Eckhard Lange

Die Faehlings - eine Lübecker Familie


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befahl der Graf, „und sag ihnen, wer wir sind.“ Der Dolmetscher gehorchte; ein alter Mann mit blauen Augen im zerfurchten Gesicht, fast so groß wie Reginald und trotz seiner Jahre aufrecht und von stolzer Haltung, trat vor die anderen und verbeugte sich vor Adolf, ohne doch unterwürfig zu erscheinen. Der Graf musterte ihn eine Weile, dann winkte er ihn zu sich heran.

      „Ihr seid Christenmenschen?“ fragte er, und sein Ministeriale übersetzte. Der Alte zögerte einen Augenblick und warf einen Blick auf die anderen Männer, ehe er antwortete. „Man hat uns getauft. Ein Mönch ist hier gewesen, doch seitdem sind schon viele Winter vergangen. Wir haben keinen, der uns lehren könnte, was wir tun müssen als Christen.“ „Ihr feiert nicht die heilige Messe?“ wollte Adolf wissen. „Zu wem betet ihr dann?“ Wieder überlegte der Dorfälteste sorgsam seine Antwort: „Wir verehren den Sohn Gottes und seine heilige Mutter, manchmal wenigstens. Aber viele rufen auch die alten Götter an, wenn das Vieh krank wird oder die Ernte von Hagel bedroht wird. Sie sind der Erde näher als die Himmlischen, die uns der Mönch verkündet hat.“

      Adolf zog die Brauen zusammen. „Heiden sind sie immer noch, diese einfältigen Bauern,“ sagte er grimmig. „Aber das wird sich ändern, bald. Schließlich ist es nicht ihre Schuld, wenn kein Priester da ist, sie zu unterweisen. Frag ihn, ob er einen Priester kennt.“ „In Liubice gab es einen heiligen Mann, bei den Deutschen. Doch der ist geflohen, als die Ranen die Stadt überfielen. Er hat auch hier zu uns gesprochen, ein oder zwei Mal, wir haben jedoch nur wenig verstanden, er konnte unsere Sprache nicht. Aber er hatte den Kelch dabei und hat uns gesegnet, es war bestimmt sehr gut für uns.“ „Und hat er den Zehnten von euch gefordert?“ Der Alte hatte offensichtlich Schwierigkeiten, denn Sinn dieser Frage zu begreifen, Reginald musste sie erst erklären, doch er schwieg weiterhin. „Also nicht,“ brummte Graf Adolf. „Auch das muß sich ändern.“ Er sah, dass ein weiteres Verhör nichts Neues bringen würde, und wechselte Ton und Thema.

      „Unser gnädiger Herr, Herzog Heinrich, hat mir euer Land übergeben, damit ich es verwalte. Nun wird Frieden herrschen im Land der Wagrier, wir werden euch schützen vor allen Feinden. Dafür verlangen wir euren Gehorsam. Es werden jetzt auch Priester ins Land kommen, damit ihr den rechten Glauben lernt und eure Seele dereinst getröstet und gerüstet vor den Herrn treten kann, denn eure alten Götzen sind vom Teufel und führen euch in die Verdammnis.“ Er hielt inne und lächelte. „Ich sollte das Predigen lieber den Pfaffen überlassen, was meinst du?“ sagte er zu Reginald. „Und dass Fürsten und Herren Abgaben fordern dürfen von ihren Untertanen, das werden sie auch noch lernen. Jetzt frage nur noch, wie wir von hier nach Liubice kommen.“

      „Wenn Ihr über den Berg hinwegreitet und dann rechter Hand ins Tal hinunter, werdet ihr einen Fluß finden. Wir nennen ihn Swartove. Folgt ihm, denn dort, wo er in den großen Fluß mündet, liegt Liubice. Es ist aber nicht mehr viel übrig von der Stadt unseres Fürsten, das solltet Ihr wissen.“

      Graf Adolf schwang sich auf sein Pferd und hob die Hand. Es war eher ein Zeichen der Herrschaft als ein Gruß. Seine Männer taten es ihm gleich, dann trabte die Gruppe fort, in die angegebene Richtung. Sie fanden den Berg, der eine kahle Kuppe hatte und einen weiten Blick ins Land bereithielt, wandten sie dann rechts den Hang hinab durch einen dichten Wald und kamen zur Flußaue der Swartove, die sich in vielen Windungen um steile Hänge herum nur sehr langsam ihrer Mündung näherte. Sie hätten sicher einen kürzeren Weg nehmen können, doch sie wollten die Richtung nicht verfehlen. So stand die Sonne bereits hoch am Himmel, als sie endlich den Wald verließen und jenseits von brachliegenden Äckern die rauchgeschwärzten Reste von Liubice erreichten.

      Langsam ritt Adolf durch die zerstörte Siedlung, die vor dem Burgwall lag und seitlich zum Ufer der Trave hin ihre Fortsetzung fand. Die meisten Hütten waren niedergebrannt und verlassen, nur wenige hatten die Wenden wieder bewohnbar gemacht. Der Graf hatte eine gute Beobachtungsgabe: „Handwerker scheint es hier nicht mehr zu geben,“ sagte er nachdenklich zu seinen Männern. „Was geblieben ist, sind wohl nur ein paar Fischer.“ Dann ritt er an den Burgwall heran. Die Palisaden aus meterhohen Baumstämmen, die ihn einst krönten, waren verkohlt, an anderen Stellen fehlten sie ganz. Auch der Erdwall war zum Teil abgerutscht, man konnte die Eichenhölzer erkennen, die ihn von innen her stützten. Das Tor zur Burg hatte die Flügel eingebüßt, vielleicht hatten die Überlebenden die Reste auch für ihren Hausbau genutzt. Der Bohlenweg im Bereich des Tores war an mehreren Stellen unterbrochen, die Deutschen konnten darunter einen Graben ausmachen, der früher wohl das Wasser aus dem Burgbereich in den Fluß führen sollte.

      Graf Adolf war abgestiegen und warf den Zügel einem seiner Männer zu. Daraufhin saßen auch die anderen ab, ein Teil der Leute kümmerte sich um die Pferde, der Graf und die ritterlichen Ministerialen betraten zu Fuß das weiträumige Gelände innerhalb des Burgwalls. Auch hier überall Spuren der Zerstörung. Die Häuser entlang des Walles waren allesamt niedergebrannt, ebenso ein großes Gebäude zur Rechten, das wohl als Fürstenhalle gedient hatte. Daneben ragten mächtige Feldsteinmauern, auch sie rauchgeschwärzt und nun ohne Dach, aber es war immer noch ein beeindruckendes Gebäude. Die Männer traten durch das Eingangstor und blieben ergriffen stehen. Ihnen gegenüber, in der steinernen Nische der östlichen Querwand, stand, noch immer als solcher zu erkennen, ein steinerner Altar. Das also war die weithin gerühmte Kirche von Gottschalk und Heinrich, den großen Wendenfürsten, den christlichen Königen, die einst die Stämme der Obotriten geeint hatten.

      Adolf hatte das Haupt entblößt. Mochte dieser heilige Ort auch geschändet und entweiht sein durch heidnische Mörder, er blieb doch Ort der Gegenwart des geopferten Gottessohnes. So trat der Schauenburger ehrfurchtsvoll an den Altar und beugte das Knie, um das Kreuzeszeichen zu schlagen, und seine Männer taten es ihm nach. Dann wandte er sich wieder dem südlichen Tor zu. Einer der beiden hölzernen Türme, die den Zugang flankierten, schien noch nutzbar zu sein. Adolf winkte Reginald an seine Seite, und gemeinsam stiegen sie die enge Treppe hinauf auf die Plattform. Von dort hatten sie einen guten Blick auf die Burg und die Siedlungen ringsum. Reginald zeigte auf eine Ansammlung von Häusern, Hallenhäuser zumeist, fast alle mit Wänden aus kräftigen Bohlen statt des üblichen lehmbeschichteten Flechtwerks. Sie lagen jenseits der Trave, ein wenig abseits, und sie schienen unversehrt zu sein. „Seht, edler Herr, ich kann dort drüben kein einziges Ackerfeld entdecken vor dem Waldrand, nur Gärten und Hofraum. Und am Ufer sind Schiffe, wenn auch nur in geringer Zahl. Das dürfte die Siedlung der deutschen Kaufleute sein, die von Liubice aus ihre Fahrten zu den Dänen unternommen haben. Und sie scheint unversehrt den Angriff der Ranen überstanden haben.“

      Der Graf nickte. „Du hast recht, Reginald. Aber nur aus wenigen steigt Rauch auf, viele Häuser sehen verlassen aus. Auch die Gärten sind verödet. Die letzten Jahre haben dem Handel übers Meer sehr geschadet. Mancher, der vor den Ranen geflohen ist, scheint auch danach fortgeblieben zu sein. Wir werden viel unternehmen müssen, um wieder Kaufleute ins wagrische Land zu holen.“ Er schaute nachdenklich in die Runde. „Dieses Liubice war einst eine blühende Stadt. Und was ist davon geblieben? Eine verfallene Burg, eine zerstörte Siedlung, ein kaum noch genutzter Hafen.“

      „Ihr wollt sie wieder aufbauen?“ fragte Reginald, „die Trave wieder zum Handelsweg in den Norden machen?“ Adolf schwieg eine Weile, dann wies er mit der Rechten auf den schmalen Werder, der von Swartove und Trave umflossen war. „Dies ist kein Platz für eine größere Civitas,“ sagte er nachdenklich. „schon die Burg nimmt die Hälfte des Geländes ein, und der Rest ist weitgehend sumpfig. Nicht umsonst haben sich die Kaufleute am anderen Ufer niedergelassen, doch diese Siedlung ist ungeschützt, und das Ufer wenig geeignet für einen Hafen.“ Wieder machte er eine Pause, um den Gedanken zu ende zu denken. „Nein, Reginald, wir werden einen besseren Platz finden müssen, stromaufwärts. Zum Meer hin scheint es nur diese Schilfflächen zu geben. Und je dichter an der Mündung, desto größer die Gefahr eines Überfalls von der See her. Die Ranen haben es uns hier deutlich vor Augen geführt. Laß uns den Fluß hinauf reiten und Ausschau halten. Wir müssen einen besseren Platz finden für das neue Luibice.“

      Sie stiegen wieder hinunter und begaben sich zu den Pferden, die die Knechte auf einen grasbewachsenen Platz geführt hatten, damit sie sich inzwischen Nahrung suchen konnten. Adolf befahl, sie an einer günstigen Stelle auch zu tränken, dann ließ er seine Mannschaft wieder aufsitzen und lenkte sein Roß auf dem Ufer zurück zum Wald,