Eckhard Lange

Die Faehlings - eine Lübecker Familie


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dauerte lange, bis die Gruppe zu einem Entschluß gekommen war, doch dann wurden Hinrich von Soest, der Kaufmann Brun Wittentorp und Alf Faehling bestimmt, zum Herzog zu reisen und ihm diese Bitte vorzutragen. Es gab keine andere Wahl.

      *

      Noch nie war Alf in einer solchen Stadt gewesen. Heinrichs Burg, der ganze Ort, die Kirchen – vieles war aus behauenem Stein errichtet, mit wunderbar glatten Wänden, sauber ausgestrichenen geraden Fugen, und die Dächer trugen Holzschindeln. Prächtiger konnten auch die Pfalzen von Kaiser Friedrich nicht aussehen, dachte er. Nach einigen Tagen des Wartens empfing sie der Herzog und hörte sich ihr Anliegen an. Es erschien Alf so, als ob der Löwe leise lächelte, doch konnte er diese Regung nicht deuten. „Wir werden eurer Bitte nachkommen,“ sagte er freundlich. „Rupert von Stade wird euch begleiten und euch einen Platz zuweisen, an dem ihr eine neue Stadt bauen könnt. Sie soll Löwenstadt heißen, denn der Löwe wird dort euer Stadtherr sein.“ Und er entließ die Sendboten huldvoll.

      Was er danach mit Rupert besprach, erfuhren sie allerdings nicht: „Weist ihnen irgendeinen Ort an, auf dem nicht die Hand des Grafen liegt, irgendwo an einem Wasser. Doch übereilt nichts, denn ich bin sicher, sie werden bald an den alten Ort zurückkehren. Der Werder ist der einzig günstige Platz, das hat der Graf mit gutem Auge erkannt. Aber Adolf mag sich noch so sträuben, sobald seine Kaufleute fortziehen, nützt er ihm nichts mehr. Ich werde ihm noch einmal ein günstiges Angebot machen, eine reiche Abfindung, und er wird einwilligen und mir den Platz überlassen. Dann werden die Leute mit Freuden zurückkehren, vor allem, wenn Ihr die Löwenstadt dort sucht, wo sie keine Zukunft haben werden.“ Und er lächelte wieder, das Lächeln des Siegers.

      Und er sollte Recht behalten. Graf Adolf trat nach einigem Zögern den Werder an den Herzog ab. Was der Herzog ihm zahlte, war mehr, als er je an Einnahmen aus einer sterbenden Stadt herausziehen könnte. Es war Reginalds letzter Freundschaftsdienst für Hinrich von Soest gewesen, dass er ihm unverzüglich hierüber Nachricht gab. Wenig später verließ er die Burg, in der er noch kurz zuvor einen tiefen Brunnen gegraben und mit festen Bohlen versteift hatte, um einer möglichen Belagerung besser trotzen zu können. Nun würde ein anderer Stadtvogt werden, und Reginald kehrte zu Graf Adolf zurück, aber er ging nicht ohne Wehmut.

      Also erschienen die Sendboten aus der Löwenstadt erneut bei Herzog Heinrich und baten darum, auf den Hügel Bucu zurückkehren zu dürfen, denn der neue Ort an der flachen Wochenitze war mit ihren Schiffen nicht mehr erreichbar, wenn sie voll beladen waren. Auch das erlaubte der Löwe gnädig. Und er stellte den Kaufleuten und den Bürgern großzügig Privilegien aus. Allen Anrainern des baltischen Meeres bot er freien Handel mit Lubeke, auch den Bewohnern der Stadt würde er Freiheiten gewähren, vor allem eine Schutzgarantie für ihren Handel mit Gotland. Nun, wo Lubeke ihm gehörte, brachte jede Förderung von Handel und Wandel auch höhere Gewinne für den Stadtherrn. Die Zahlung an Adolf würde sich rasch verzinsen. Das Spiel war geglückt.

      Neuntes Kapitel: April 1160

      Fünf Kinder hatte Duscha ihrem Ehemann geboren, seitdem sie den Wohnturm auf Dietmars Grundstück bezogen hatten, zwei waren bereits im Säuglingsalter gestorben, auch die Heilkünste der Slawin hatten nicht ausgereicht, sie am Leben zu halten. Noch immer war sie mädchenhaft schlank, nur die jugendliche Anmut ihrer Gesichtszüge war einer gewissen Strenge gewichen. Mag es teils auch an der Haube liegen, die ihr volles Haar gänzlich verdeckte, es war vor allem doch die Verantwortung, die die Hausfrau zu tragen hatte, während Alf über viele Wochen hinweg auf Handelsfahrt war. Denn die Kaufleute pflegten ihre Waren stets zu begleiten, wenn sie mit den ochsenbespannten Wagen über Land Richtung Lüneburg oder auch zur Hammaburg fuhren oder mit der Knorr übers Meer nach Gotland segelten.

      Sie überwachten Be- und Entladen, verhandelten mit ihren Kunden, begutachteten alles, was sie zu kaufen gedachten, und feilschten oft lange um den Preis. Je günstiger sie einkauften, desto höher war der Gewinn beim Verkauf, und wenn nicht Schiff und Ladung verlorengingen im Sturm oder ihnen von Seeräubern abgejagt wurden, dann brachte jede Handelsfahrt ein beträchtliches Vermögen ein. Nicht umsonst trugen die Fernhändler pelzbesetzte Mäntel, Röcke aus feinem flandrischen Tuch, bunt gefärbt und bestickt, und sorgfältig gearbeitete Lederschuhe, dazu an Stelle der Filzkappe gelegentlich sogar ein Samtbarett wie sonst nur die Adligen.

      Auch Alf konnte sich solche Kleidung nun leisten, besaß er doch gemeinsam mit Jannes und dessen Bruder Simon drei Schiffe, und meist fuhr jeder der drei Kaufleute auf einem dieser breitbauchigen und kurzen Langschiffe. Längst hatte er seiner Margareta auch bestickte Hauben mit Bändern, einen grün gefärbten Umhang und so manches ebenfalls in schönen Farben leuchtende Kleid geschenkt, doch im Hause trug die Sparsame immer noch einfache linnene Trägerröcke zum langärmeligen Hemd und band sich ein wollenes Tuch als Schürze um. Dabei blieb ihr allzu grobe Arbeit inzwischen erspart: Alf hatte ihr einen Knecht dafür zur Seite gestellt, und auch eine Magd konnte sie beschäftigen – Brana, eine junge Wendin aus der Siedlung unterhalb der Burg. Dort lebten noch immer vorwiegend wagrische Handwerker, doch viele dienten nun als Hörige den Deutschen: auf den Schiffen, als Träger im Hafen oder eben als Dienstboten im Haushalt der Kaufleute und mancher deutschen Handwerker, die wie auch Dietmar zu Wohlstand gekommen waren.

      Immer mehr deutsche Worte mischten sich so in ihre slawische Sprache, und Duscha bestand darauf, dass auch Brana mit ihren Kindern deutsch sprach, obwohl sie selbst manche Anweisung für ihre Magd in der gemeinsamen Muttersprache gab, um sicher zu sein, dass das Mädchen alles versteht. Dabei duldete sie schmunzelnd, wenn ihre beiden Jüngsten manches slawische Wort, das sie von ihrer geliebten Brana gehört hatten, fröhlich nachplapperten. Ja, die Kinder, vor allem Johanna und Dietlind, die beiden zuletzt geborenen, hingen an der Magd, die ihnen manches durchgehen ließ, was die Mutter streng untersagt hätte. Doch Duscha war erneut schwanger, und diesmal litt sie mehr als sonst darunter. So war sie froh, dass Brana sich so liebevoll um die Kinder kümmerte.

      Einzig Dietmar, der Erstgeborene, ließ sich kaum noch etwas befehlen. Dafür lauschte er um so wissbegieriger, wenn die slawische Magd von früher erzählte, von König Heinrich und dem bösen Fürsten Kruto, dessen schöne junge Frau Slawina dann Gemahlin des Königs wurde. Aber auch Dragomir, der Knecht, musste ihm oft den Vater ersetzen. Er zeigte ihm, wie man Pfeil und Bogen handhabt, wie man ein gebrochenes Rad instand setzen kann und die vielen Münzen unterscheidet, mit denen die Händler umgehen mussten.

      Seit einem Jahr nun wohnte die Familie wieder in ihrem alten Wohnturm, nachdem die Bewohner Lubekes aus der Löwenstadt zurückgekehrt waren. Sie hatten die verlassenen Häuser wieder hergerichtet, und dort, wo sie niedergebrannt waren, neue errichtet, nun allerdings auf festen hölzernen Schwellen, die auf einem Bett von Feldsteinen lagen, die sich überall im Boden fanden. Auch Alf hätte gern ein richtig steinernes Haus errichtet, wie er es in Brunswik, der Residenz des Herzogs, gesehen hatte, doch solche Steine gab es nirgends im Wagrierland, und der Granit der Findlinge ließ sich kaum bearbeiten. So blieb es in Lubeke beim Holzbau, nur die Fußböden stellte man jetzt aus festgestampftem Lehm her, und einige reiche Kaufleute verlegten dort sogar richtige Platten aus gebranntem und glasiertem Ton.

      Überhaupt war die Stadt weiter gewachsen, seitdem der Herzog Stadtherr geworden war. Der Wald auf dem Werder war fast ganz verschwunden, sein Holz für den Bau der Häuser und auch der Schiffe verarbeitet. Die Siedlung dehnte sich nun weit über die Höhe hinweg nach Osten aus, in Richtung der Wochenitze, und auch um die Pfarrkirche St. Nikolaus herum hatten sich Häuser eingefunden, denn auch die Zahl der Priester und derer, die ihnen dienten, hatte zugenommen. Außerdem hatten die Bürger begonnen, auf dem Markt eine zweite Kirche zu errichten, die der Mutter Gottes geweiht sein sollte. Selbst eine dritte Kirche war schon fertiggestellt, dem Apostel und einstigem Fischer Petrus gewidmet. Sie stand hoch über dem Sumpfgelände der oberen Trave, dort, wo der Werder steil abfiel.

      Der Kietz an der Mündung der Wochenitze, der einst abseits lag, verborgen hinter dem Buchenwald des Hügels, grenzte nun fast schon an die Grundstücke der Kleriker, den Fischern dort blieb nur noch ein schmaler Streifen Land für ihre Äcker und Gärten. So waren viele in die Nähe des Hafens gezogen, wohnten nun am Rande des Sumpfgebietes der Trave, andere waren in die Hörigkeit geraten und dienten den Deutschen. Rastislav und Vesna, Duschas Eltern,