Elisa Scheer

Tod auf den Gleisen


Скачать книгу

      „Aber wenn wir alle paar Jahre jemanden in der Klapse abliefern, fragen die sich doch irgendwann, was wir hier mit den Leuten anstellen?“, gab Doro zu bedenken. Plötzlich kreischte die Mendel auf und rannte aus dem Lehrerzimmer. Das Türenknallen, das sie bestimmt geplant hatte, scheiterte allerdings an dem eher streng eingestellten Rücksteller.

      Die Bittl sah ihr kopfschüttelnd nach. „Leute gibt´s!“

      „Manche können eben mit Belastungen nicht so gut umgehen. Sie muss irgendein Problem haben“, begütigte die Steinleitner.

      „Ach komm, harmlose Klassen, seit wenigen Wochen Unterricht, praktisch nie Vertretungen, weil sie sofort losheult – wo ist denn da das Problem?“

      „Außerdem ist das ihr zehntes Jahr“, fügte Luise hinzu. „Früher war sie doch ganz normal, und dieses Jahr tickt sie so aus? Sie soll ihre Probleme regeln. Oder sich für eine Kur oder Therapie beurlauben lassen. Das macht der Chef bestimmt gerne, wenn er hier wieder Ruhe reinkriegen kann.“

      „Sie ist eben besonders sensibel“, war die etwas unsichere Antwort.

      „Dann ist sie hier aber komplett falsch“, antwortete Luise nicht ohne Brutalität.

      „Und ich kann so was schon gar nicht leiden“, steuerte Carlos bei. „Das heißt nämlich, wir unsensiblen Trampel sollen gefälligst die Arbeit machen, für die sich die Sensibelchen zu schade sind. Das hab ich schon quer gefressen.“

      Recht hatte er! Doro nickte nachdrücklich, und die arme Steinleitner, die schließlich auch nichts dafür konnte, zog den Kopf ein. „Ich meine ja nur!“

      „Lass gut sein, Erika“, beruhigte die Bittl sie. „Du meinst es gut, das verstehen wir schon. Aber die Mendel schön zu reden gelingt nicht mal dir. Frau Wintrich, sprechen Sie mal mit dem Chef oder soll ich?“

      „Machen Sie´s, ich hab schon so oft. Er soll es auch mal von anderer Seite hören, vielleicht unternimmt er dann eher etwas. Ich denke ja, man muss sie zu einer Therapie oder so was nötigen, schließlich war sie früher doch auch nicht so!“

      „Ich glaube, sie hat ein Alkoholproblem“, behauptete Carlos Pütz noch einmal. Die Steinleitner seufzte mitleidsvoll, aber das rührte nun auch keinen.

      Doro stellte fest, dass in fünf Minuten die siebte Stunde beginnen sollte, und packte hastig um, bevor sie in Richtung Geschichte 12 verschwand. Das Ex hatte sie noch nicht fertig, aber das erwarteten die ja wohl auch nicht?

      Donnerstag, 18.10. 2012

      So ein Akkuschrauber machte schon ein schönes Geräusch, fand Doro, während sie am Schreibtisch letzte Hand an das Ex des Geschichtskurses legte und im Geiste schon bei der Angabe für ein neues in der Elften war.

      Der Schrank wuchs und gedieh, am liebsten hätte sie zugesehen, aber sie wollte die beiden auch nicht stören, die da so konzentriert aufbauten. Zwei Schränke hatten sie jedenfalls schon aufgestellt, und sie selbst wollte gerne alles vorbereitet, abgelegt und eingepackt haben, wenn die beiden fertig waren, um den Rest des Abends mit genussvollem Einräumen zu verbringen.

      Noch vier Leute, dann hatte sie alle überprüft! Und der Schnitt lag so etwa bei elf Punkten, wirklich erfreulich. Guter Kurs. Oder guter Unterricht, schmeichelte sie sich selbst.

      Vom Gang ertönte halblautes Hämmern. Aha, die dritte Rückwand. Ob die Schubladen und Fächer schon drin waren? Und die Kleiderstange?

      Egal, erst die letzten vier! Sie sah sie durch, schrieb Punktesummen, Punkte und Noten auf die Blätter, rechnete den Durchschnitt präzise aus: 11,24, äußerst zufrieden stellend, druckte den Erwartungshorizont aus, tütete ihn ein und versenkte alles in der G 12-Mappe.

      Draußen war wieder der Schrauber zu hören. Sie bezähmte sich und bastelte die Angabe für den Kurs G 11 – die hatten heute auch ordentlich mitgearbeitet und konnten morgen bestimmt etwas.

      Danach strich sie in ihrem Terminplaner alles Erledigte sorgfältig mit pinkfarbenem Textmarker ab – nicht mehr viel zu tun! - , packte ihre Tasche, räumte im Zimmer ein wenig herum, schaute auf die Uhr – halb fünf – sortierte ihre Bücher schöner, warf einige überzählige Kopien weg, spülte zwei herumstehende Teller ab, polierte die Arbeitsplatten und räumte den Schrank mit den Lebensmitteln auf. Sehr ergiebig war das nicht, sie wohnte ja erst fünf Wochen hier.

      Immerhin, eine eigene Küche, und wenn sie noch so winzig war! Wenn sie da an die Wohnküche in der Wörthstraße dachte…

      Der Raum war schön gewesen, mit Blick auf den Bordeauxplatz, man hörte immerzu das Klingeln und Surren der Neunzehner Tram. Saugemütlich – aber die Möbel waren völlig abgewohnt, offenbar noch aus den frühen Sechzigern, als Frithjofs Großeltern dort gelebt hatten. Und um den großen Tisch in der Mitte saßen immerzu die merkwürdigsten Leute, meistens welche, die Anna irgendwo aufgegabelt hatte. Die rauchten eine nach der anderen (und man konnte froh sein, wenn es bloß Tabak war…), tranken – und fraßen - den Kühlschrank leer, belästigten die Mitbewohner und diskutierten über Fußball.

      Gut, man hatte Anna, die mit jedem Idioten Mitleid hatte, schließlich zum Auszug bewogen, aber auch sonst war die Küche ein Ort des Grauens. Ob es nun um die Siegeschancen von Schalke ging, die Frage der Mindestlöhne, eine Untersuchung, wer den letzten Joghurt von Matthias geklaut oder wer schon wieder die Spülmaschine nicht ausgeräumt hatte… man traute sich schon kaum noch hinein.

      Der Brief mit der Versetzung nach Leisenberg war geradezu eine Erlösung gewesen. Sicher hatte Doro gerne in München gelebt, aber mit diesem Brief konnte sie fristlos kündigen und noch auf Verständnis rechnen.

      Also hatte sie ihren Krempel in Kisten gepackt, sich in Leisenberg eine kleine Wohnung gesucht (und über die vergleichsweise niedrigen Mieten gestaunt) und ihre Kisten herschaffen lassen. Bis auf das Bettsofa und den wackligen Tisch hatte sie nichts mitgenommen - sollten die Chaoten doch damit glücklich werden!

      Wenn sie sich an die WG erinnerte, gefiel ihr die winzige Wohnung gleich noch viel besser: alles ganz für sie allein, herrlich! Sicher, Matthias, Sophie, Carina, Frithjof und sogar die durchgeknallte Anna waren nett gewesen – aber ebenso oft hatten sie auch furchtbar genervt. Und sich in sein Zimmer zurückziehen und gut hörbar den Schlüssel umdrehen – das galt als unsozial: „Hast du was? Bist du irgendwie blockiert? Haben wir dir was getan? Warum willst du dich nicht einbringen? Carina hat vorgeschlagen, echte Schafwolle selbst zu färben und zu spinnen und hinterher etwas echt Authentisches daraus zu stricken – willst du nicht mitmachen? Hast du ein gestörtes Verhältnis zur Natur? Wie, Pullis kratzen? Das ist doch egal, es geht schließlich um ein Statement!“

      Doro kicherte vor sich hin, während sie geringfügig aufräumend durch die Küche strich. Ins Bad konnte sie schlecht, davor werkelten ja die beiden Handwerker und sie müsste über Werkzeugkasten, Regalbretter, halbfertige Schubladen und alles andere klettern und wäre nur im Weg. Außerdem gab es im Bad nichts Interessantes aufzuräumen.

      Sie lauschte auf den Akkuschrauber, trocknete das bisschen Geschirr ab und verräumte es – und dann beschloss sie, doch schon ihre Klamotten in ordentlichen Häufchen auf dem Bettsofa aufzustapeln. Neben den Blazern, die sie auf dem Heimweg von den verschiedenen Reinigungen abgeholt hatte.

      Sah recht nett aus, fand sie nach dem fünften Stapel, nach Farbe geordneten T-Shirts; daneben lagen Strickjacken, Rollis, Tops und eine Handvoll Jeans und Chinos. Sehr ordentlich. Und wenn sie das langsam und sorgfältig machte, dauerte es bestimmt, bis die beiden fertig waren!

      Kriegten die wohl Trinkgeld?

      Na, wenn es nachher schön aussah und sie vielleicht sogar die Sägespäne wegfegten, pro Nase einen Zehner? Die Montage kostete sowieso noch 120 Euro für zwei Stunden – aber das war es wert. Der Schrank war teuer genug, da musste er nicht wackeln und schief dastehen, weil sie sich selbst laienhaft daran versucht hatte!

      Die zwei Stunden waren eigentlich schon fast vorbei, überlegte sie – und in diesem Moment wurde der Akkuschrauber ausgeschaltet.

      „Mir hätten´s