Eckhard Lange

Die Faehlings - eine Lübecker Familie


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den Sohn des Schmiedes Dietmar, umfangen hatte, sollte für immer währen. Der innnige Wunsch dieses Mannes, einmal wie seine geliebte Duscha in Frieden gehen zu können, er war ihm erfüllt worden. Und die Brüder begruben ihn im Garten der Klausur als ersten von ihnen, den der Herr heimgerufen hatte.

      Zwölftes Kapitel: Juli 1181

      Der Rat der Stadt war zu einer eiligen Sitzung zusammengekommen. Jannes von Soest war seinem Vater als Ratsherr nachgefolgt, als dieser sich vor einigen Jahren zum Sterben legte, und auch Dietmar Faehling war inzwischen als Jüngster in den Rat berufen worden. Beide strebten nun dem unscheinbaren Gebäude an der westlichen Ecke des Marktes zu, das der Rat für seine Zusammenkünfte nutzte, wenn er sich nicht in der der Jungfrau Maria geweihten Marktkirche versammelte. Auch wenn alle es befürchtet hatten, nun war es eingetroffen: Vor den Mauern der Burg stand ein Heer zum Angriff bereit, Truppen unter persönlicher Führung des Kaisers. Zwar hatte Herzog Heinrich im vergangenen Jahr in großer Eile zusätzlich eine Mauer um den bewohnten Teil des Werders errichten lassen, auch schützten die beiden Flüsse mit ihren sumpfigen Ufern die Stadt, doch einer Belagerung würde man kaum längere Zeit standhalten.

      Und eine zweite Schreckensmeldung hatte Lubeke erreicht: Auf der Trave war eine dänische Flotte erschienen, zwei Dutzend Langschiffe waren es mindestens, bemannt mit grimmig dreinschauenden Nordmännern, und sperrte nun den Zugang zur See und damit die Lebensader der vom Handel abhängigen Stadt. Einen festen Turm, den die Lübschen an der Mündung der Trave errichtet hatten, um die Einfahrt zu schützen, hatten sie bereits zerstört. Der Dänenkönig Waldemar, formell zumindest Lehnsträger des Kaisers und ihm seit kurzem auch durch Eheverträge verbunden, kam Friedrich Barbarossa zu Hilfe.

      Nun also war auch Lubeke hineingezogen in jenen großen Konflikt zwischen dem Sachsenherzog und dem römischen Kaiser, der das Reich seit dem vergangenen Jahr erschütterte. Heinrich der Löwe, hochfahrend wie immer und im Vertrauen auf seine politische Stärke, hatte seinem Vetter Friedrich die Stirn geboten, war dem Hoftag ferngeblieben, auf dem er sich gegen mancherlei Klagen verteidigen sollte, und so hatte der Kaiser die Acht über ihn verhängt, ihm alle Lehen des Reiches einschließlich der Herzogswürde entzogen. Doch der Löwe antwortete in jener Art, mit der er bislang alle Probleme angegangen war: mit Gewalt. Mit seinen Truppen überzog er die Nachbarfürsten mit Krieg, die ihn beschuldigt hatten. So hatte Friedrich zuletzt das Reichsheer aufbieten müssen, um den Unbotmäßigen selbst in die Knie zu zwingen.

      Viele der Grafen und Herren, die Heinrich durch Lehnseid verpflichtet waren und die doch zunehmend unter seiner rücksichtslosen Herrschaft gelitten hatten, sahen sich nun vom Treueschwur entbunden und erhoben sich gegen den Löwen. Und dieser musste bald seine Klauen einziehen. Einzig Städte wie Lubeke, die unter seinem Schutz aufgeblüht waren, standen noch zum Herzog, der mit einer Reihe kriegserfahrener Ritter dort erschienen war, um den Widerstand zu organisieren. Er selbst aber floh bald darauf vor dem anrückenden Friedrich und fand Zuflucht in Stade. So waren die Kaiserlichen gegen Lubeke gezogen, denn die Stadt war der Schlüssel zum gesamten nordalbingischen Raum, und so mussten nun die Ratsherren allein entscheiden, wie sie die Stadt vor Unheil bewahren können.

      Der Rat aber war gespalten, Meinung stand gegen Meinung. „Es ist sinnlos, dem Kaiser zu trotzen,“ gab Jannes zu bedenken, „unterwerfen wir uns nicht freiwillig, wird er die Stadt erstürmen, und was das bedeutet, wissen wir alle: Feuerbrand und Plünderung und den Tod vieler unschuldiger Bürger.“ „Aber wir haben Heinrich Treue geschworen mit heiligem Eid, wollt ihr den brechen? Wollt ihr euer Seelenheil aufs Spiel setzen?“ hielt Brun dagegen, und er war Bürgermeister der Stadt. Ein anderer stimmte ihm zu: „Und nicht nur das Seelenheil, sondern das Vertrauen all derer, mit denen wir Handel treiben! Wer wird lübischen Kaufleuten noch trauen, wenn sie Beschworenes leichtfertig brechen!“

      „Leichtfertig ist es wahrlich nicht,“ nahm nun Dietmar das Wort. Als der Jüngste im Rat hatte er bislang geschwiegen, den Erfahreneren den Vortritt gegeben. Doch jetzt galt es, einen Ausweg zu finden, der beiden Bedenken gerecht wird. „Jannes hat recht,“ fuhr er fort, „wir könnten Friedrichs Angriff nicht lange standhalten, das kaiserliche Lager wird ständig größer, immer mehr Fürsten stoßen mit ihren Gewappneten zu ihm, und niemand von uns möchte, dass unser schönes Lubeke gebrandschatzt wird. Aber auch ein Eid wiegt schwer, selbst wenn der Kaiser den Herzog geächtet hat. Und letztlich wissen wir alle nicht, ob sich die Fürsten wieder einigen, und dann wird Heinrich ebenso grausam Rache an uns nehmen.“ „Deine Weitsicht in Ehren, aber wo ist die Lösung?“ fragte Brun zurück.

      „Ich sehe nur eine: Wenn uns Heinrich vom Treueid entbindet, können wir Friedrich getrost die Tore öffnen und den Kaiser mit allen Ehren empfangen. Wir müssen mit beiden verhandeln, nur so können wir einen blutigen Ausgang vermeiden.“ „Und du glaubst, dass es gelingt?“ fragte jemand zweifelnd aus der Runde, doch Brun stimmte zu: „Dietmar hat Recht, es wäre eine Lösung für uns. Ich meine, wir sollten es versuchen. Wir wissen nicht, ob Kaiser Friedrich solange stillhält und einer Delegation nach Stade zustimmt, und wir wissen nicht, was der Herzog antworten wird. Aber uns bleibt keine andere Wahl, als Dietmar zu folgen.“ Die übrigen Ratsherren nickten, niemand widersprach.

      „So ist es beschlossen,“ beendete der Bürgermeister die Beratung. „Ich werde mich unverzüglich zum Bischof begeben. Ich denke, er ist der geeignete Mann, den Kaiser um Aufschub zu ersuchen, er wird dem geistlichen Herrn diese untertänige und christliche Bitte nicht abschlagen können. Und ich schlage vor, dass der Rat danach Jannes von Soest und Dietmar Faehling als Boten zu Heinrich sendet, begleitet von einigen Ratsdienern. Ich werde derweil zur Burg aufbrechen und mit Heinrichs Mannschaft dort verhandeln, damit sie nicht leichtfertig zündeln und den Waffenstillstand brechen, wenn der Kaiser ihn uns gewährt.“ Auch dies fand allgemeine Zustimmung.

      Noch am gleichen Tag machte sich Bischof Heinrich, geleitet von einem Herold, auf den Weg ins kaiserliche Lager. Man geleitete ihn zu dem Prunkzelt, in dem Friedrich laufend Delegationen empfing und sich mit seinen Räten besprach. Der Kaiser ließ den Kirchenfürsten alsbald vor und hörte seinem Anliegen mit einer freundlichen Miene zu. Auch ihm war nichts an einem Kampf und an der Schwächung dieser wichtigen Handelsstadt gelegen, nicht umsonst hatte er bislang auf alle Angriffe auf Lubeke verzichtet in der Hoffnung, die Bürger würden sich ergeben. So beschied er den Bischof: „Es ehrt den Rat dieser Stadt, dass er so treulich zu seinem Lehnseid steht, wenngleich Heinrich diese Treue nicht verdient hat. So will ich den Herren des Rates ab morgen früh eine Woche Frist gewähren, ihren ehemaligen Stadtherrn aufzusuchen und seine Erlaubnis einzuholen. Sie erhalten freies Geleit und stehen unter meinem Schutz.“

      Bischof Heinrich kam erfreut mit dieser Botschaft zurück, und am kommenden Tag ritten Jannes und Dietmar über die neue Travebrücke, die auf den Weg ins Holstenland führt. Begleitet von kaiserlichen Herolden, gelangten sie nach Hammaburg und setzten dort über die Elbe, um nach Stade zu kommen. Herzog Heinrich empfing sie und ließ sich ihre Bitte vortragen: „Solltet Ihr uns unverzüglich zu Hilfe eilen,“ schloß Jannes diplomatisch, „so wollen wir uns gerne tapfer zur Wehr setzen. Doch Ihr müsst wissen, dass wir nur für wenige Tage der kaiserlichen Übermacht widerstehen könnten. Darum ersuchen wir Euch, anderenfalls uns zu erlauben, dem Kaiser die Tore zu öffnen, damit die Stadt nicht gänzlich zerstört wird.“ Es schmerzte den Löwen, Lubeke preisgeben zu müssen, aber er hatte zur Zeit keine Möglichkeit, die Stadt zu entsetzen. Nur allzu gerne hätte er seinem Vetter einen niedergebrannten Ort überlassen, aber es missfiel ihm auch, dem Kaiser damit einen militärischen Triumph zu ermöglichen. Und außerdem: Noch hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich das Blatt in naher Zukunft wieder wenden könnte, und dann würde er Lubeke und seine Einnahmen dringend brauchen.

      Heinrich legte Jannes die Rechte auf die Schulter und gab sich huldvoll: „Sagt dem Rat von Lubeke, ich danke ihm für seine Treue. Und weil mir genau wie Euch das Wohlergehen meiner geliebten Stadt am Herzen liegt, will ich Euch von Eurem Eid entbinden und erlaube Euch, Kaiser Friedrich die Stadttore zu öffnen.“

      Als sie zurückritten, meinte Dietmar lakonisch: „Gut gespielt hat der Herzog seine Fürsorge schon, doch Glauben schenke ich ihm nicht. Aber was auch immer er plant, wir haben seine Erlaubnis, schriftlich und gesiegelt, und damit freie Hand, nun mit dem Kaiser zu verhandeln.