Janine Zachariae

Das magische Armband


Скачать книгу

Ich war alleine. Meine Freunde waren alle weggefahren, und eigentlich hatte ich auch nicht wirklich viele. Meine Eltern hingen an ihrer Geschäftsreise - ja, ich sah es ein, es war eine - ihren Urlaub dran. Sie waren so reserviert. Wenn ich mit ihnen sprach, schienen sie etwas zu verbergen. Besonders meine Mutter. Sie kicherte dann nervös oder beendet einfach so einen Satz, ohne dass er Sinn ergab.

      Wieso aber schrieb Oma, ich sollte alles lesen? Was denn? Wo denn? Als ich ein Auto vorfahren hörte, steckte ich das Bild wieder in meine Tasche und stand langsam auf. Auf dem Kleintransporter stand der Name des Heimes drauf.

      »Hallo, sind Sie Maja?«

      »Ja, danke das Sie gekommen sind.« Ich hielt ihm die Tür auf. »Ich kann Ihnen beim Beladen helfen.« Zusammen packten wir die Kisten, Körbe und Kartons ein und stopften den Kofferraum und Großteil des Innenraums zu. Es ging recht schnell und nachdem der Mann mir gedankt hatte, war es vorbei. Es erinnerten nur noch die Möbel daran, dass jemand in diesem Haus gelebt hatte. Ich wusste nicht, was damit passieren sollte. Also bot ich dem Mann, bevor er wegfuhr an, diese eventuell auch abzuholen. Aber das wollte er nicht. Ich beschloss sie da zu lassen, wo sie waren. Irgendwann wird das Haus verkauft und vielleicht möchte ja eine arme alte Dame diese Möbel behalten. Und als ich darüber nachdachte, flammte eine Idee auf. Natürlich musste ich das mit meinen Eltern bereden, aber für mich stand es fest: Ich wollte das Haus verschenken - oder, damit es keine Schenkungssteuer gab, für sehr wenig Geld verkaufen. Damit irgendjemand, der es nötig hat, ein Dach über den Kopf bekam. Das Foto schien aus mir einen besseren Menschen zu machen.

      Ich war nicht immer so. Ja, gegenüber meiner Großmutter war ich lieb. Aber ich war genauso ein egoistischer Teenager, wie die meisten. Dabei wusste ich es. Ich drehte meine Musik laut, war bockig und streit freudig - besonders meinen Eltern gegenüber. Es gab Zeiten, da hasste ich alles und jeden. Doch irgendwann las ich mit meiner Oma ein Buch und etwas in mir befreite sich von diesem Zustand der Ignoranz. Ich weiß nicht, ob ich wirklich so schlimm war, wie ich es gerade beschrieb. Aber es kam mir so vor. Im Nachhinein ist man immer schlauer und sieht die Dinge aus einer anderen Perspektive.

      Als ich am Telefon mit meinen Eltern darüber sprach, spürte ich, wie sie sich richtig dagegen sträubten. Sie wollten das Geld. Aber wir hatten genug. Nach langem Hin und Her konnte ich meinen Kopf durchsetzen und sie überließen es mir. Am nächsten Tag setzte ich mich mit dem Anwalt zusammen und wir besprachen alles Weitere. Es war nicht viel, was wir verlangten und das, was dabei raus sprang, sollte ebenfalls für einen guten Zweck gespendet werden. Das war meine Art des Trotzes. Und der Trauer. Ich musste meine Energie und meine Gedanken in so etwas investieren, sonst würde ich nur noch heulend zu Hause sitzen - ein zu Hause, welches bald der Vergangenheit angehörte. Ich musste zuversichtlich in die Zukunft blicken. Konnte mich nicht verstecken und schon gar nicht Trübsal blasen.

      Alles, was jetzt noch wichtig war, war mich auf das neue Schuljahr zu konzentrieren und mich um den Umzug kümmern. Meine Kisten waren relativ schnell gepackt. Ich wollte einen Neuanfang und kaufte mir neue Klamotten. Warum? Zum einen hatte ich einiges gespart und bekomme viel Taschengeld (genug jedenfalls) und zum anderen musste ich diesen Ort und alles, was ich damit verband, hinter mir lassen. Ich packte also nur meine CDs, Bücher, DVDs, Bilder, ein paar Figuren und was man sonst in so einem Jugendzimmer findet, ein. Meine Schultasche war gepackt, wobei ich die neuen Schulbücher vor Ort abholte. Aber vieles andere, was ich im nächsten Schuljahr brauchen sollte, war gut verstaut. Obwohl, vielleicht war es gar nicht verkehrt, einige meiner alten Kleidungsstücke doch aufzubewahren - man weiß ja nie. Es konnte also losgehen.

      Ich las immer wieder im Tagebuch. Blätterte sogar die leeren Seiten durch. Irgendwas musste ich übersehen haben und dann, als ich die Hoffnung fast aufgab, stand auf einer der letzten Seiten, ganz Nahe am inneren Rand, folgendes geschrieben:

      ›Not human.‹

      Hä?

      Ja, ich wusste, was es hieß, aber ich konnte den Zusammenhang nicht feststellen. ›Nicht menschlich?‹ Was sollte ich denn damit anfangen? Ich konnte es nicht - noch nicht.

      7. Neu Anfang

      Die nächsten Tage verliefen ereignislos. Irgendwann saß ich im Zug, hörte über meinen MP3 Player Musik, las ein Buch über meinen eBook Reader und genoss diesen modernen Luxus. Ich wollte kein schweres Buch mit mir rum tragen. Ein Koffer und meine Umhängetasche, die groß genug war, sollten reichen. Meinen Laptop hatte ich sicher verstaucht und auch andere Wertgegenstände waren ordentlich weggepackt. Mein Abteil war nicht sonderlich voll. Natürlich saß ich im Nichtraucher und hatte neben mir platz um meine Tasche drauf zustellen. Der Koffer war unter mir. Da mir das Ding zu schwer war, konnte ich es nicht über dem Sitz verstauen. Die Fahrt dauerte lange. Somit hatte ich das Buch, welches ich las, bald beenden können. Als ich aufblickte, beobachtete ich die vorbeiziehende Landschaft. Es war friedlich. Die meisten schliefen oder blickten ebenfalls hinaus. Manche hörten, wie ich, Musik über Kopfhörer, andere lasen oder schrieben. Kleine Kinder schlummerten sanft im Schoß ihrer Eltern. Für wenige Stunden konnte die Welt schlafen und träumen. Ich gestattete es mir nicht. Wenn ich schlief, träumte ich immer von meiner Oma. Sie waren schmerzlich und verwirrend. Es war, als ob sie mir etwas sagen oder zeigen wollte. Aber das konnte nicht sein. Als ich doch die Augen schloss, war sie wieder da:

      ›Hallo, Liebes, ich hab dich lange nicht mehr gesehen.‹

      ›Oma.‹

      ›Du brauchst keine Angst zu haben.‹

      ›Du bist nicht real.‹

      ›Nein‹, bestätigte sie.

      ›Es fühlt sich aber so an.‹

      ›Ich weiß.‹

      ›Ich vermisse dich, Oma.‹

      ›Ich bin hier. Du brauchst nur die Augen schließen und schon bin ich hier.‹

      ›Ich habe dein Haus verschenkt.‹

      ›Ich weiß.‹ Sie lächelte mir zu.

      ›Darf ich dich umarmen?‹ Sie streckte die Arme aus und ich kuschelte mich hinein. So wie Früher. ›Ich bin so alleine‹, gestand ich.

      ›Das ändert sich bald.‹

      ›Woher weißt du das?‹

      ›Ich weiß es, Liebes.‹ Ich nickte, als ob ich wirklich glauben würde. ›Alles wird wieder gut.‹

      ›Sicher?‹

      ›Bestimmt. Halte die Augen offen.‹

      ›Ich habe dein Tagebuch gefunden.‹

      ›Hast du es verstanden?‹ Sie schien nicht böse zu sein.

      ›Du hast diesen Jack geliebt, warst aber mit Opa verheiratet.‹ Erneut nickte sie.

      ›Hast du auch wirklich alles gelesen, Maja?‹

      ›Es sind zu viele Seiten raus gerissen. Aber ich hab gelesen, was du ziemlich zum Schluss geschrieben hattest. Versteh es aber nicht. Wer ist nicht menschlich?‹

      ›Du musst tiefer graben. Finde den Rest. Finde die Briefe, dann wirst du es herausfinden. Finde Jack. Er wartet auf dich.‹

      ›Was?‹

      Ich war verwirrt.

      In diesem Moment wurde ich geweckt. Von irgendwo kam ein Geräusch her, klang wie ein Handy. Danach war ich zu perplex, um noch einmal zu schlafen. Was sollte dieser Traum? Es machte keinen Sinn.

      ›Finde Jack‹?

      Wenig später hielt der Zug an und ich stieg in meiner neuen Heimatstadt aus. Ein eigenartiges Gefühl verbreitete sich in mir. Es war früh am Morgen und mein Magen knurrte. Als Erstes musste ich einen Bäcker aufsuchen. Mit meinem Koffer und meiner Umhängetasche machte ich mich auf den Weg. Kurz darauf saß ich, mit einem Vollkornbrötchen, Doughnut und einem Cappuccino bei einem Bäcker. Ich studierte den Zettel mit der Adresse und kramte den neuen Haustürschlüssel hervor.

      Gedankenversunken