John Cleland

Klassiker der Erotik - Fanny Hill 2 - 12 Kapitel


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der Butler. „Melden Sie mich Seiner Lordschaft!“

       „Sehr wohl, Euer Gnaden!“ verbeugte sich der alte Diener, dem der Gast bekannt war. Er stellte den Leuchter auf ein Side-Board und ging dem Herzog zur Bibliothek voraus, in der sich Lord Douglas um diese Zeit aufzuhalten pflegte. „Warum wohl Seine Gnaden es in den letzten Tagen immer so eilig hat?“ dachte er, „Na ja, diese hohen Herren . . .“ Er schüttelte den Kopf und öffnete die Tür zur Bibliothek.

       Ehe er noch den Raum betreten konnte, drängte sich der Herzog an ihm vorbei. Er lief auf seinen Freund zu, der sich verdutzt aus dem Sessel am Kamin erhob, indessen der Butler, ob solcher Ungehörigkeit gekränkt, die Tür hinter sich ins Schloß fallen ließ.

       „Nanu — Sie, Herzog?? Ist etwas passiert?“

       „Wir müssen handeln, Douglas, — sofort! Der König weiß oder ahnt zumindest was . . .“

       Lord Douglas griff nach einer silbernen Karaffe und schenkte Portwein in zwei Gläser. Der Herzog nippte an dem unvermeidlichen Drink, der Lord nahm einen tiefen Schluck.

       „Sie müssen sofort zu Burton! Er soll morgen abend segeln. Eines meiner beiden Kaperschiffe steht ihm zur Verfügung. Ich veranlasse noch heute, daß sie gleichzeitig in See gehen. Das für Burton wird unmittelbar Canada ansteuern.“

       Lord Douglas klingelte nach dem Butler und befahl seinen Wagen. Der Herzog wollte eine Mietkutsche nehmen. Im Augenblick war es klüger, nicht zusammen gesehen zu werden. Londons Straßen hatten allenthalben Augen und Ohren ...

       „Wo waren Sie denn?! Ich hätte Sie dringend gebraucht!“ Vorwurfsvoll sah die Königin zu ihrer Hofdame auf. „Eine momentane Unpäßlichkeit, Euer Majestät!“ antwortete Lady Douglas.

       „So, so! Hm — unpäßlich!“ Die Königin fixierte ihre Hofdame, deren Gesicht gerötet war und eher Gesundheit als „Unpäßlichkeit“ spiegelte. Wenngleich Ihre Majestät auch nichts weiter sagte, verriet ihr Gesicht doch blanke Zweifel. Kurz darauf ließ sich der König melden. Die Königin entließ ihre Damen, ordnete ihr Haar und zupfte noch an ihrer Robe, als Georg eintrat.

       „Wie schön Sie heute wieder sind, Madame! Ich hoffe, Sie nicht zu stören!“

       „Nicht im geringsten!“ lächelte die Königin, „ich freue mich, Sie zu sehen, Sire! Anscheinend sind Sie guter Stimmung!?“ Sie bot ihrem Gemahl einen bequemen Sessel an. „Durchaus, durchaus, meine Liebe!“

       Sie plauderten ein wenig über Belanglosigkeiten, ehe der König auf seinen

       Gesundheitszustand hinwies, der ihm viel Sorge bereitete. Mitunter war er selbst bei wichtigen Staatsgeschäften geistig abwesend. Oder er wußte nicht, wo er sich befand. Manchmal träumte er in solchen Augenblicken, daß er ein Vogel sei, der sich in die Lüfte erhob — bisweilen sah er sich in Ketten als Gefangener tief unten im Tower. Er wehrte sich mit allen Kräften gegen solche Zustände, ahnte aber oder wußte gar, daß der allmähliche Verfall nicht aufzuhalten war.

       Die Königin teilte die Sorge um die Gesundheit des Herrschers. Sie war rührend um ihn bemüht. Seine Anfälle von Jähzorn versuchte sie, dem Hofstaat gegenüber zu entschuldigen, zu bagatellisieren oder gar zu vertuschen. Als aber dem Hofmarschall ein Tintenfaß an den Kopf flog und Seine Majestät einem Pagen unvermittelt einen Tritt ins Hinterteil versetzte, war jeder Verteidigung die Grundlage entzogen.

       Auch jetzt schien Georg trotz aller Liebenswürdigkeit erregt — Vorbote eines Anfalls. So geleitete die Königin ihren Gatten in das Schlafgemach. Absolute Ruhe half zuweilen. Mit dem gemeinsamen Essen war es wieder einmal nichts.

       Ihre Sorge um Georg wuchs angesichts verfehlter politischer Aktionen. Außenpolitisch hatte er zweifellos versagt. Daß er wegen seiner familiären Einstellung überaus volkstümlich war, nutzte nichts mehr. Die Schwäche und die offensichtlich unheilbare Krankheit riefen politische Kreise auf den Plan. Seine glückliche Hand im nordamerikanischen Krieg gegen die Franzosen wogen die Fehlschläge der letzten Zeit nicht mehr auf. Auch wenn Canada für England gesichert war und Georg einige politische Trümpfe in der Fi and hielt. Die Freundschaft und sein bedingungsloses Vertrauen zu Bute boten seinen Gegenspielern, allen voran William Pitt, Handhabe genug, gegen sein Regime zu konspirieren. Seine Majestät war nicht mehr stark genug, sich durchzusetzen, seine Berater Dummköpfe oder Intriganten. Der Königin war jegliche Politik verhaßt. Sie verfügte weder über das Wissen noch über Mittel, mit denen sie Georg hätte beraten und ihren Einfluß geltend machen können.

       Es war später Abend, als Lord Douglas an die Tür des Hauses Burton pochte. Eine Magd öffnete und bot den Besuch in den Salon. Dann lief sie, Charles von dem unerwarteten Gast zu benachrichtigen.

       Im seidenen Hausrock begrüßte der Hausherr seinen Freund: „ So spät noch, Lord Douglas? Ich freue mich, Sie zu sehen!“

       „Es ist keine Zeit zu verlieren!“ antwortete der Lord, „Sie müssen schon morgen abend segeln! Im Hafen liegen zwei Schiffe des Herzogs D * * *. Eines davon wird Sie nach Canada bringen. Wählen Sie, und geben Sie mir Bescheid, damit die Ordres ausgegeben werden können.“

       Er reichte Charles zwei versiegelte Briefe. Einen, der an Mr. Harrison in Montreal gerichtet war, einen zweiten für Mr. Alliant in Quebec. „Übergeben Sie bitte Mr. Harrison beide Schreiben. Aber nur ihm persönlich! Was weiter geschehen soll, wird er veranlassen. Wir sehen uns noch! Bitte empfehlen Sie mich Madame!“

       Lord Douglas ließ Charles in ziemlicher Verwirrung zurück. Verwirrt wegen der sich überstürzenden Ereignisse und des kategorischen: „Sie müssen . . .!“ Zum ersten Mal wurde ihm voll bewußt, daß er in eine Situation manövriert worden war, deren Risiken die „Herren“ zu einem guten Teil ihm auf gebürdet hatten. Wenngleich ihn auch das Vertrauen des nach Umsturz und Macht strebenden Adels schmeichelte und das Abenteuer lockte, so sah er doch sein und Fannys Vermögen aufs Spiel gesetzt. Charles hatte keine politischen Ambitionen. Aber der Appell des Herzogs an den Engländer Burton, sich bewußt zu sein, daß die Vormachtstellung Britanniens in der Welt auf dem Spiel stünde, hatte schon während des Gesprächs mit D * * * den Ausschlag gegeben. „So sei es denn!“, schloß Charles die Kette seiner Gedanken.

       Fanny fügte sich in das Unvermeidliche. Sie konnte nur noch hausfraulich um Charles’ Gepäck und eine zweckmäßige Ausrüstung des Reisenden mit Kleidungsstücken für ein Land besorgt sein, von dem sie nichts wußte. Für sie lag Montreal irgendwo am Ende der Welt, jenseits des Ozeans, den sie nur fürchten konnte. Eine so lange Seereise hätte sie nicht lebend überstanden, wie sie Mrs. Cole versicherte.

       Schließlich standen zwei mächtige Truhen mit Kleidung, Geschäftspapieren und zwei großen Lederbeuteln mit Goldmünzen abholbereit. Sie wurden von Bediensteten zur „Old Bottle“ geschafft; für dieses Schiff hatte sich Charles entschieden.

       Er nahm Abschied von seinen Kindern. Die Herzlichkeit tat dem Zusammengehörigkeitsgefühl der Familie Burton alle Ehre an. Audi Mrs. Cole gab dem Scheidenden alle guten Wünsche mit auf den Weg. Fanny begleitete ihn zum Hafen.

       Ein Wald von Masten über dunklen Schiffsrümpfen — auf den Quais schreiende, gestikulierende, hastende Menschen: Seeleute, Hafenarbeiter, herumlungerndes Volk und Neugierige. Dazwischen leichte Mädchen, die den Männern auffordernde Blicke zuwarfen. Ballen und Lasten schwebten an kreischenden Ladegeschirren durch die Luft. Schauerleute buckelten des Landes Reichtum über schwankende Laufplanken. Englands Herz, sein kommerzielles Leben, pulsierte hier am stärksten.

       Auf den Schiffen, die von langer Seereise zurückgekehrt waren oder zu neuer Fahrt rüsteten, scheuerten Matrosen und Schiffsjungen die Decks. An Bordwänden hingen Arbeiter in

       Strickleitern und teerten die Schiffsrümpfe. Über allem Lärm und aller hektischen Geschäftigkeit lag ein durchdringender Gestank von Fisch, Teer, Wasser und fauligen Abfällen. Fanny hielt sich die Nase zu, als sie die Kutsche verließ. Wie gräßlich! Wie konnte man nur in diesem Milieu atmen und leben?!

       Dann aber gingen ihre Gedanken siebzehn Jahre zurück. Hätte es das Schicksal nicht gut mit ihr gemeint, was wäre aus der mittellosen Fanny Hill von damals geworden?! Eine Dirne, die sie ohnehin — wenn auch auf einer anderen Ebene — gewesen war. Ein Straßenmädchen vielleicht, wie diese armseligen,