Doch der Vogt erwies sich als gut unterrichtet und gab ihm noch manchen Rat mit auf den Weg.
Am nächsten Tag setzten die Siedler über den Strom, und abgesehen davon, dass einer von ihnen in die Elbe stürzte und mühsam geborgen werden musste, verlief alles so, wie Hinrich es geplant hatte. Auch die Reise durch das Land der Polaben blieb ohne Zwischenfälle, und Ende August erreichte der Treck endlich die Wochenitze und zog durch die Furt auf den Werder von Bucu. Hinrich ließ alle auf dem großen Platz, der einmal der Markt von Liubice werden sollte, lagern und schickte den Knecht zur Burg, um Vogt Reginald seine Ankunft zu melden. Der war inzwischen nicht untätig gewesen. Die Palisaden auf dem Burgwall waren aufgerichtet, die Besatzung hatte Hütten und Ställe errichtet, eine Palisadenwand schloß nun den schmalen Hals des Werders und damit bis auf ein hölzernes Tor den Weg, der östlich der Burg aufs feste Land führte.
Auch hatten Reginalds Leute die Wege abgesteckt, die Hafen und Markt verbinden sollten, und die Grundstücke markiert, die dazwischen lagen. Dabei hatte der Vogt zuvor die Schwurgemeinschaft der Fernhändler versammelt, um mit ihnen gemeinsam zu beraten. Schon im alten Liubice an der Swartovemündung hatten sich die Kaufleute verschworen, auf ihren gemeinsamen Fahrten nach Gotland ebenso gemeinsam nicht nur Leib und Leben, sondern auch Eigentum und Waren gegen alle Angriffe zu verteidigen. Inzwischen hatte Reginald auch die letzten, am alten Platz noch verbliebenen Händler davon überzeugt, dass ihre Zukunft hier auf dem Werder von Bucu liegt, sie mit Vergünstigungen verlockt und ihre Gemeinschaft als Vertragspartner anerkannt im Namen seines Grafen. Zwei von ihnen benannte Ältermänner waren nun an allem beteiligt, was die Gründung der neuen Civitas betraf.
So ließ Reginald die beiden Ältermänner rufen, um gemeinsam mit ihnen die neuen Siedler zu begrüßen und ihnen die passenden Grundstücke zuzuweisen, nachdem Hinrich von Soest die Männer und ihre Gewerke vorgestellt und seine Empfehlung abgegeben hatte. Auch die Menge des Holzes, das sie ohne Abgaben einschlagen durften, wurde festgelegt, und zu jedem Grundstück erhielten die Neuankömmlinge, soweit es Handwerker waren, auch ein Stück Ackerland am östlichen Rand der Höhe für den eigenen Bedarf für etliche Jahre in Pacht. Bald herrschte lebhaftes Treiben dort, wo das neue Liubice entstehen sollte, erste provisorische Hütten wurden errichtet, Brunnen gegraben, und aus dem Buchenwald oben klang Axtschlag herüber.
Der Vogt hatte Dietmar ein großes Grundstück im oberen Bereich, an der Ecke einer Straße zur Fläche des späteren Marktes hin zugewiesen. Er hatte entschieden, dass alle, die viel mit offenem Feuer arbeiteten, möglichst ein Eckgrundstück erhielten. Dort war die Gefahr, dass ein möglicher Brand auf andere Häuser übergriff, am geringsten. Der Schmied war es zufrieden, die Nähe zum Markt konnte ihm nur nützlich sein, und wenn die Kaufleute unten am Hafen seine Arbeit brauchten, war er dennoch rasch zu finden. Und außerdem sollte die neue Kirche genau gegenüber auf dem weitläufigen Markt errichtet werden. Das erschien ihm eine besondere Ehre.
Dietmar hatte wie die anderen eine kleine Hütte errichtet als erste Unterkunft. Doch ehe er an den eigentlichen Hausbau ging, wurde zunächst das Gebäude für die Schmiede errichtet: Zurechtgehauene Stämme trugen das Dach, und dazwischen zog er die Wände aus Flechtwerk, dick mit Lehm bestrichen. Angesichts der offenen Esse erschien ihm das weitaus sicherer als die hölzernen Bohlen, mit denen andere ihre Behausung umkleideten. Hier war Platz für den Amboß und sein Werkzeug, denn als erster galt es, Aufträge zu sammeln. Die erhielt er reichlich, vor allem von den Händlern und Schiffsführern, denn neben Reifen für die Fässer waren es vor allem Nägel, um die geklinkerten Planken der Knorre und der anderen Langschiffe aneinander zu befestigen – und jedes neue Schiff brauchte Hunderte von Nägeln. Aber auch die Siedler verlangten nach seiner Arbeit: Türen und Fensterläden brauchten Scharniere, und so manche Truhe musste mit Beschlägen versehen werden. An Arbeit mangelte es dem Schmied in seiner neuen Heimat nicht, und Sohn Alf musste häufig zur Hand gehen, um alle Aufträge zu erfüllen.
So dauerte es bis zum nächsten Frühjahr, ehe Dietmar darangehen konnte, endlich auch ein angemessenes Wohnhaus zu errichten. Es sollte ein Hallenhaus werden, wie er es aus seiner dörflichen Heimat kannte mit viel Platz und einer erhöhten Feuerstelle. Als Ständer wählte er sorgfältig einige Eichen aus und schlug daraus kräftige Pfosten, die einige Handbreit tief in den Boden eingelassen wurden, um die Traufe zu tragen. Für die beiden Ständerreihen im Inneren, die die Dachsparren abstützten, genügte ihm Buchenholz. Die Flechtwände waren rasch hergestellt, und das Dach mit dem Schilf vom Traveufer schnell gedeckt. Vor allem aber verzichtete Dietmar darauf, wie seine bäuerlichen Nachbarn in Westfalen das Vieh mit unter das Dach zu holen. Er brauchte ja nur ein paar Schweine, um die Küchenabfälle zu verwerten, und dafür entstand im hinteren Bereich ein Stall aus Bohlen. Es gab zwar eine Quelle weiter südlich am Hang des Höhenrückens, doch der Schmied benötigte viel Wasser für seine Arbeit, und so grub er bald auch eine Zisterne auf seinem Grundstück.
Nun fehlte ihm eigentlich nur noch eines: eine Hausfrau für all die Dinge, die Weiberarbeit waren und die er nur notgedrungen selber verrichten musste. Und eine Magd, ein unerfahrenes junges Ding, mochte er sich nicht ins Haus holen. So hielt er insgeheim Ausschau nach einer passenden Verbindung. Er sollte nicht lange suchen. Unten am Hafen wohnte die Witwe eines Schiffsführers in einer ärmlichen Hütte. Der Mann war von einer Handelsfahrt nicht mehr zurückgekommen, man erzählte, dass er im Kampf mit ranischen Piraten umgekommen sei. Nur die Großzügigkeit des Handelsherren, für den er gearbeitet hatte, erhielt sie am Leben. So nahm Dietmar zunächst Verbindung mit diesem Mann auf, der gerne und nicht ganz uneigennützig zwischen den beiden vermittelte, und bald darauf holte der Schmied die neue Frau in sein Haus.
Alf, der Sohn, sah es mit gemischten Gefühlen: Auch er freute sich, dass nun wieder jemand für Brot und warme Speisen sorgte, seinen zerrissenen Rock flicken würde und das Füttern der Schweine übernahm, was sonst seine Aufgabe war. Das alles verschaffte ihm mehr Freiheit, Zeit, die er gern im Hafen verbrachte, um beim Schiffsbau zuzuschauen und die Händler mit ihren fremdländischen Waren zu beobachten. Und die neue Frau wusste auch an den langen Winterabenden viel von dem zu erzählen, was ihr erster Mann auf See und in fremden Ländern erlebt hatte. Dennoch blieb sie ihm gegenüber kühl und zurückhaltend, vielleicht, weil sie nur zehn Jahre älter war als der Stiefsohn, aber zwanzig Jahre jünger als ihr Eheherr. Da war es gut, kein Gerede aufkommen zu lassen, denn Alf war mit seinen sechzehn Jahren bereits ein hochgewachsener junger Mann, dem ein rötlicher Bart gesprossen war.
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Der Sohn des Schmieds sah das Mädchen zum ersten Mal an einem trüben Oktobertag des Jahres 1145, als er wieder einmal zum Hafen hinuntergeschlendert war. Duscha war jetzt zwölf, noch trug sie ihr gelocktes braunes Haar offen, aber schon zeichnete sich unter ihrem Trägerrock und der Leinenbluse eine erste Rundung ab. Sie war mit ihrem Vater im Einbaum die Trave herabgekommen, jetzt sprang sie geschickt ans Ufer und zog den Kahn näher heran, während der Fischer nach zwei Körben griff, die voller Fische waren. Einen davon reichte er seiner Tochter, und so wanderten beide den Uferstreifen hinauf dorthin, wo neben einer Blockhütte einige Schiffsleute ihre Zelte aufgeschlagen hatten und sich mit Würfelspiel die Zeit vertrieben.
Rastislav hatte inzwischen so viel von der deutschen Sprache gelernt, dass er seine Ware anbieten und auch über den Preis feilschen konnte, und Duscha war eine gelehrige Schülerin. Auch wenn es ihr selber nicht bewusst war, ihre noch kindliche Weiblichkeit war eine nahezu gleiche Werbung für die angebotene Ware wie deren Frische und Qualität. So leerten sich die beiden Körbe rasch, und Rastislav konnte eine Reihe von Münzen in seinen Beutel tun, um anschließend einige davon bei einem Tuchhändler einzutauschen. Seine Frau sollte der Tochter endlich ein richtiges Kleid und eine Haube nähen, schließlich wurde sie zunehmend erwachsener.
Alf lehnte an der Hüttenwand und betrachtete die Szene, genau genommen aber galt sein Blick einzig diesem fremden Mädchen, das da so selbstsicher und mit freundlichem Lächeln Fisch um Fisch diesen grobschlächtigen Gesellen in die Hand gab und anzügliche Bemerkungen scheinbar ungerührt überhörte. Oder verstand die Kleine noch gar nicht, was diese Männer da andeuteten? Er bemühte sich, ihre Stimme zu hören, diese eigenartig harte Aussprache all der Wörter, die sie bereits beherrschte. Allzu gerne hätte er ihr ebenfalls einige Barsche abgekauft, doch er trug keinen Beutel am Gürtel. So blieb ihm nichts anderes übrig, als den stummen Beobachter zu spielen und sich fest vorzunehmen, beim nächsten Besuch