lag anscheinend unversehrt am Rand des Marktes. Doch selbst, wenn die Feinde noch einen Brand hineinwerfen sollten – die wichtigsten Dinge waren sicher versteckt: Er hatte bereits Tage zuvor vorsorglich eine Grube neben der Schmiede ausgehoben, die Truhe mit den Kleidern für den Winter, das Zinngeschirr, das er als Zeichen seines Wohlstandes jetzt nutzte, und der Lederbeutel mit den Münzen, die er zurückgelegt hatte, sie alle waren dort verborgen, mit Planken und einer Erdschicht abgedeckt. Nur Alf und sein Weib kannten die Stelle und würden sie auch wiederfinden, falls ihm etwas zustoßen sollte.
Da sah er plötzlich einen Reiter herannahen, umgeben von einem Kriegshaufen. Er erkannte Fürst Niklot sofort und duckte sich hinter den hohen Flechtzaun, der sein Grundstück abgrenzte. Der Obotritenherrscher ließ Hörner blasen und schien seine Männer auf dem Markt zu versammeln. Offensichtlich gab es in der Siedlung keinen Widerstand mehr, und der Fürst wollte wohl verhindern, dass seine Krieger sich in Plünderei verloren, ehe er nicht auch die Burg erstürmt hatte, denn er wies nach Norden, und die Wenden setzten sich in Bewegung. Da hörte Dietmar plötzlich einen lauten Schmerzensschrei und danach das Gejohle der Krieger.
Erst als die letzten Slawen abgezogen waren, wagte er sich aus seinem Versteck. Als er auf den Markt hinaustrat, um sich vorsichtig umzuschauen, sah er den Mann auf dem Boden liegen: Es war der Priester Rudolf, er trug seine Mönchskutte, sonst würde Dietmar ihn kaum noch erkannt haben. Der ganze Leib war mit Wunden von Schwert- oder Axthieben übersät, der Schädel gespalten und voller Blut. Den Schmied schauderte: Das war die Rache der Obotriten für diesen unseligen Kreuzzug gegen die wendischen Stämme, zu dem nicht nur der Heilige Vater im fernen Rom, sondern auch jener Mönch Bernhard, dieser wortgewaltige Prediger aus dem Kloster von Clairvaux, aufgerufen hatte. Und hier hatten sie einen anderen Mönch dafür büßen lassen. Dabei waren doch auch die Obotriten einmal getauft worden, aber weder die deutschen Fürsten noch sie selbst nahmen diese erzwungene Handlung ernst.
Offenbar hatte Rudolf versucht, von seiner Kirche aus die rettende Burg zu erreichen, doch die Feinde kamen ihm zuvor. Also war es auch für Dietmar nicht ratsam, sich nach Norden zu wenden, in die Siedlung zurückzukehren, schien ihm ebenfalls zu gefährlich. So überquerte er raschen Schrittes das offene Gelände und stieg den Hügel nach Osten hin hinunter, dort war er noch völlig unbewohnt, und wenn auch der Wald bereits gerodet war, blieb genügend Unterholz, um unbemerkt abzuwarten, was die Feinde vorhatten.
Zwei lange Tage hielt sich Dietmar dort versteckt, schöpfte nur etwas Wasser aus einem kärglichen Rinnsal, das in Richtung Wochenitze floß. Dann hörte er, wie die wendischen Krieger von der Burg zurückkehrten und zu den Schiffen eilten. Für eine Plünderung blieb ihnen auch diesmal keine Zeit, ihr Fürst schien zum Abzug zu drängen. Entweder zog nun Graf Adolf heran, oder der Obotrit plante weitere Überfälle, ehe es für ihn gefährlich wurde. Daß Reginalds Männer die Burg tapfer verteidigt und alle Angriffe abgewiesen hatten, erfuhr Dietmar erst später; ebenso, dass Hinrich von Soest, zwar verletzt, aber dennoch lebend, den Überfall überstanden hatte. Doch in den Häusern und auf den Straßen lagen wohl Hunderte von Erschlagenen. Das neue Liubice war schwer gezeichnet, doch es würde überleben.
*
Einer der Späher kam ins Dorf zurück und berichtete, dass die Obotriten Richtung Burg gezogen waren. Alf wollte schon in die Civitas zurückkehren, doch der Älteste hielt es für zu gefährlich, zumal die Frau doch schwanger wäre, und Rastislav und Vesna bestanden darauf, daß die beiden weiterhin ihre Gäste wären. Sie selbst nächtigten im Freien, was ihnen angesichts der Temperaturen nicht schwerfiel, aber sie wollten den Deutschen die Hütte überlassen. Alf fürchtete sich zunächst davor, mit Magdalene allein in dem kleinen Raum zu bleiben, doch die junge Frau hatte wieder ihre abweisende Haltung eingenommen. Ebenso abweisend blieb sie auch gegenüber ihren Gastgebern, doch weder Duscha noch ihre Eltern fühlten sich gekränkt, sie rechneten alles ihrer Schwangerschaft zu.
Gegen Abend wollte Alf wenigstens von ferne einen Blick auf Hafen und Siedlung werfen, der aufkommende Wind hatte leichten Brandgeruch herübergetragen, und er machte sich Sorgen um seinen Vater. Duscha begleitete ihn wie selbstverständlich, obschon es höchst unschicklich war, dass ein junges Mädchen ganz allein mit einem fremden Mann in den Wald aufbrach. Lange blickten die beiden von dem Aussichtspunkt der Späher nach Liubice hinüber. Von den verbrannten Handelsschiffen war kaum noch etwas zu sehen, nur die Langboote der Obotriten lagen bewacht im Hafen. Der größte Teil der Siedlung blieb ihnen von dort verborgen, die Häuser in Hafennähe standen größtenteils noch, einige waren nun allerdings rußgeschwärzte Ruinen. Menschen konnten sie nirgendwo entdecken, entweder waren sie tot oder geflohen.
Es dämmerte, und die beiden kehrten zurück. Alf hatte die Hand des Mädchens gefasst, während sie sich zwischen den Buchenstämmen hindurch ihren Weg bahnten, und Duscha ließ es geschehen. In dem Wald oberhalb der Fischersiedlung blieb sie plötzlich stehen und wandte sich Alf zu. „Ich mag noch nicht ins Dorf gehen,“ sagte sie, „dort müssen wir uns wieder trennen.“ Alf blickte sie an: „Möchtest du denn bei mir bleiben?“ fragte er leise. Sie nickte und schwieg. Plötzlich begann sie an ihrem Gürtel zu nesteln, öffnete ihn und ließ wortlos ihr Kleid zu Boden gleiten. Nun trug sie nur noch ihr knielanges Hemd. „Möchtest du mich fühlen?“ fragte sie, und ohne auf eine Antwort zu warten, griff sie nach Alfs Händen und presste seine Handflächen gegen ihre Brüste. Alf war so überrascht, dass er alles tat, was ihre Hände ihm vorgaben zu tun. Er spürte ihre Brustwarzen durch den dünnen Leinenstoff, und er fühlte ihren Herzschlag, und als sie ihm immer dichter kam, überwand er alle Scheu und küsste sie auf den Mund. Er drängte seinen Körper dicht an den ihren, und lange standen sie so, berührten einander, empfanden die Wärme des anderen, während die Sonnenstrahlen immer weiterwanderten.
Duscha zitterte. „Du frierst,“ sagte Alf und löste sich aus der Umarmung. Er hob ihr Kleid auf und reichte es ihr, sie streifte es über und schlang auch den Gürtel wieder um die Hüfte. „Wollen wir uns hier wieder treffen?“ fragte Duscha. „Ich habe Sehnsucht nach dir.“ „Ich auch nach dir, Duscha,“ antwortete Alf unbeholfen, und dann sagte er leise: „Ich werde dich einmal heiraten.“
Sechstes Kapitel: Mai 1148
Noch waren die Begegnungen dort oben am Waldrand allen verborgen geblieben, nur Vesna, Duschas Mutter, ahnte, warum ihre Tochter so oft verschwand, wenn die Abenddämmerung hereinbrach. Sie lächelte, weil sie dabei an ihre eigene Jugend dachte, aber sie machte sich auch Sorgen, weil sie vermutete, dass die Tochter sich mit diesem Deutschen traf, und das war auf beiden Seiten nicht gern gesehen. Aber sie schwieg. Duscha konnte man keine Vorschriften machen.
Alf hatte lange gewartet, bis er eine Gelegenheit fand, Dietmar allein zu treffen. Wenn er in der Schmiede arbeitete, mochte er ihn nicht stören, er wusste selbst, dass man bei dieser Arbeit alle Aufmerksamkeit brauchte. Er selbst war mit den Jahren ein leidlich guter Schmied geworden und nahm dem Vater manchen Auftrag ab, aber er trachtete nicht danach, sein Leben lang Schmied zu bleiben. Immer wieder hatte er am Hafen mit Schiffsführern und Händlern gesprochen, und für ihn stand fest, dass er einmal ebenso auf Gotlandfahrt gehen würde. Hinrich von Soest, der Freund des Vaters seit den Tagen des großen Trecks, der nun mit der verletzten Schulter nicht mehr selbst auf Reisen gehen konnte, würde ihn sicher als Gehilfen nehmen. Aber das war im Augenblick nicht sein Anliegen.
Magdalene war mit dem Korb zum Markt hinaufgegangen, ihre kleine Tochter trug sie in einem Leinentuch vor sich her. Alf wusste, dass sie eine ganze Weile fortbleiben würde. Und Dietmar saß auf einer Bank vor dem Haus und genoß für einige Zeit die Wärme der Sonne, obwohl es an der offenen Esse doch wesentlich wärmer war. Aber er brauchte jetzt öfter einmal diese Pause, schließ hatte er fast sein fünftes Lebensjahrzehnt vollendet. Alf setzte sich neben ihn, eine Weile schwiegen sie, dann wagte der Sohn endlich auszusprechen, was er seit Wochen schon vorbringen wollte:
„Vater,“ sagte er unvermittelt in die Stille hinein, „ich möchte dich bitten, mir die Heirat zu erlauben.“ Dietmar sah erstaunt auf, doch dann lächelte er ein wenig: „Es ist wohl meine Schuld, Sohn, dass ich daran nicht gedacht habe, obwohl du alt genug bist für den Ehestand. Und jetzt hast du dir allein eine Frau gesucht, ohne dass die Väter es vereinbart haben?“ „Ja, so ist es wohl.“ „Nun gut, wenn sie dir