gegangen.
König Georg III. galt als vorbildlicher Familienvater. Beim Volk war er deswegen recht beliebt. Und als der Prince of Wales, der spätere König Georg IV., zwei Jahre nach dem Regierungsantritt seines Vaters geboren wurde, gab es kaum jemanden im Lande, der sich nicht mit dem Herrscherhaus verbunden fühlte.
Politisch hatte der König eine wenig glückliche Hand. Zwar fühlte er sich als Engländer, auch wenn er dem hannoveranischen Herrscherhaus entstammte. Seine konservative Haltung beschwor indessen unüberbrückbare inner- und außenpolitische Konflikte herauf. Dazu kam eine Augenkrankheit, die ihn oft unbeherrscht machte oder unter melancholischen Anfällen leiden ließ. Gehässige Hofschranzen nannten ihn mehr oder weniger offen „geisteskrank.
So konnte der König nicht verhindern, daß sich das Schwergewicht der
Regierungsgeschäfte wieder auf das Parlament verlagerte. Pitt wußte das zu nutzen. Er machte seinen Einfluß geltend, und es gelang ihm, für den Augenblick die drohende Gefahr in Nordamerika zu bannen.
Aber, was man brauchte, war Geld — Geld — und nochmals Geld!
Charles hatte schon kurz nach Friedensschluß Beziehungen zu Canada geknüpft. Er stand im Begriff, in Montreal eine Niederlassung zu gründen, deren Leitung er dem jungen Mann anvertrauen wollte, mit dem er am Buffet stand, als der Herzog auf ihn zutrat.
Lord Douglas hatte D * * * oft von Charles berichtet, ihn als einen besonders rührigen und offensichtlich auch erfolgreichen Kaufmann geschildert. Was der Herzog hier sah, entsprach durchaus dieser Auffassung.
Beide brauchten sie Geld — für sich, für Pitt, für England. Sie konnten es nur vom Handel bekommen. Hier sollte Charles eingeschaltet werden. So wollte es der Herzog — so wollte es England. Wenn es nottat, auch über Umwege. Es sei nicht verschwiegen, daß der Herzog auch Fanny in sein Kalkül einbezog.
Mrs. Cole, die mit wachsamen Augen vom Treppenabsatz aus in das bunte Gewimmel unter sich blickte und einsprang, wo eine ordnende Hand vonnöten war, hatte die Ankunft des Herzogs mit gemischten Gefühlen beobachtet. Sie kannte ihn von früher her, als er noch häufiger Gast in ihrem Hause war. Übrigens zu einem Zeitpunkt, als sie Fanny noch nicht unter ihre Fittiche genommen hatte. Das Aufblitzen in seinen Augen war verräterisch. Sie ahnte Konflikte und beschloß, ihren Schützling zur Vorsicht zu mahnen, und selbst Augen und Ohren weit offenzuhalten. D * * * ging auf Charles zu und begrüßte ihn wie einen alten Freund. Ohne von dem jungen Mann an dessen Seite Notiz zu nehmen, zog er den Hausherrn mit sich fort. Die Vertraulichkeit der Geste zwischen den Arm in Arm quer durch die Halle schreitenden Männern erregte Aufsehen. An diesem Abend stieg das Prestige der Burtons in der Londoner Gesellschaft um einige Grade.
Als ob er mit den Räumlichkeiten des Hauses längst vertraut sei, steuerte der Herzog die Tür zum Salon an, öffnete sie und setzte sich ohne Umschweife in den Kaminsessel, die langen, schlanken Beine gegen das prasselnde Feuer gestreckt. Er war von hohem Wuchs — eine gute, ja faszinierende Erscheinung. Regelmäßige Gesichtszüge wurden von leuchtend-blauen Augen beherrscht. Seine stark gebogene Nase unterstrich den Adel des in den mittleren Jahren stehenden Aristokraten. Schmale, ein wenig verkniffene Lippen und das vorspringende Kinn ließen auf Gefühlskälte, Energie bis zur Rücksichtslosigkeit und einen starken, unbeugsamen Willen
schließen. Sein Lächeln war gewinnend; es verwischte den Zug von Boshaftigkeit in seinen Mundwinkeln.
„Wie ich hörte, lieber Burton,“ begann er die Unterredung ohne Umschweife, „wollen Sie in Kürze Verreisen.“
„Ja, Euer Gnaden, ich habe vor, eine Niederlassung in Montreal zu gründen. Dazu bedarf es wohl eines Trips über den Ozean.“
„Nun, mit einem schnellen Segler ist das heute keine Affaire mehr.“ D * * * machte eine Pause und fuhr dann fort: „Ich habe vor, Ihnen bei der Gründung behilflich zu sein. Genauer gesagt: ich will mich beteiligen.”
Dann entwickelte der Herzog seinen Plan, von dem Charles durchaus nicht begeistert war. Er wußte um die Hintergründe dieser Ideen und fürchtete, sich mit seiner Zustimmung politisch festzulegen. Seinem Freund, Lord Douglas, fühlte er sich jedoch verpflichtet. Dessen Bitte um Unterstützung, die anläßlich eines vertraulichen Gesprächs an ihn herangetragen worden war, konnte er schlechthin nicht abschlagen. Der Lord hatte ihm von seiner finanziellen Misere berichtet, in die er durch seine Transaktionen geraten war.
Das Gespräch beendete Charles mit gemischten Gefühlen.
Durch die Mall jagte eine Kutsche. Lady Douglas, Hofdame der Königin, war auf dem Wege zu Herzog D * * *, dem Gatten ihrer Cousine. Sie hatte sich reichlich verspätet, da die Wünsche der Königin kein Ende nahmen. Seine Majestät wollte heute abend mit seiner Gemahlin das Nachtmahl einnehmen. Kein Kleid, kein Schmuck waren recht, dieses in letzter Zeit so seltene Ereignis gebührend zu unterstreichen — für den König schön zu sein.
Lady Douglas wußte, daß der Herzog höchst ungehalten sein konnte, wenn man sich verspätete — zumal ohnehin nur wenige Minuten Zeit zur Verfügung standen. Mit gerafften Röcken eilte sie die schmale Stiege des Wirtshauses hinauf, dem geheimen Treffpunkt ihrer Rendezvous’ mit dem Herzog. Zaghaft, aber hastig, klopfte sie an die Tür, hinter der D * * * ungeduldig auf und ab schritt.
Ein barsches „Herein!“ war die Antwort. Statt einer Begrüßung herrschte er die keuchende Lady an, wo sie so lange geblieben sei.
Lady Douglas knickste und begann mit: „Euer Gnaden Mit einer Handbewegung unterbrach er sie: „Lassen Sie die albernen Höflichkeitsflauseln — sagen Sie mir lieber, ob Pitt beim König angekommen ist!“
Lady Douglas berichtete, daß Seine Majestät anscheinend von den außenpolitischen
Plänen des Herzogs „Wind bekommen“ habe. Jedenfalls habe die Königin so etwas verlauten lassen, ohne zu ahnen, daß Lady Douglas in das Spiel eingeweiht war.
Der Herzog fuhr auf: „Verdammt! Madame, Sie werden alles aufbieten, um herauszubekommen, wie weit der König informiert ist, und welche Maßnahmen Seine Majestät zu treffen gedenkt. Sie werden mir umgehend in meiner Stadtwohnung berichten. Dort halte ich mich die nächsten Tage auf. Jede Zeit, jede Stunde ist recht!“
Des Herzogs harte Züge entspannten sich. Das Boshafte aus den Mundwinkeln verschwand. Ein Lächeln wandelte das Gesicht zu jener Faszination, die der Damen Knie bei Hofe und in der Gesellschaft weich werden ließen.
Lady Douglas über kam ein Zittern — „Euer Gnaden . . .“ „Blödsinn, Madame, wir sind hier unter uns! Sie sind echauffiert. Das macht Sie umso anziehender!“ „Der Lord ...“ begann sie zögernd ein Gegenargument — „. . . ist mein Vetter. Unsere Heimlichkeiten bleiben sozusagen in der Familie!“ D * * * war auf die Lady zugegangen. Er nahm ihre willenlos herabhängende, rechte Hand und führte sie an seine Lippen. „Es wäre nicht das erste Mal, wenn ich Sie in meine Arme schließen — Ihnen die Reverenz eines Verehrers erweisen würde!“ Und ganz nahe der zierlichen Ohrmuschel Lady Douglas’ flüsterte er: „Sie waren hinreisend, Madame — es war bezaubernd! Dieses, unser Geheimnis in politischen und persönlichen Dingen ist zwar eine seltsame aber recht glückliche Mischung — meine ich. Auf beiden Ebenen werden wir uns wohl noch häufiger begegnen. Unser Schicksal! Adieu, ma chere — in meiner Stadtwohnung . . . heute sind Sie pressiert!“ D * * * streichelte ihre glühenden Wangen, küßte mit spitzelnder Zunge die zarten, schmalen Hände der Lady, geleitete sie zur Tür bis auf den Treppenabsatz hinaus und verabschiedete sie: „Auf Wiedersehen, meine Liebe!“
Schwankend und zitternd tastete sich Lady Douglas die Treppe hinunter — verwirrt, beunruhigt, beschämt und doch glücklich ob der Huldigung dieses mit Zärtlichkeiten so sparsamen Mannes, dessen Wandlungsfähigkeit verblüffend und beglückend zugleich sein konnte. Sie wäre erschrocken gewesen, hätte sie den steinernen Gesichtsausdruck und die wegwerfende Handbewegung des Herzogs nach ihrem Weggang gesehen. Erschrocken über die „Moral“ eines politischen Ehrgeizlings, der sie vor den Wagen seiner Interessen spannte und ihr das Geschirr einer prachtvoll glänzenden, trabenden Stute umhängte — solange sie traben würde.
Bald nach Lady Douglas verließ auch D * * * das Haus. An der nächsten Ecke hielt er eine Mietkutsche an.