Eckhard Lange

Die Faehlings - eine Lübecker Familie


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Vesna in die Siedlung kam. Lange hatte es leer gestanden, nur als Lager für einige Vorräte gedient. Doch er mochte es nicht abreißen, als er die ebenerdige, größere und schönere Hütte für seine Familie errichtet hatte. Es erschien ihm Unrecht, das Dach zu zerstören, unter dem er sich zum ersten Mal mit Vesna vereinigt hatte. Sollte nun seine Tochter dort ebenso glücklich werden, wie er es mit seinem Weibe all die Jahre gewesen war, auch wenn er solche Gefühle nie zeigen und schon gar nicht aussprechen konnte. Aber er wusste, dass Duschas Mutter ebenso dachte. Sie brauchten sich nur gegenseitig anzuschauen.

      Alf wog den Beutel in seiner Hand. „Ich hätte als Schmied arbeiten können, hier oder auch irgendwo in der Fremde,“ sagte er zu Duscha. „Mein Vater war ein guter Lehrmeister. Aber im Grunde habe ich immer etwas anderes gewollt. Die Schiffe im Hafen, die Erzählungen der Händler und der Schifferknechte, ja, und auch die Möglichkeiten, mit dem Tausch von Waren schnell zu Wohlstand zu kommen – das hat mich gereizt. Ich weiß, der Weg übers Meer ist mit mancherlei Gefahren verbunden, und ich werde viele Wochen fort sein von dir – das schmerzt mich am meisten. Aber ich könnte für dich sorgen, dir ein schönes Haus bauen – einen festen Wohnturm mit Keller und einem Kachelofen für die Wohnstube, und ich könnte dir gefärbtes, feines wollenes Tuch mitbringen und eine Bernsteinkette.“

      Duscha lachte: „Du bist schon weit in der Zukunft, mein lieber Gemahl! Ich kenne mich auch aus am Hafen. Da muß man klein anfangen, schwer arbeiten und gehorchen, bevor man in die Schwurgemeinschaft der reichen Fernhändler aufgenommen wird. Und man kann über Nacht alles verlieren – Schiff und Waren und selbst Haus und Hof. Das solltest du nicht vergessen.“ Alf nahm sie in den Arm: „Ich weiß, Liebste. Auch Glück gehört dazu, nicht nur Wagemut und Erfahrung. Ich weiß. Aber ich werde diesen Weg gehen. Und jetzt, wo ich diesen Beutel habe, bin ich mehr als bloß ein Ruderknecht. Ich kann mich am Kauf der Waren beteiligen, und auf der nächsten Reise vielleicht schon am Schiff.“ Er macht eine Pause, dann fuhr er leise fort: „Mein Vater mag gegen unsere Heirat sein, aber er ist ein guter Mensch. Und ich bin sicher: Wenn er dich einmal kennenlernt, dann wird er auch anders denken als jetzt. Eigentlich ist es ja Magdalene, die dir gram ist – obwohl sie keinen Grund dafür hat.“

      Am nächsten Tag suchte Alf den Kaufmann Hinrich von Soest auf. Ihn schätzte er am meisten von den Fernhändlern, und ihm wollte er sein Anliegen vortragen. Hinrich hörte ihm aufmerksam zu. „Ich sehe, du willst mit etwas Vermögen beginnen,“ sagte er dann. „Das ist gut. Seit ich damals verwundet wurde, kann ich nicht mehr selbst auf Reisen gehen, und meine beiden Söhne fahren inzwischen auf eigenen Schiffen. Du kennst sicherlich die Schiffe hier im Hafen, die schmalen Langschiffe der Dänen und Norweger, aber auch die Knorre, die kürzeren, bauchigen, mit denen wir meistens fahren, weil sie mehr Waren fassen. Aber alle brauchen sie Ruderknechte, auch wenn uns das Segel oft hilft, schneller voranzukommen bei günstigem Wind. Wir reden gern von unseren Schiffen, aber kaum eines gehört einem einzigen Handelsherrn, wir teilen uns die Kosten für den Schiffbau und betreiben lieber mehrere zugleich, denn dann wird auch der Schaden geteilt, wenn Schiff und Waren verloren gehen. Wenn du also von deinem Vater Geld bekommen hast, könntest du dich an einem der Schiffe beteiligen und deine eigenen Waren mitführen. Doch ich würde dir raten, warte damit und lerne erst einmal, was es zu wissen gilt für einen guten Kaufmann.“

      Alf hatte gespannt zugehört. Manches war ihm längst bekannt, anderes hörte er jetzt erst, und es erklärte vieles, worüber er nachgedacht hatte. Hinrichs Rat schien ihm gut zu sein, und so fragte er: „Würdet Ihr mich denn zu euch nehmen als Kaufmannsgehilfen?“ „Genau das wollte ich dir anbieten. Seit ich nicht selbst mehr auf ein Schiff kann, ohne große Schmerzen dabei zu bekommen, muß ich meine Waren anderen anvertrauen, meinen Söhnen zumeist, doch auch fremden Händlern. Ich vertraue ihnen, ja, aber ich kann nicht mehr selber das Mitgebrachte gegen das Gewünschte tauschen, und gerade darin besteht die Kunst des Kaufmanns: Zu wissen, was etwas wert ist, und was es einbringen könnte, wenn es dann in Bardowieck oder Lüneburg oder gar im fernen Soest angeboten wird. Wieviel Ellen flandrisches Tuch gibst du dem Gotländer, wenn er dir fünf russische Zobel anbietet, und wie viel Faß Wein kannst du verlangen, wenn du im Reich die fünf Zobel auf den Markt bringst? Wieviel Abgaben musst du zahlen, wenn die Fürsten Zoll erheben unterwegs, wie viel Lohn schuldest du den Ruderknechten und Fuhrleuten? Das alles gilt es vorher zu bedenken, und nur wer das Spiel beherrscht, wird dabei reich.“

      Hinrich griff sich plötzlich an die Schulter und verzog das Gesicht. „Dieser Obotrit hatte einen starken Schlag,“ sagte er bitter. „Nichts ist mehr wie früher, und die Wunde ist nach den vielen Monden plötzlich erneut aufgebrochen und eitert. Es gibt Nächte, da kann ich keinen Schlaf finden, weil mich der Schmerz plagt.“ Da kam Alf ein Gedanke: „Meine Duscha – ich meine, mein Eheweib Margareta kennt allerlei Kräuter, ihre Mutter hat schon manchen dort im Kietz geheilt. Wenn es Euch recht ist, würde ich sie bitten, einmal nach Eurer Wunde zu sehen.“ „Da ist doch keine Zauberei im Spiel?“ fragte Hinrich. Es sollte ironisch klingen, aber Alf hörte doch eine geheime Angst heraus, die viele vor dem Wissen der Heiden empfanden. „Margareta ist eine gute Christin, niemals würde sie Hexerei betreiben. Es sind die natürlichen Kräfte der Pflanzen, die sie zu nutzen weiß.“ Da stimmte Hinrich zu.

      „Was jetzt dich angeht,“ nahm er das Gespräch wieder auf, so mache ich dir folgenden Vorschlag: Du begleitest meinen Ältesten, den Jannes, auf seiner nächsten Reise, du sperrst Augen und Ohren auf, soweit es nur geht, und ich vertraue dir einige Waren an, die du für mich eintauschen wirst. Doch frage stets erst Jannes um seinen Rat, ehe du einschlägst. Das ist kein Misstrauen, aber du sollst ja lernen, das anvertraute Gut zu mehren. Und noch etwas: Deine erste Reise wird dich nicht nach Gotland führen. Bevor du das Schiff besteigst, wirst du in einer Hanse mitreiten, die Waren nach Bardowieck bringt. Diesen Weg bis du ja schon einmal gezogen. Wenn du willst, dann kannst du eine halbe Last Waren auf eigene Rechnung mitführen und tauschen, damit du dir Wegzehrung und Fuhrlohn verdienst. Und vertraue auf Jannes und seine Erfahrung, sie wird dir nützen.“ Hinrich hielt dem jungen Mann die Rechte hin: „Stimmst du zu, dann schlag ein!“ Und Alf ergriff freudig die Hand des Kaufmanns.

      Am folgenden Tag kam er zu Hinrich von Soest zurück, begleitet von Duscha, die einen Korb mit allerlei Kräutern trug. Willig zeigte der Händler ihr die offene Wunde. Duscha betrachtete den verletzten Arm sorgfältig, dann bat sie um Wasser und einen sauberen Topf, um einige Kräuter auszukochen und den Sud mit Haferschleim zu einem Brei zu verdicken, den sie vorsichtig auf die Wunde strich. Danach band sie einen Streifen frisches Leinen um die Schulter und gab den restlichen Brei dem Kaufmann: „Laßt Euch die nächsten Tage jeden Morgen etwas Brei auftragen, aber achtet darauf, dass jedes Mal neues und sauberes Leintuch verwendet wird,“ sagt sie. „Wenn es Euch recht ist, werde ich am vierten Tage noch einmal kommen, dann sehen wir, ob die Kräuter Euch geholfen haben.“ Hinrich wollte ihr danken, doch sie wehrte ab: „Ihr habt Alf einen großen Wunsch erfüllt, da ist es nur recht, dass ich Euch danke mit meiner Kunst. Und ich hoffe sehr, dass sie wirksam ist.“

      Es war der vierte Tag danach. Duscha hatte ihren Vater gebeten, ihr den Einbaum auszuleihen, um damit zum Hafen zu fahren. „Willst du mitkommen? Dann kannst du gleich einmal erfahren, wie es ist, wenn ringsum nichts ist als Wasser. Das sollte jeder ausprobieren, bevor er auf große Fahrt geht.“ Alf ließ sich nicht schrecken und sprang mutig ins Boot, allzu mutig, denn fast wäre er kopfüber im Wasser gelandet, weil der Einbaum auskragte. Nur Duschas Geschicklichkeit war es zu verdanken, dass das Boot nicht kenterte und auch Alf an Bord blieb. Sie lachte ihn an: „Nicht die Draufgänger, sondern die Vorsichtigen kommen am besten ans Ziel. Merk dir das für später!“

      Als sie vom Hafen her Hinrichs Haus erreicht hatten, kam der Kaufmann ihnen schon an der Tür entgegen: „Deine Frau ist doch eine Zauberin,“ sagte er lächelnd zu Alf. „Aber wer den Namen der heiligen Margareta trägt, der wird wohl auch für offene Wunden zuständig sein wie sie.“ Er zeigte Duscha die Verletzung, sie hatte sich tatsächlich geschlossen. Die junge Frau betrachtete die Wunde genau. „Wir machen Fortschritte,“ sagte sie nüchtern, „doch bis zur Heilung wird es noch dauern. Ihr müßt weiterhin sehr vorsichtig sein und den Arm möglichst wenig bewegen. Ich habe die Salbe schon vorbereitet, nehmt dieses Töpfchen. Ihr solltet sie mindestens noch eine Woche auftragen, doch vergesst nicht: Immer nur ein frisches Leinentuch benutzen!“

      Hinrich