sofort fest und nickte schließlich darüber ein. Ich schaffte es gerade noch, mich auszuziehen, mir die Zähne zu putzen und die Abizeitung aus dem Bett zu werfen. Was wohl aus denen geworden war? Meine beste Freundin Saskia war nach Hamburg gezogen und lebte immer noch dort, soweit ich wusste. Gott, war ich müde....

      Ich nahm die Abizeitung und die Fotoalben am nächsten Morgen gleich mit ins Büro, um sie dort in meinen Schreibtisch einzuschließen. Vorher zeigte ich sie noch Simon, der sie zwar interessant fand, aber nicht recht verstand, was uns das bei der Sanierung nützen sollte, da kaum Details des Hauses zu sehen waren.

      „Aber Simon – so sieht man doch, dass das Haus eine Geschichte hat! Was es alles schon gesehen haben muss! Und was diese beiden Familien miteinander zu tun hatten, möchte ich schon brennend gerne wissen. Das kriege ich auch noch raus!“

      „Na gut, wenn es dir Spaß macht – aber zuerst musst du mal beim Pavillon vorbeischauen! Ich habe von einem Wettbewerb gehört, der hinter dem Rathausplatz eine Baulücke schließen soll, daran sollten wir uns unbedingt beteiligen.“

      Ich hatte meine Villa sofort wieder vergessen. „Wo genau?“

      „Kennst du Herrenmoden Harprecht? Daneben steht doch so ein Behelfsbau aus der Schwarzmarktzeit.“

      „Der mit der Billigbuchhandlung drin? Die, die nur Remittenden und Restposten führt?“

      „Ja, genau. Der Behelfsbau muss weg, und die Nachbarhäuser sind stilistisch schwer einzuordnen. Ich schaue heute mal ins Stadtarchiv, die haben doch eine gewaltige Fotosammlung, vielleicht finde ich den Originalbau.“

      „Gute Idee, aber hast du in meinem Regal schon geschaut?“

      „Glaubst du, du hast etwas?“

      „Schauen wir mal!“

      Ich hatte eine hübsche Sammlung dieser vom Städtischen Archiv herausgegebenen Bildbände mit alten Fotos, und wir blätterten eine vergnügte halbe Stunde lang herum. Schließlich schrie Simon auf.

      „Hier! Ich glaube, das ist es, oder?“

      „Zeig! Ja, das Nachbarhaus scheint zu stimmen. Sag mal... wenn du doch eh in die Stadt gehst...“

      Simon seufzte. „Was soll ich besorgen?“

      „Lass das Seufzen, ich hab dich noch nie gebeten, etwas für mich einzukaufen!“

      „Stimmt, ich bin das eben von Tanja gewöhnt.“

      „Deine Frau?“ Bis jetzt hatte er mir nicht einmal ihren Namen verraten.

      Er brummte. „Was soll ich also besorgen?“

      „Eine gute Digitalkamera, dann könnten wir die Fotos gleich auf die Rechner spielen und weiterbearbeiten. Und vielleicht kannst du gleich einen Packen Fotopapier für den Drucker mitbringen und Software zur Bildbearbeitung. Kriegst du das hin?“

      „Die Kamera auf jeden Fall. Bei der Software – sollten wir da nicht erst einmal jemanden fragen, der sich damit auskennt?“

      „Du klingst wie die Werbung für die Gelben Seiten. Du weißt doch, was wir von dem Programm erwarten! Und es muss mit ArchDesign kompatibel sein, das reicht doch erst einmal. Eine Netzwerkversion, denk dran!“

      „Ja, und ich vergesse auch nicht, mir detaillierte Quittungen für Doris geben zu lassen. Doof bin ich auch nicht, Babsi!“

      „Hat das etwa jemand behauptet?“

      Er warf mir einen gereizten Blick zu und brach auf. Heute war er aber schlecht drauf, fand ich. Kunststück, das Wochenende nahte, er wollte sicher allmählich heim zu seiner Tanja.

      „Frau Knaur? Halten Sie bitte die Stellung, ich muss auch weg. Gegen Mittag komme ich zurück. Notieren Sie bitte alle Anrufe, ja?“ So, jetzt hatte ich sie sicher auch gekränkt, indem ich ihr solche Selbstverständlichkeiten auftrug. Heute war anscheinend nicht mein Tag! Ich verzog mich an den Fuggerplatz.

      Die Fundamente waren mittlerweile fertig, eine gewundene Betontreppe führte aus dem Nichts nach unten. Sehr gut, das war für den künftigen Laden ein günstiger Lagerraum. Ich besprach mich mit den Maurern, um ihnen die Abmessungen der Eckpfeiler noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Auch sie wirkten leicht genervt. Behandelte ich heute denn jedermann wie ein kleines Kind? Von einem Fettnapf in den nächsten?

      „Wir kennen die Pläne, Frau Lenz. Aber zuerst sollten wir doch mal die Decke gießen lassen, nicht?“

      „Ja“, seufzte ich. „Tut mir Leid, wenn ich so übereifrig wirke, aber das ist unser erstes Projekt, und ich möchte doch, dass alles perfekt wird.“

      „Schon gut. Bis jetzt klappt doch alles ausgezeichnet. Passen Sie auf, morgen Nachmittag könnte die Decke fertig sein, dann dürfen Sie uns mit Ziegelsteinen eine Ecke als Muster legen, wenn Sie das beruhigt.“

      Ich musste lachen, obwohl ich den leisen Verdacht hatte, dass mich der Polier nicht ernst nahm.

      „Gut, morgen schaue ich wieder vorbei.“

      Im Vorbeigehen holte ich Fotos ab und brachte wieder zwei Filme weg, dann trabte ich zum Rathausplatz und suchte die bewusste Baulücke. Tatsächlich, wir hatten das Original in dem Bildband gefunden! Ich fotografierte die Lücke und alle Details der beiden Nachbarhäuser, eines war hellblau, eines rosa, beide mit weiß-grauem Stuck verziert und zarten silbernen Details. Wie wäre es nun mit creme oder hellgelb? Oder grau? Der Stil war schwer einzuordnen, Klassizismus oder spätes Biedermeier? Offenbar waren die beiden vorhandenen Häuser etwa um 1860 herum entstanden. Hofeinfahrt, seitlicher Hauseingang, Hintergebäude. Hintergebäude? Ich trabte durch die hellblaue Hofeinfahrt und fotografierte auch den Hauseingang und die Rückfronten, außerdem die Nebengebäude. Dabei musste ich an die wunderschönen Passagen in Salzburg denken, zwischen Getreidegasse und Universitätsplatz. So etwas zwischen zwei alten Häusern zu konstruieren! Ich notierte es gleich, damit wir die Idee verwenden konnten, falls sie zufällig einmal passen sollte. Noch einige Aufnahmen des ganzen Ensembles, um damit spielen zu können. Wir brauchten die exakten Geschosshöhen der Nachbarhäuser - und die Pläne wären nützlich. Hausnummern… um die Eigentümer