langsam. „Aber ich schwöre Ihnen beim Leben meines Pferdes, mit keinem Menschen von Ihnen gesprochen zu haben, und es niemals zu tun, solange Sie es wünschen, mein Herr!“ Sie schlug die Augen nieder. Dadurch konnte sie nicht sehen, dass es nun er war, der sie erstaunt ansah. Allerdings spürte sie, wie er sich entspannte. Spürte seinen Atem, der ruhiger wurde und sie wie ein zartes Streicheln auf der Stirn streifte.
„Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich bin nervös, müde und ...!“
„Hungrig!“, ergänzte Philippine. „Lassen Sie mich die Nahrungsmittel auspacken!“ Sie wollte aufstehen, doch der junge Herr hinderte sie daran.
„Warte! Ich bringe sie her. Wir werden hier gemeinsam essen. So bin ich sicher, dass du mich nicht vergiften willst.“ Zwinkernd schob er einen zweiten Stuhl und den Tisch heran. Und kaum hatte Philippine um sich geschaut, war er wieder da, packte Speck, Butter, Eier und Brot aus. Nebenbei sagte er hektisch:
„Dein Pferd ist weg. Ich habe es nicht gesehen als ich durch den Vorhang spähte.“
„Vraem hat die Angewohnheit, auf der Lichtung zu grasen, während ich im Haus bin.“ Das Mädchen holte ein Messer aus der Schnalle an ihrem Gürtel und schnitt den Speck.
„Gib mir das Messer! Ich werde das Brot schneiden. Den dicken Laib kriegst du halbe Person nicht klein. Erzähle mehr von dir und deinem interessanten Pferd.“
„Nun, solange das Gras noch saftig ist und voller Kleeblätter und Löwenzahn, frisst Vraem recht vergnügt und vergisst die Welt um sich herum. Sie würde niemals fortgaloppieren.“
„Hmm!“, machte der junge Mann. „Und was ist mit dir? Würdest du am liebsten fortlaufen? Ich meine, vor deinem Elternhaus davonlaufen.“ Hungrig schob er sich Speck und Brot auf einmal in den Mund. Hastig schälte er das Ei und biss genussvoll hinein. Das Mädchen gewann den Eindruck, er habe seit Wochen nichts gegessen. Gebannt sah sie zu, wie er Speck und Eier vertilgte, das Brot regelrecht hinunterwürgte. Ganz in seinen Anblick vertieft vergaß sie völlig, selbst zu essen. Obwohl er eher wie ein Tier alles verschlang und nichts von der guten Kinderstube aufwies, die er als Kind aus adeligem Haus sicherlich hatte, fand das Mädchen ihn schön. Alles an ihm gefiel ihr. Die schmalen Hände, die hohe blasse Stirn, in die dunkle Locken fielen, die wachen Augen und dieser Mund, hinter dem alles Essbare verschwand. Sie hätte ihn den ganzen Abend, die ganze Nacht, ja ein ganzes Leben nur ansehen mögen. Ihr aufgerissener Blick irritierte den jungen Herrn.
„Starr mich bitte nicht so an! Iss und erzähle von dir, damit ich nicht ganz im Dunkeln tappe.“
Schüchtern griff Philippine zu. Sie nahm ein kleines Stückchen Speck, biss vom Brot, schälte ein Ei.
„Von mir gibt es nicht viel zu erzählen. Ich bin ein gewöhnliches Landmädchen.“
„Nun, so gewöhnlich bist du nicht. Du hast ein schönes Pferd, bringst üppig zu essen. Ich nehme an, dein Vater ist kein Hungerleider.“
Seufzend wischte er sich die Hände an der Hose ab und nahm vom Cidre. Er trank ihn aus dem Tongefäß.
Gläser gab es natürlich nicht. Ein zufriedenes Lächeln trat auf seine Lippen. Er lehnte sich im Stuhl zurück und sah das Mädchen eine Weile an, ohne etwas zu sagen. Unter dem durchdringenden Blick seiner dunklen Augen erschauderte Philippine. Es war nicht Furcht, eher furchtsame Erwartung eines unbekannten Ereignisses. Unerklärlicherweise fühlte sie sich zu diesem Fremden hingezogen. Nichts außer seiner Schönheit sprach dafür, ihm zu vertrauen. Er war auf der Flucht, er hatte Angst und es schwebte der Verdacht des Mordes über ihm. Im Bann ihrer Überlegungen war Philippine die Veränderung in seinem Blick entgangen. Sie bemerkte es erst, als er sagte:
„Was auch immer dein Vater für ein Handwerk betreiben mag, es hilft ihm, seine Familie gut zu ernähren. Später wirst du einen rechtschaffenen Mann heiraten und sollten sich die vermaledeiten Zustände unseres Landes verbessern, wird es dir recht gut gehen.“
„Werde ich mit diesem Fuß jemals einen Mann finden?“ Sie zeigte auf die Missbildung. Verblüfft warf der Jüngling die Arme hoch.
„Lieber Himmel, ein Mann schaut nicht auf deinen Fuß. Er schaut in dein Gesicht und das ist schön. Dein Haar ist herrlich. Noch bist du ein Kind, aber wenn du erst einmal zur Frau gereift bist ...“ Schelmisch zwinkerte er ihr zu. Dann schnellte er plötzlich hoch und rief:
„Es ist Zeit für dich heimzukehren. Der Abend ist sehr dunkel heute. Es wäre mir nicht recht, stoße dir etwas zu, denn ich erwarte dich morgen zurück. Verberge gut dein Haar und dein Gesicht.“ Er half ihr aus dem Sessel.
An der Tür zwirbelte Philippine ihr Haar zu einem Dutt und wickelte ein Tuch um Kopf, Kinn und Mund. Auf ihren leisen Pfiff hin tauchte Vraem aus der Dämmerung.
„Ein wirklich schönes Tier!“, bemerkte der Edelmann anerkennend.
„Und der beste Wächter. Würde jemand ums Haus streunen, wären wir sofort gewarnt.“
„Dann solltest du mir die Stute lassen, Landmädchen.“
„Das würde ich, wäre es möglich. Doch Vraem wird nicht bei Ihnen bleiben.“
„Schönes und treues Tier. Bis morgen!“ Er begleitete sie nicht bis zu ihrem Pferd, sondern blieb im Dunkeln hinter der Tür stehen bis sie aufgestiegen und fortgeritten war.
Fast täglich ritt Philippine zum Landhaus. Da die Tage kälter wurden und die Nacht früher hereinbrach, schleppte sie Decken und groben, warmen Vorhangstoff für die Fenster herbei. Auf seine Bitte hin brachte sie auch Kleidung. Denn am Brunnen im Garten wusch er sich nicht nur, er spülte auch seine Leibwäsche dort aus und hing sie am Kamin zum Trocknen auf. Als er nach einer Woche ausstaffiert war, fragte er nach Werkzeugen, um die kaputten Scheiben durch Holzlatten oder Bretter zu ersetzen. Gerätschaften und Holz transportierte Philippine in einem Leiterwagen herbei, vor den sie Vraem spannte.
„Es ist mir unerklärlich wie du das alles mit deinem Bein zustande kriegst.“
„Was man gerne macht, ist ganz leicht!“, antwortete sie lächelnd.
„Nun gut! Wie aber erklärst du deiner Familie oder den Nachbarn diesen Aufwand? Werden sie nicht misstrauisch? Stellen sie nicht Fragen, wohin du damit willst?“ Er wies auf die Bretter.
„Was ich mag möchte ich schützen. Also fallen mir Erklärungen ein, die keine Zweifel zulassen.“ Sie lachte strahlend. Vielleicht war es dieses Lachen, vielleicht auch der Glanz in ihren Augen, das den jungen Mann bewog, sie zu bitten, künftig schon am Nachmittag zu kommen, um mehr Zeit mit einander verbringen zu können.
„Bist du auch ein Kind niederen Ranges, so schätze ich deine Gegenwart. Deine Gedanken sind reif, dein Herz ist kein Kinderherz mehr, und dein Verstand verblüfft. In den letzten Wochen habe ich dich beobachtet und studiert. Und ich habe beschlossen, dir meine Geschichte zu erzählen. Allerdings musst du mir ein weiteres Mal auf das Leben deines Pferdes schwören, niemandem davon zu berichten.“
„Immer und immer wieder schwöre ich Ihnen leichten Herzens, lieber Herr. Bis heute habe ich niemandem verraten, dass ich in diesem Landhaus Zuflucht gefunden habe. Nun werde ich es erst recht nicht tun. Es soll auf immer unser Geheimnis bleiben. Möge auch Gott niemandem verraten, dass wir hier sind.“
„Ob Gott uns gnädig ist, mag ich bezweifeln. Aber dir will ich glauben. Trotz deiner Jugend bist du unerhört klug!“ Wie zu Anfang forderte er sie auf, ins Innere zu treten und im Sessel Platz zu nehmen. Während sie es tat, schürte er die Glut und gab einige Holzscheite hinzu. Schließlich setzte er sich ihr gegenüber. Es war ein sonniger Spätnachmittag, der Abend ließ auf sich warten, doch aufgrund der abgedunkelten Fenster war der Raum schummrig. Das Feuer im Kamin wiederum erzeugte ein gemütliches Licht und die aufzuckenden Flammen gaben den Gesichtern der beiden jungen Menschen einen faszinierenden Schmelz. Philippine saß still und wartete ergeben. Sie hätte sogar die Augen niedergeschlagen, aber sie konnte seinem Anblick nicht widerstehen. Der Edelmann beugte sich ein wenig vor und sah dem Mädchen intensiv in die Augen.
„Du heißt Philippine, und ich nenne dich auch