Margret Datz

Zwei Minuten vor der Zeit


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also werden solche Kleinigkeiten von mir ohne viel Aufhebens aus der Welt geschaffen, manchmal aber kann ich mich des tief empfundenen Mitleids nicht erwehren.

      Der Meinige, Dr. Phil., Experte für Literatur und Geschichte, und auf diesen Gebieten wirklich unschlagbar (wenn kein Lexi­kon zur Hand ist, kann man bedenkenlos auf ihn zurückgreifen), belesen, weltgewandt und sehr gefragt (vor allem von besonders hilflosen Damen), dieser Mensch also hatte neulich ein schier unlösbares elektro-technisches Problem! Sein verzweifelter Hilferuf erreichte mich kurz nach seiner Rückkehr von einer Reise.

      Du, ich steh' im Dunkeln, völlig im Dunkeln! In meinem Schlaf­zimmer brennt kein Licht!

      Den letzten Hilfeschrei noch allzu gut im Ohr, riet ich, die Glühbirne zu überprüfen.

      Für wie dumm hältst du mich? Das hab' ich schon, das Licht geht trotzdem nicht!

      Sollte doch Ernsthafteres vorliegen? Tat ich ihm am Ende gar Unrecht?. Bewaffnet mit schwerem technischen Gerät: Leiter, Schlagbohrer, Hammer, Schraubenzieher, Zange, Glühbirne und was man sonst für Notfälle dieser Art eventuell noch brauchen könnte, eilte ich herbei und betrat Unheil fürchtend das Schlafzimmer. Mehr als ein intelligenter Blick in die Runde war nicht nötig, um das Problem zu lösen, Leiter und Werkzeuge umsonst geschleppt: Zwei Schalter nennt die Lampe ihr eigen, einen an der für, den anderen der Bequemlichkeit halber am Bett. Leider handelte es sich nicht um Wechselschalter, bei denen die Lichtquelle von zwei räumlich voneinander getrennten Stellen beliebig ein- und ausgeschaltet werden kann. Es ist müßig zu erwähnen, dass der zweite Schalter am Bett auf ,,Aus" stand und so der Türschalter nicht aktiviert werden konnte!

      Woher die Redensart ,,Selbst ist der Mann" stammt, ist mir völlig schleierhaft! Nach dem ,,defekten" Fernseher (der mit ihm verbundene Videorecorder war nicht am Elektronetz), der ,,defekten" Antenne (das Kabel war verrutscht) und der ,,defekten" Sat-Anlage (der Wind hatte die Schüssel leicht geschwenkt) hätte ich eigentlich vorgewarnt sein müssen! Psychologen nennen dieses in den meisten Fällen männliche Opfer befallende Phänomen ,,situative Dummheit". Eine Krankheit ist es nicht, schon gar keine ansteckende! Aber kostenintensiv könnte es werden, wäre da nicht die weibliche

      Axt im Haus!

      Essigwein

      „Eigentlich ist er ein armes Schwein, der Essigwein“, sagte mein Sohn, schob die Gummibänder über die Hosenbeine, fuhr in die frisch geputzten Stiefel und zupfte am Stoff der Feldhose, damit sie sich vorschriftsmäßig stulpe. Die Taschen an den Oberschenkeln waren prall gefüllt mit allem, was „am Mann“ zu sein hat: Taschenmesser, Dreiecktuch, Hörschutz, Papiere, Taschentuch, Handschuhe, Schlüssel! Ich hatte inzwischen gelernt, die Taschen vor dem Waschen der Uniform zu entleeren und den Inhalt in die dafür vorgesehene Schale auf seinem Schreibtisch zu legen, nachdem ich am ersten Wochenende seine Schießkarte sauber gewaschen und gebügelt hatte.

      „Es gibt rein gar nichts, was der nicht falsch macht, und jedes Mal ist er auch noch erstaunt, wenn er angeschrieen wird! Wenn der Ausbilder ‘Rechts um!’ kommandiert, dreht er sich nach links, wenn es heißt ‘Die Augen - links’, guckt er garantiert nach rechts. Dabei weiß man schon beim ‘Die’, wo’s lang geht. Wenn er mal gut zuhört, macht er’s ganz bestimmt besonders falsch. Letzte Woche war ein General zu Besuch bei der Truppe, den wir begrüßen mussten. Er sollte von links kommen, deshalb hieß das Kommando ‘Augen - rechts!’ Weißt du, das ist eine militärische Höflichkeitsform, weil wir nämlich dem kommandierenden Offizier den Befehl verweigern und uns trotz des Kommandos nach links richten müssen, um den ranghöheren General zu ehren. Und was meinst du, macht Essigwein? Der ehrt den Offizier und guckt nach rechts!“

      Jetzt schob er die „Hundemarke“ über den Kopf, die zweigeteilte Erkennungsmarke mit Namen und Personenkennzahl, bei deren Anblick mir nicht sehr wohl zumute war, denn nach der Grundausbildung und einem Spezialtraining sollte er nach Bosnien gehen. „Der eine Teil kommt an meinen Zeh, der andere wird zu dir geschickt!“ hatte mein Sohn lapidar erklärt.

      „Essigwein kommt aus dem tiefsten Bayern“, fuhr er fort, „und wir verstehen kaum, was er sagt. Der kann überhaupt kein Hochdeutsch! Aber das ist vielleicht ganz gut so, denn wenn die Vorgesetzten alles verstehen würden, was er sagt, käme er in Teufels Küche, so oft widerspricht der, wenn ihm irgendwas nicht passt. Er merkt einfach nicht, dass er nicht in einem Sanatorium ist und manchmal was tun muss, wozu er keine Lust hat.“

      „Essigwein“, der Name allein ließ einen das Gesicht verziehen und schmeckte verdächtig nach Dummheit! T-Shirt und Feldjacke hatten inzwischen die Uniform komplettiert, er schnallte das Koppel um und stellte sich vor den Spiegel, um das Schiffchen zu richten, dessen Spitze genau auf die Nase zeigen muss. Die nächste Geschichte, die er von Essigwein erzählte, klang so unglaublich, dass ich unwillkürlich lachen musste.

      „Da gibt es nichts zu lachen“, wies mich mein Sohn zurecht, der gerade erst vor zwei Wochen von der Schulbank weg seinen Wehrdienst angetreten hatte, „er ist ein armes Schwein und kann nichts dafür. Aber er ist unser Kamerad, und über Kameraden lacht man nicht, man hilft ihnen!“

      Trotz der Kameradenhilfe wurde der Flieger Essigwein nach vier Wochen wegen erwiesener Wehrundtauglichkeit ausgemustert.

      Vom Mäuschen, das auszog, die Liebe zu suchen

      Es war einmal ein kleines Mäuschen, das machte sich auf den Weg, die Liebe zu suchen. Es war nicht besonders schön, sondern recht grau von Gestalt wie tausend andere Mäuse auch. Aber es hatte ein kluges Köpfchen und vor allem, was jedoch niemand wusste, ein großes Herz. Das Mäuschen lief und lief, bis es endlich in einen tiefen, dunklen Wald geriet. Dort begegnete ihm der Wolf, der war groß und schwarz und auf seinem Fell brannten rote Flecken.

      "Ach Mäuschen", flehte der Wolf, "bleibe bei mir. Alle Tiere des Waldes verachten mich, weil ich anders bin als die anderen Wölfe. Niemand spricht mit mir, und ich bin sehr einsam. Komm mit in meine Höhle. Du sollst es gut haben, und ich werde dich auf Händen tragen, solange ich lebe."

      Da wurde das Mäuschen von großem Mitleid erfüllt. Es vergaß, dass es auf dem Weg war, die Liebe zu suchen, und ging mit dem Wolf Anfangs lief alles so, wie der Wolf versprochen hatte. Er holte den feinsten Käse und den fettesten Speck, damit es sich an den Speisen laben könne. Aber bald vergaß er sein Versprechen, verkroch sich in die hinterste Ecke seiner Höhle und schlief den ganzen Tag. Wenn es nicht verhungern wollte, musste es nun selbst Nahrung für beide beschaffen. Jeden Morgen stand es noch vor Tagesanbruch auf, begab sich in den Wald und schleppte die dicksten Fleischbrocken für den Wolf heran, fütterte ihn, machte sein Bett und fegte die Höhle. Da es freundlich und gesellig war, lachte und scherzte es mit den Tieren, an denen es vorbeikam, und bald war es bei allen beliebt und wohlgelitten. Obwohl niemand seinen Herren mochte, trug man dem Mäuschen die besten Bissen entgegen, um ihm das Leben zu erleichtern.

      Eines Tages jedoch wachte der Wolf früher als gewöhnlich auf und gewahrte, wie das Mäuschen mit den Nachbarn sprach und mit ihnen scherzte.

      ,,Was lachst du über mich", schrie er, als das Mäuschen eintrat. ,,Du tust dich mit meinen Feinden zusammen und willst mich töten. Von nun an wirst du schweigen und niemanden mehr anschauen!"

      Dabei brüllte er so laut, dass die Baumwipfel zitterten und das Mäuschen von Todesangst erfüllt wurde. Es tat, wie sein Gebieter ihm geheißen und mied die Tiere des Waldes, die seine Freunde geworden waren. Mit gesenktem Kopf ging es an ihnen vorbei und schaute nicht nach rechts und nicht nach links, denn der Wolf lauerte ihm auf und kontrollierte, ob es seinen Befehl befolgte. So diente es ihm hundert Jahre und wurde immer trauriger, denn da es nicht mehr mit den Freunden sprach, kamen sie auch nicht mehr an der Höhle vorbei, um es aufzuheitern. Jede Nacht weinte es sich in den Schlaf und sann auf Abhilfe.

      Eines Tages, der Wolf hatte sich gerade satt gefressen und lag schnarchend auf seinem Lager, hatte es eine Idee. Ich habe doch scharfe Zähne,dachte es, und die Fenster der Höhle sind mit Brettern verriegelt. Ich nage ein Loch hinein und verschaffe mir meine