Janine Zachariae

Das magische Armband


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und nachdem das Mädchen noch etwa zehn Minuten mit blöden Sprüchen, auch von den anderen, beschimpft wurde, musste ich was machen. Denn ich wusste, dass das sie litt.

      »Okay, ich bin neu hier. Doch das es auch hier so abläuft, hätte ich nicht gedacht.« Ich war ziemlich laut und merkte, wie auch die Jungs sich zu uns umsahen. »Aber es ist nicht schön, wenn man sich einen eher schwachen Mitschüler herauspickt und anfängt zu schikanieren. Was bringt das? Das ist Mobbing und nichts anderes. Es ist nicht cool oder stark. Es zeigt von Schwäche. Nehmt euch lieber jemanden vor, der sich verteidigen kann.«

      »Was weißt du denn schon?«, wurde ich gefragt.

      »Oh, eine ganze Menge. An meiner alten Schule war ein Mädchen, sie wurde so gehänselt und geärgert bis sie es irgendwann nicht mehr aushielt und versuchte sich das Leben zu nehmen. Zum Glück wurde sie von jemanden gefunden, aber es hätte durchaus auch anders ausgehen können. Wisst ihr, es gibt einen tollen Spruch, der eigentlich immer passt: Behandelt jeden Menschen so, wie ihr selbst behandelt werden wollt«, damit beendete ich meine kleine Rede und lief zur Umkleide. Die Stunde war eh zu Ende. Ich zog mich blitzschnell um und rannte in meinen Lehrer.

      »Tut mir leid«, murmelte ich.

      »Schon gut. Das, was du gesagt hast, war sehr mutig.«

      »Nein, eigentlich nicht. Manche würden es wohl als zu, was auch immer, bezeichnen.« Die anderen kamen rein und meinten, ich würde stinken. »Ja, mag sein. Aber ich kenne das aus vielen Serien oder Filmen. Man duscht und prompt, werden einem die Klamotten weggenommen. Ja, ja, alles schon erlebt. Ich wohne nicht weit von hier und kann da unter die Dusche springen.« Dann sah ich zum Lehrer und verabschiedete mich und rannte nach Hause, weil ich wirklich stank. Als ich die Tür aufschloss, hatte ich schon wieder so ein komisches Gefühl. Ich ignorierte es und sprang unter die Dusche, seifte mich ein, enthaarte meine Beine und Achseln und wusch meine Haare, danach gab es noch eine Spülung. Anschließend trocknete ich mich ab und cremte mich ein. Mein Haar musste ich leider föhnen, da ich noch mal in die Stadt wollte. Ich zog mir eine kurze Hose, Tanktop und meine Chucks an und schloss die Haustür mehrfach ab.

      Die Alarmanlage schaltete sich ein und schon war ich unterwegs. Ich hatte einiges zu erledigen. Lebensmittel besorgen und die Bücher, die mir noch fehlten. Die meisten hatte ich, daher waren es nur noch fünf von fünfzehn. Es war schön draußen und mit meinem MP3-Player verging die Zeit sowieso sehr gut.

      Ich setzte mich auf eine Bank im Park und holte ein Buch hervor. Das war Nummer acht auf der Liste und ich kannte es noch nicht. Ich war total in Gedanken und bemerkte erst als ich angesabbert wurde, dass ein Hund sehr nah an meinem Bein war. Ich blickte auf und entdeckte - wen sonst?! - meinen Traum-Lehrer.

      »Oh, wow. Was für ein Hund!« Ich löste meine Kopfhörer. Er lachte.

      »Das ist Molly, meine Labradorhündin.«

      »Molly ist ein schöner Name.«

      »Danke. Du hast dich umgezogen«, bemerkte er.

      »Ja, sogar geduscht. Jetzt stinke ich nicht mehr«, lächelte ich.

      »Das hattest du nicht. Darf ich mich zu dir setzen?« Ich stellte meine Taschen auf den Boden und nickte. »Was liest du da?« Ich hielt das Buch hoch. »‹Julia‹ von Anne Frontier«, las er laut.

      »Ich weiß, wieso Sie zuerst ›Bridget Jones‹ auf die Liste setzten. Ich ahnte es irgendwie direkt.«

      »Na, da bin ich aber gespannt.«

      »Es geht um ›Mister Darcy‹.«

      »Du bist klug«, er klang perplex.

      »Es geht.«

      »Du hast ›Stolz und Vorurteil‹ also schon gelesen?«

      »Gelesen?«, fragte ich leicht empört.

      »Nicht?«

      »Verschlungen trifft es eher. Es ist eines meiner Lieblingsbücher.«

      »Wie kommt ein Mädchen mit 16 Jahren auf Jane Austen?«

      »Es kommt nicht aufs Alter an. Jane Austen ist zeitlos. Und ist es nicht das, wovon jedes Mädchen träumt? Shakespeare ist ebenfalls zeitlos. ›Julia‹ hatte ich schon seit langem auf meiner persönlichen Liste. Die Bücher, die davor drankommen, kenne ich und somit kann ich mich komplett auf die anderen konzentrieren. Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«, wagte ich mich vor.

      »Sicher«, sagte er und sah mich neugierig an.

      »Gehen Sie nach Lehrplan oder haben Sie Helen Fielding, Jane Austen, und all die anderen - meist wundervollen - Autorinnen selbst auf die Liste gepackt?«

      »Teils, teils. Es hat seine Gründe, weshalb ich gewisse Bücher wählte.«

      »Das Jungen auch die Sicht der Frauen besser sehen?« Er nickte. »Aber das ist veraltet.« Er sah mich erstaunt an. »Es tut mir leid. Nein, das meinte ich anders.« Ich holte Luft und fing noch mal an. »Natürlich sind diese Frauen stark und wissen - meist - was sie wollen. Doch sie sind auch an den Haushalt gebunden. Auch wenn Mrs. Bennet eher sarkastisch sein sollte, so hat sie doch gewisse Ähnlichkeiten mit vielen Frauen, die auch heute noch an den Herd gefesselt sind.«

      »Das stimmt. Aber es geht mir eher um die Stärke.« Ich nickte.

      »Entschuldigen Sie, ich wollte nicht Ihre literarischen Gründe anzweifeln. Es ist wunderbar über all jene Heldinnen zu sprechen. Auch wenn ich bezweifle, dass wirklich viele eigentlich dahinter kommen, wer nun was war.«

      »Mmh?«

      »Bei ›Stolz und Vorurteil‹, wer war Stolz, wer hatte lauter Vorurteile? Sollten wir auch darüber eine Arbeit schreiben, was ich hoffe, werden Sie meine Meinung dort lesen.«

      »Du willst eine Arbeit darüber schreiben?«

      »Test, Arbeit, Aufsatz. Ist mir gleich. Aber Literatur war seit jeher mein Lieblingsfach, auch wenn wir in meiner alten Schule über ein Kaninchen und einen Hasen lamentierten«, gab ich zu und Herr Traum musste dabei schmunzeln.

      Er wirkte vollkommen anders auf mich, als in der Schule. Eher wie in einem Traum, den ich nach unserer ersten Begegnung hatte.

      »Wie kommt das?«

      »Das mit dem Hasen?«

      »Nein«, er lachte, »mit der Vorliebe für Bücher?«

      »Durch meine Großmutter würde ich sagen.« Da fiel ihm scheinbar etwas ein, denn sein Blick wurde trüber.

      »Ich habe deinen Aufsatz gelesen.«

      »Ach, das ging aber schnell.«

      »Wenn mich was interessiert, will ich es direkt lesen.« Ich merkte, wie ich errötete. Nicht das erste Mal während des Gesprächs. Ein unglaubliches Kribbeln ging durch meinen Körper und mein Handgelenk mit dem Armband war permanent heiß.

      »Und, was sagen Sie?«

      »Der Aufsatz ist sehr gelungen.«

      »Danke, aber das meinte ich nicht.«

      »Ich weiß.« Er zog an der Leine seiner Hündin und sah mir direkt in die Augen. »Du hast viel durchgemacht.« Ich zuckte mit den Schultern und meinte, es sei okay gewesen. »Nein, glaube ich dir nicht.«

      »Ich weiß das sehr zu schätzen, dass Sie sich Sorgen machen, wirklich. Aber Sie haben Feierabend. Sie sollten nicht mit einer neuen Schülerin, bei solch einem tollen Wetter, über einen Aufsatz reden.«

      »Doch, ich glaube schon.« Er biss sich kurz auf die Lippe und wirkte nachdenklich. Sein Blick wanderte zu meinem Handgelenk mit dem Armband. Ich berührte es automatisch und dann erst schaute er wieder in meine Augen.

      Ich zog meine Augenbrauen zusammen und schüttelte irritiert den Kopf. »Na gut«, ich kapitulierte, »was möchten Sie wissen?«

      »Wie hast du dich gefühlt während der ganzen Wochen?«

      »Alleine, einsam, im Stich gelassen. Ich war mit meiner Trauer