Eckhard Lange

Die Faehlings - eine Lübecker Familie


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Schlucken. Sie wusste wohl, dass man berauscht werden kann von Wein, vor allem, wenn man ihn nicht gewöhnt ist. Doch Hinrich hatte noch ein Anliegen: „Ich habe gestern Dietmar getroffen. Er ist in großer Sorge, denn seine kleine Tochter leidet an hohem Fieber. Magdalene hat den Priester Ethelo geholt, weil sie gehört hat, dass die Mönche in den Klöstern sich auf Heilkunst verstehen. Aber er wußte nur Gebete gegen die Krankheit.“

      Duscha blickte ihn an, sie ahnte, was er wollte: „Die Frau des Schmieds wird mich kaum in ihr Haus lassen, und aus der Ferne lässt sich schwer raten. Wenn ich wenigstens wüsste, woher das Fieber kommt. Manchmal ist Fieber gut und manchmal schlecht, manchmal geht es von selbst wieder fort, und manchmal kann es den Tod bringen.“ Hinrich seufzte. Er hätte dem Freund gerne geholfen. „Also gibt es keine Hilfe?“ Die junge Frau legte ihm eine Hand auf den Arm: „Die Kleine ist Alfs Schwester, wie sollte ich da nicht alles versuchen? Ich werde mit meiner Mutter reden, sie ist erfahren in vielen Dingen, sie wird Rat wissen. Und Alf wird Euch aufsuchen, wenn wir ein Mittel wissen. Nur eines müsst Ihr versprechen: Magdalene darf nicht erfahren, woher Ihr die Medizin habt. Sie würde sie nur in die Kloake werfen – oder mich gar der Giftmischerei bezichtigen. Laßt Euch etwas einfallen, Hinrich. Gott wird Euch eine kleine Lüge gewiß verzeihen.“

      Danach eilten beide zum Hafen. Alf schob den Einbaum ins Wasser, der abseits von der Bohlenwand, die den großen Schiffen jetzt einen Ankerplatz unmittelbar am Ufer gewährte, auf dem Strand lag, sie sprangen hinein und Duscha griff nach den Riemen. „Eigentlich wollte ich dem zukünftigen Seefahrer zeigen, wie man ein Boot lenkt und ihn das Rudern lehren, doch jetzt haben wir keine Zeit dafür.“ Mit kräftigem Schlag trieb sie den Einbaum flussaufwärts, und als sie den Strand im Kietz erreichten, raffte Duscha ihr Kleid in die Höhe, sprang in das flache Wasser und lief auf die Hütte der Eltern zu. „Zieh das Boot an Land,“ rief sie Alf zu und verschwand.

      Nachdem der junge Ehemann den Einbaum sicher auf dem Ufer hatte, folgte er ihr und lehnte sich draußen gegen die lehmverputzte Wand. Von drinnen hörte er, wie die beiden Frauen miteinander sprachen, dann klang das Stampfen eines Mörsers an sein Ohr. Nach kurzer Zeit erschien Duscha, in der Hand einen kleinen Leinenbeutel, sorgfältig mit einem schmalen Lederband verschnürt. „Bring es zum Kaufmann Hinrich,“ sagte sie. „Die Mutter soll jeweils einen Löffel voll in einem Trinkbecher aufbrühen und ihrer Tochter einflößen, sobald der Trank kühl genug ist, sie kann auch einige Tropfen Honig hinzufügen, dann schmeckt er angenehmer. Das ganze muß sie solange wiederholen, bis der Beutel leer ist. Und jedes Mal soll sie zweimal den Rosenkranz beten, das ist wichtig.“

      Alf sah seine junge Frau erstaunt an, aber die lächelte verschmitzt: „Gebete sind immer gut, wenn sie aus reinem Herzen kommen. Aber hier gibt es einen anderen Grund: Es geht um den Abstand, mit dem die Medizin jeweils eingeflößt werden soll. Es ist nicht gut, würde Magdalene dem Kind alles auf einmal zu trinken geben, und unser Trank bliebe wirkungslos, wenn zu viel Zeit verstreichen würde. Also schärfe Hinrich alles gut ein, ich hoffe, wir können der Kleinen helfen.“

      Der junge Mann machte sich mit eiligen Schritten auf den Weg, über den Hügel hinweg zur Civitas, und richtete Hinrich aus, was Duscha ihm aufgetragen hatte. Der lief auch sofort den Weg hinauf, um Dietmar und seinem Weib den Beutel zu übergeben und alles auszurichten, ja, er blieb solange zu Gast, bis er sich überzeugt hatte, dass Magdalene genau nach Duschas Anweisungen verfuhr. Die Mutter hatte in ihrer Sorge überhaupt nicht gefragt, woher Hinrich die Medizin hatte, und als der Schmied ihn fragend ansah, sagte er nur: „Es ist nichts Unrechtes dabei, ich kann mich für den Arzt verbürgen, der mir das Mittel gab.“

      Zwei Tage danach erschien Alf erneut bei seinem künftigen Lehrmeister, und Hinrich erzählte ihm voller Freude, dass es der Tochter des Schmieds wieder besser ginge. Sie sei zwar noch schwach, aber das Fieber wäre schon gänzlich verschwunden, und ihre Augen blickten wieder blank und aufmerksam. „Sage deiner Ehefrau meinen Dank,“ sagte er, um hinzuzufügen: „Nur eines schmerzt mich: Daß Magdalene und Dietmar nicht wissen, wer der Kleinen geholfen, ja vielleicht das Leben gerettet hat. Aber vielleicht kommt die Zeit, dass sie es erfahren dürfen und deine Margareta endlich in die Arme schließen. Sie hätte es wirklich verdient.“

      Siebentes Kapitel: Oktober 1150

      Die letzten Jahre hatten die neue Gründung des Grafen Adolf von Holstein sehr verändert: Viele Siedler waren seinem Ruf ins Wagrierland gefolgt – nicht nur Holsten und Stormarner, sondern auch Sachsen vom anderen Ufer des Elbstroms, Friesen und Flamen und allerlei andere. Eine ganze Anzahl Kaufleute aus Bardowieck hatten sich inzwischen in der neuen Hafenstadt niedergelassen, denn hier waren sie direkt am Umschlag der über die See herangebrachten Waren. Sogar Kölner Händler hatten den Weg nach Lubeke gefunden, wie die Civitas nun im Reich allgemein genannt wurde, oder Lubeca, wie die Kanzlisten der Fürsten in ihren lateinischen Urkunden schrieben. Der Handel im Hafen wuchs Monat für Monat, und der Handel zog die Handwerker an, die hier genügend Beschäftigung fanden. Selbst einige Wenden boten nun ihr Können an, meist waren ihnen Plätze jenseits des Marktes zugewiesen worden, denn die neue Stadt dehnte sich nun auch nach Osten hin aus, die Straßen, die vom Hafen zum Markt hinaufführten, waren über die Höhe hinweg bereits verlängert worden. Auch hatten einige der Kaufleute begonnen, ungenutzte Teile ihrer großen Grundstücke an neu Zugezogene zu vergeben, die gerne in Hafennähe leben wollten.

      Graf Adolf hatte den Vorschlag, den ihm einst Hinrich von Soest gemacht hatte, nicht vergessen. Längst konnte Reginald, sein Vogt, nicht mehr alle Dinge regeln, jeden Streit schlichten und jeden Diebstahl ahnden. So hatte der Schauenburger ihm Vertreter der Bürgergemeinde zur Seite gestellt, angesehene Männer wie die Älterleute der Schwurgemeinschaft der Fernhändler, die nun vieles in eigener Verantwortung klärten, Vorschriften erließen und auch in den alltäglichen Angelegenheiten Streit schlichteten.

      Alf, den man nun wegen manch anderer gleichen Namens unter den Seefahrern auf Grund seiner Herkunft aus dem Westfälischen „den Faehling“ nannte, hatten seinen Teil an dem Aufschwung, den die neue Stadt nahm. Schon vom ersten Handelszug nach Bardowieck war er mit Gewinn zurückgekehrt, dank der Hilfe von Hinrichs Sohn Jannes, in dem er einen neuen Freund gewonnen hatte. Wohlgemut stach er im kommenden Jahr erstmals mit einer kleinen Flotte in See, und auch, wenn ihm das ständigen Schaukeln des Schiffes tagelang Übelkeit bereitete, gelangte er ohne Zwischenfälle nach Gotland. Die deutschen Kaufleute hatten dort eine eigene kleine Niederlassung in Visby, auch wenn der Handel mit den östlichen Ländern, mit Esten und Russen, in der Hand der Gotländer war, so blieben sie doch auf die Deutschen angewiesen, die ihnen die Waren abnahmen und gegen Erzeugnisse aus dem Reich König Konrads einhandelten.

      Bevor Alf zu seiner ersten Seereise aufbrach, hatte seine Frau gefragt: „Kannst du eigentlich schwimmen?“ Er schüttelte den Kopf: „Ich habe das noch nie versucht, doch ich denke, jeder Mensch kann sich auch im Wasser bewegen, so wie die Hunde es tun.“ Duscha lachte. „Das würde ich nicht ausprobieren, du hättest bald mehr Wasser geschluckt, als du in einer Woche an Bier verbrauchst.“ Sie zog ihn aus ihrer Hütte im Kietz, die sie noch immer bewohnten, und führte ihn ein wenig abseits dorthin, wo ihre Fluchtinsel lag. „Ich werde es dir zeigen,“ sagte sie und legte dann Kleid und Hemd sorgfältig zusammen. Alf kniff erschrocken die Augen zusammen. Natürlich hatte er seine Frau auch schon ohne ihre Kleider gesehen, aber doch stets nur in dem Halbdunkel, das im Inneren ihres Grubenhauses herrschte. Nun aber stand sie nackt im hellen Sonnenlicht vor ihm, und ihn packte ein heftiges Begehren. Doch Duscha hatte anderes im Sinn: „Komm, zieh deine Kleider aus,“ sagte sie, um dann belehrend fortzufahren: „Jeder Stoff, der sich voll Wasser saugt, wird schwer wie ein Kettenhemd und zieht dich nach unten. Das solltest du wissen, wenn du einmal ins Wasser fällst oder hineinspringen musst. Alles, was du am Körper trägst, hindert dich am Schwimmen, und vielleicht sogar am Überleben. Sieh zu, dass du es abstreifen kannst. Auch jetzt!“

      Da gehorchte Alf. Duscha beobachtete ihn genau und fing an zu lachen: „Ihr Männer könnt aber auch gar nichts verbergen! Aber dafür ist später Zeit. Jetzt heißt es, das Wasser zu erobern und nicht die eigene Frau.“ Und sie sprang mit einem großen Satz in das Wasser, watete in den Fluß hinaus, bis er tief genug war, und warf sich dann lang in die Fluten, drehte sich auf den Rücken, bewegte Arme und Beine und rief: „Wo bleibst