Eckhard Lange

Die Faehlings - eine Lübecker Familie


Скачать книгу

Teil abtreten, dann hast du nur einen kurzen Weg hinunter zum Hafen und zu den Schiffen. Dort magst du dir also ein eigenes Haus bauen, und dein Sohn und unsere Anna können miteinander spielen.“

      So kam es, dass Alf noch vor dem Weihnachtsfest an der Straße zum Hafen einen hölzernen Wohnturm errichtete, wie er inzwischen in den Städten Westfalens Mode geworden war: Keine dünnen Wände aus geflochtener Weide mehr, sondern feste Bohlen ringsum, mit einem Kellerraum, um Waren kühl zu lagern, und einer Treppe, die in ein zweites Geschoß führte, das nur zum Wohnen diente. Sorgsam überwachte Alf die Arbeiten: In die tief in den Boden ausgeschachtete Grube legten seine Knechte vier zurecht gehauene Balken in einem Quadrat und pflockten an jeder Ecke einen Ständer ein, groß genug, daß auch der hochgewachsene Bauherr gut darin stehen konnte. Die Wände dazwischen waren aus kräftigen Bohlen, denn die Erde, die danach wieder außen aufgeschüttet wurde, blieb oft feucht, und das Holz sollte ja nicht allzu schnell verrotten. Auf den festgestampften Boden kam eine Holzschicht; Zugang zu diesem Lagerraum bot eine Rampe von außen. Auch das oberirdische Geschoß ruhte auf kräftigen Schwellen, die Bohlen des Bodens ließ Alf ein wenig überstehen, damit das Haus sicher aufsaß. Zum zweiten Geschoß darüber ließ er statt einer bloßen Leiter eine Treppe anfertigen, die außen hinaufführte. In dem großen Raum wurde eine sichere Feuerstelle eingerichtet, die rings von Becherkacheln ummauert war und wohlige Wärme abstrahlte, ohne dass Funkenflug Schaden anrichten konnte. Dort würden Alf und Duscha ihre Bettstatt haben und der kleine Dietmar eine hölzerne Wiege, während das Herdfeuer im unteren Geschoß brannte und sein Rauch durch zwei große, verschließbare Luken abziehen konnte. So war auch äußerlich sichtbar, dass Alf der Faehling Kaufherr war – und sich bald auch mit seinem Freund Jannes und dessen Bruder sein erstes Schiff teilte, um es nach Gotland zu führen.

      Achtes Kapitel: Januar 1156

      Pribislaw, einst Herr im nun verbrannten Liubice an der Swartowe-Mündung, ist ein Herrscher ohne Macht, ohne Land und ohne Volk und damit auch ohne Einkünfte, denn Wagrien und Polabien, einst ihm untertan, hat Herzog Heinrich zu seinem Einflussgebiet erklärt, Adolf von Schauenburg und Heinrich von Badewide herrschen dort als seine Grafen. Dennoch ist Pribislaw nicht ohne Besitz und auch nicht ohne Einfluß, schließlich ist er der Letzte aus dem ruhmreichen Geschlecht der Nakoniden, aus dem die Fürsten Gottschalk und Heinrich entstammten, Samtherrscher über alle obotritischen Stämme, die sich sogar Könige nannten. Doch aller Glanz dieser Zeit ist vergangen, ihre Hauptburg, eben jenes alte Liubice, in dem sie einst sogar die erste Kirche aus Stein im ganzen Wendenland hatten errichten lassen, liegt verlassen, der Ort ist nicht mehr als eine armselige Fischersiedlung, die Kirche zerstört, und selbst das aufstrebende neue Lubeke auf dem Hügel Bucu kann sich nur mit einer kleinen Holzkirche schmücken.

      Pribislaw hatte sich in die Starigard, oder, wie die Deutschen jetzt sagen, die Oldenburg zurückgezogen, wo noch immer viele Wagrier leben und ihren alten Göttern dienen. Sie hören noch auf ihren Fürsten und achten auf seine Meinung, auch wenn es letztlich nur das Wort eines Privatmannes ist. Gut, Pribislaw hatte sich taufen lassen, und er sah die Zukunft seines Volkes wohl auch darin, christliche, deutsche Lebensweise anzunehmen, aber er respektierte es, wenn seine Landsleute nicht nur ihre Hausgötter verehren – tun das die Christen mit ihren vielen Heiligen nicht auch auf ihre Weise? – sondern auch in das uralte Heiligtum des Stammesgottes Prove pilgern, um dort, ganz in der Nähe Oldenburgs, ihre Opferfeste zu feiern. Und er ließ sich dabei auch gerne dort sehen, weiß er doch um den Einfluß, den die Priesterkaste des Prove immer noch im Land hat.

      Nun aber mußte er auch mit dem Einfluß eines anderen Priesters rechnen, denn in Oldenburg hatte sich Bischof Gerold angesagt, und Oldenburg ist seit Jahrhunderten schon christlicher Bischofssitz, seit der große Kaiser Otto dort einen Bischof eingesetzt hatte. Allerdings – das war nur eine Episode, bald wurden Bischof, Priester und Mönche wieder vertrieben oder erschlagen, und das Kirchlein neben dem mächtigen Burgwall war längst verfallen. Doch jetzt stehen die Dinge anders: Herzog Heinrich, den sie jetzt den Löwen nennen und der mit starker Hand auch über Wagrien regiert, hatte einen neuen Bischof ernannt, nachdem der greise Vicelin nach Jahren der Krankheit verstorben ist – einen Mann seines Vertrauens, seinen Hofkaplan aus Brunswik, und diesmal hat er seinen Gegenspieler, den Erzbischof in Bremen, ins Leere laufen lassen. Als dieser dem Günstling des Sachsenherzogs Ring und Stab verweigerte, hatte Heinrich ihn nach Rom bestellt und vom heiligen Vater höchst persönlich zum Bischof weihen lassen.

      Man wird sich gut stellen müssen mit diesem Priester, das wusste Pribislaw nur zu gut, und was könnte eine Zusammenarbeit besser fördern als die Einladung zu einem festlichen Gastmahl für den Bischof, der da in winterlicher Kälte herangezogen kam? So ließ der Slawe auftischen, was man an Köstlichkeiten nur bieten kann: Braten und Fisch, süße Speisen und dazu nicht nur Bier, sondern auch Wein in großer Menge. Der durchgefrorene Kirchenmann und seine Begleitung nahmen es dankbar entgegen.

      Artig erschien Pribislaw dann auch am nächsten Morgen, als der Bischof den Grundstein legen wollte für eine steinerne Kirche an dem Ort, wo er nun einmal Bischof sein sollte. Er geleitete die Gäste auch ein Stück Weges, doch machte er rechtzeitig kehrt, bevor der Besuch am Heiligtum des Prove vorbeikam, denn ihm schwante Unheil – der Bischof konnte dort kaum vorüberreiten, ohne Stellung zu diesem Götzendienst zu beziehen. Und so war es auch: Gerold und seine Schar durchbrachen das kunstvoll geschnitzte Tor zu dem heiligen Hain, rissen die Umzäunung ein und entfachten mit deren Holz ein mächtigen Feuer. Nur ein Götzenbild konnte er nicht zerschlagen, denn Prove wird unsichtbar verehrt unter den uralten Bäumen. Damit war auch das letzte Zentrum der obotritischen Religion zerstört, und niemand in der slawischen Bevölkerung wagte es, den Frevel zu rächen.

      Gerold aber zog weiter in Richtung Lubeke. Dort war er wenigstens unter Christenmenschen, und dort würde er auf eine deutsche Stadt treffen. Aber es gab noch einen weiteren Grund für diesen Besuch. Pribislaw hatte ihn gebeten, auf dem weiten Markt von Lubece zu predigen, und zwar vor den Vertretern der slawischen Sippen und den Ältesten ihrer Dörfer, und das konnte der Bischof keinesfalls ablehnen, war es doch eine einmalige Gelegenheit, endlich die Seelen der Heiden zu gewinnen. Doch Pribislaw hatte mehr im Sinn als die Bekehrung seiner Stammesgenossen, er wollte ihnen eine sichere rechtliche Stellung verschaffen, denn der Verlust der Freiheit und damit verbunden der Zwang zu hohen Abgaben erregte immer noch den Unmut der Wagrier, und er, ihr einstiger Fürst, würde sich zu ihrem Sprecher machen. Wenn man schon den Herzog nicht herbeizwingen konnte, seinem Bischof würde er schon das Ohr leihen.

      So zog Gerold Tage später in Lubeke ein, ebenso festlich empfangen wie einst sein Vorgänger Vicelin. Und wieder war es Hinrich von Soest, der den Bischof in seinem Hause beherbergte. Er bot ihm sicherlich kein so üppiges Gastmahl wie der Slawenfürst, doch Gerold spürte die Herzlichkeit seines Gastgebers. Am Tage darauf erschien Alf bei seinem Partner und bat um ein Gespräch mit dem Bischof. Auch er machte sich Gedanken über dieses Zusammentreffen mit den Sprechern der Wenden. Lange genug hatte er im Kietz an der Wochenitze gelebt, um die Sorgen der vielen Einwohner slawischer Herkunft zu verstehen, und er hatte selbst schmerzlich erfahren, wie groß die Kluft zwischen ihnen und den Deutschen immer noch war. Nichts wünschte er sich darum mehr als Frieden, als ein gutes Miteinander, und dazu würde gehören, die Slawen nicht anders zu behandeln als die Deutschen. War es in der eigenen Familie gelungen – sollte es nicht auch im Großen zu erreichen sein?

      Vicelin, der Missionar, hatte viele Jahre unter den Wenden gelebt, er kannte ihre Sprache und hatte sich redlich gemüht, ihnen den neuen Glauben zu vermitteln, und er war doch oft genug gescheitert. Ob es gelingen könnte. den neuen Bischof für diese Aufgabe zu gewinnen? Als Alf den Raum betrat, wo Gerold ihn erwartete, begegnete er einem hochgewachsenen, aber auch hochfahrenden Mann im Priestergewand. Demütig küsste er den Ring, wartete, bis der Bischof ihn zum Sitzen einlud, und äußerte zunächst seine Freude darüber, dass das Land Wagrien nun wieder einen Hirten hätte. Gerold nahm es mit einem Kopfnicken zur Kenntnis.

      „Ihr müsst wissen, hochwürdiger Herr, dass ich aus dem Westfälischen hierher gekommen bin, aber heute ist Lubeke meine Heimat. Und Ihr sollt auch wissen, dass ich eine gute und fromme Hausfrau habe, Mutter meines Sohnes, den einst Bischof Vicelin selbst getauft hat, und dass mein Weib eine Slawin ist. Der allmächtige Gott hat uns zusammengeführt, wie