Friedrich von Bonin

Der Lauf der Zeit


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      Das Buch:

      Seit seiner Schülerzeit liebt der schüchterne Bruno von Halcan Margarete Leuchtenfeld. In den fünfziger und sechziger Jahren geht er zur Schule, studiert in den Achtundsechzigern und wird Anwalt. Als er Erfolg hat, verlässt ihn Margarete. . .

      Neben der bildhaften Beschreibung einer Jugend in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erzählt der Roman von der Karriere seines Protagonisten und seinem Scheitern.

      Und von der hinreißenden Liebesgeschichte zwischen Bruno von Halcan und Margarete Leuchtenfeld.

      Der Autor:

      Geboren 18.08.1946 aufgewachsen in Emlichheim, Grafschaft Bentheim, Niedersachsen. Gymnasium in Nordhorn, 1966 Abitur.

      Studium der Rechtswissenschaft in Göttingen, 2. Juristische Staatsprüfung in Hamburg 1976.

      Seit 1979 selbständiger Rechtsanwalt, seit 1983 auch Notar, in Bremerhaven.

      Er lebt in Bremerhaven, ist verheiratet und hat keine Kinder.

      Anfänge schriftstellerischer Tätigkeit etwa 2004.

      Bisher sind von ihm erschienen:

      „Rudolf Mittelbach hätte geschossen“ (2012)

      „David, König der Israeliten“ (2012)

      Impressum

      ©Friedrich von Bonin 2014

      Verlag: epubli GmbH. Berlin, www.epubli.de

      ISBN 978-3-7375-6635-3

      Friedrich von Bonin

      Der Lauf der Zeit

      Roman

      Und es handelt sich darum, alles zu leben

      Leben Sie jetzt die Fragen,

      vielleicht leben Sie dann allmählich

      ohne es zu merken

      eines fernen Tages

      in die Antworten hinein.

      (Rilke an Kappus 1903)

      I. Spiel

      „Du hattest die Kreuz Dame!“, rief Heinrich Kanne aus, und zufrieden lachte Bruno von Halcan. „Natürlich ich, wer denn sonst?“ Sie spielten Doppelkopf und Bruno hatte die ganze Runde, alle drei Freunde, bis zur letzten Karte über sein Blatt im Unklaren gelassen. Er hatte erst zuletzt die zweite Kreuz Dame ausgespielt, dadurch die Gegenpartei irritiert, ein paar schöne Punkte gemacht und das Spiel gewonnen.

      Behaglich saß er zusammen mit seinen Freunden am Tisch. Das war Heinrich Kanne, sein alter Kommilitone aus Studientagen, jetzt Vorsitzender Richter am Landgericht, und immer noch, mit seinen mehr als fünfundvierzig Jahren blond, fast ohne graues Haar, das Gesicht schief und bartlos, schief deshalb, weil seine Nase sich zur einen Seite bog, während sein Mundwinkel auf der anderen Seite etwas nach oben gezogen war, als lächele er ständig. Die blauen, intelligenten und neugierigen Augen waren nicht mehr von der dicken Brille verdeckt, seit Heinrich Kontaktlinsen trug. Sie blitzten jetzt fröhlich, natürlich, denn er war Brunos Partner in diesem Spiel gewesen und heimste jetzt mit ihm gemeinsam die Punkte ein.

      Der Dritte in der Runde war Albert Praus. Auch ihn kannte Bruno seit den Studententagen. Albert hatte sich damals Bruno und Heinrich angeschlossen, klein, unscheinbar, mit einem blassen schmalen Gesicht und graubraun gesprenkelten Augen, die immer etwas furchtsam blickten und mit braunen Haaren. Albert war von Natur aus ängstlich und hatte gerne um die arroganten und selbstbewussten Kommilitonen geworben, bis sie ihn als Dritten akzeptierten. Inzwischen war er Direktor der örtlichen Sparkasse, war in diese Position gewissermaßen natürlich hineingewachsen, hatte doch schon sein Vater eine gleiche Stelle in einer Stadt in Süddeutschland bis zu seiner Pensionierung innegehabt. Schlank und schmal saß er da und sah seinen Partner, Guido Hamer, betroffen an. Sie hatten in diesem Spiel kräftig Punkte abgeben müssen.

      Guido Hamer war der Einzige unter den Freunden, den sie nicht aus den Zeiten des Studiums kannten, Architekt von Beruf, lang und hochgewachsen, mit kurzen schwarzen Haaren und dröhnendem Lachen war er eines Tages in das Büro Bruno von Halcans gekommen und hatte verlangt, dass Bruno ihn in einem Haftpflichtprozess vertrete. Er kannte Margarete, Brunos Frau, von früher und hatte deshalb Bruno besucht. Bruno hatte von Baurecht keine Ahnung und empfahl Guido einen Spezialisten, der ihn vertreten könnte. Sie waren aber dennoch ins Gespräch gekommen, hatten aneinander Gefallen gefunden und sich danach ab und zu getroffen, vor allem, weil Guido und Margarete sich gut verstanden. Als ein Mitspieler die alte Doppelkopfrunde verließ, schlug Bruno Guido vor und so trafen sie sich einmal im Monat. Margarete hatte der Verabredung gerne zugestimmt, war auch einverstanden, dass sie ab und zu in ihrem Hause spielten, bevorzugte es aber, an diesen Abenden auszugehen, so dass auch heute die Vier unter sich waren.

      Bruno war ebenfalls mehr als Mitte vierzig, mit viel Anteil an grauen Haaren. „Ich arbeite eben mehr und habe mehr Sorgen als ihr“, erklärte er den Freunden, die ihn damit aufzogen. Er hatte immer noch ein scharf geschnittenes Gesicht, das zwar leichte Ansätze zu einem Doppelkinn zeigte, ansonsten aber noch nicht von der Gewichtszunahme erfasst war, über die Bruno sich Sorgen machte. Erst kürzlich hatte er festgestellt, dass ihm seine Hosen nicht mehr passten. Im Gesicht gab es hiervon kaum Spuren, ein rechteckiges Gesicht war das, mit hoher, gefalteter Stirn, strahlenden grün braunen Augen, von geraden Brauen beschattet, schmalen Wangen, einem vollen Mund. An den äußeren Augenwinkeln zeugten inzwischen tiefe Lachfalten davon, dass er gut und gern lachte.

      Behaglich sah er sich um. Hinter ihm knisterte im Kamin ein leichtes Feuer, das er angezündet hatte, weil es zwar nach dem Kalender schon Frühling war, nicht aber der Temperatur nach. Brunos Blick wanderte von seinen Mitspielern vor ihm hinaus auf die Terrasse, die jetzt im Dunkeln lag, den leicht abfallenden Garten, die Stadt, deren Lichter warm aus der Senke leuchteten. Er kehrte zurück in die Runde, in der Heinrich zum nächsten Spiel die Karten mischte und austeilte. Auf den Tisch, an dem sie spielten, war Bruno besonders stolz; halbhoch, stand er auf vier elegant geschwungenen Beinen, die in löwenköpfigen Füßen endeten, mit einer Platte, die aus dunklem Rosenholz gefertigt war, mit helleren Intarsien aus Nussbaum und sehr glatt. Die Platte hatte einige Gebrauchsspuren, die Bruno aber nicht im Geringsten störten, im Gegenteil, sie drückten die Nützlichkeit dieses Möbels aus, wie er zu sagen pflegte. Um den Tisch standen bequeme Stühle mit geschwungenen Holzrahmen, Lederbezügen auf den Sitzflächen und am Rücken und breiten Armlehnen. Jeder Spieler hatte vor sich ein Glas mit Rotwein, alle tranken sehr mäßig, und Wassergläser, die Bruno aus einer geschliffenen Karaffe füllte, die mit Silber beschlagen war. Bruno freute sich in der Spielpause, in der Heinrich die Karten austeilte, des Eindruckes von solidem Komfort, den er um sich gesammelt hatte und heute Abend mit den Freunden teilte.

      Bis spät in die Nacht ging das Spiel, wie immer, wenn sie sich trafen, und mit viel Gelächter. Sie hatten eine ganz eigene Art entwickelt, Doppelkopf zu spielen, sie redeten ununterbrochen, auch über die Blätter, die sie hatten. Ein beliebtes Spiel war es, zu stöhnen, wenn man schlechte Karten hatte, aber auch, wenn sie gut waren. Offen wurde darüber geredet, wenn einer die Kreuz Dame hatte: „Wie gut, dann spielen wir ja zusammen!“. Jeder ernsthafte Doppelkopfspieler hätte sich furchtbar aufgeregt, der den Regeln getreu niemals über seine Karten redete, bis er gemerkt hätte, dass sie nichts über ihr wirkliches Blatt preisgaben, sondern dass die Aussagen zum Vexierspiel und zur Täuschung dienten. Niemand konnte sich darauf verlassen, welche Aussagen wahr waren. Sie hätten den fröhlichen Austausch von Informationen auch sein lassen können, aber um schweigend zu spielen, waren sie zu lebhaft, dann hätten sie lieber nicht gespielt.

      Ausgelassen verabschiedeten sie sich weit nach Mitternacht, laut hallten ihre Abschiedsworte durch die stille Nacht, und dann waren sie weg. Bruno nahm im Licht der Außenbeleuchtung beiläufig den ersten grünen Flaum auf der Birke vor dem Haus wahr. Noch lächelnd über die letzten Sprüche, die hin und her geflogen waren, räumte er die Flaschen und die Gläser weg und ging ins Schlafzimmer.

      Das Zimmer war dunkel. Er hatte nicht gehört, dass Margarete nach Hause gekommen war. Sie ging immer, wenn sie spielten, ins Bett, ohne sie zu begrüßen. Sie liebte es nicht, wenn