Elisa Scheer

Tod auf den Gleisen


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Zunge.

      „Hauptsache, Vinz spekuliert vernünftig“, hoffte sie abschließend, während sie allmählich sehnsüchtige Blicke auf die verlockenden weit offenen Schranktüren warf.

      „Ach, der ist doch eher risikoscheu. Da mache ich mir mal keine Sorgen. So, und du bleibst also in diesem Kaff und erziehst die Kinder anderer Leute. Na, jedem Tierchen sein Pläsierchen!“

      Als sie endlich aufgelegt hatte, rieb sich Doro vergnügt die Hände. Erst mal feucht auswischen, falls es drinnen auch noch Sägemehl gab! Eigentlich war es ganz gut, dass Silvia angerufen hatte – sie hätte sonst das Putzen womöglich in ihrem Eifer ganz vergessen.

      Also wischte sie mit einem leicht feuchten Tuch sorgfältig durch alle Fächer und Schubladen, verteilte auch ein paar Tropfen Zedernöl in den Ecken, polierte die Edelstahlgriffe, bis sie funkelten, und amüsierte sich dann damit, die T-Shirt- und Pulloverstapel auf dem Bettsofa noch gleichmäßiger und nach Farben sortiert zu arrangieren.

      Perfekt.

      Und alle Söckchen waren ordentlich gerollt, sogar die Wäschegarnituren sahen tadellos aus, je drei Slips gerollt und in die ineinander geklappten Schalen des dazu passenden BHs gesteckt. Bildschön.

      So, und jetzt kam alles in den Schrank!

      Sie begann mit allem, was auf einen Bügel gehörte, ihren paar Blazern, den Blusen, dem einzigen Rock und den zwei Sommerkleidern, hängte einige Male um, bis die Reihenfolge einleuchtend schien, und füllte dann die Fächer. Auf den Boden unter den Blazern stellte sie alle ihre Schuhe und Stiefel, ordentlich auf Spanner gezogen und frisch geputzt. Oh, die blauen Lackballerinas mussten neue Absätze kriegen! Sie ließ sie im Flur stehen, morgen nach der Schule würde sie die zum Schuster bringen.

      Himmel, wo gab es denn hier einen Schuster? Vermutlich hatte das Kaufhaus am Markt so einen Schnellservice. Na, sie konnte morgen ja mal herumfragen.

      Schließlich war alles auf das Schönste untergebracht. Doro betrachtete sich das Schrankinnere befriedigt, schloss dann die Türen und sah sich im Zimmer um. Ohne die Kleiderstapel allenthalben wirkte das Zimmer gleich viel größer und ordentlicher. Fast schon puristisch.

      Hoch zufrieden setzte sie sich an den Schreibtisch, legte eine Liste davon an, was sie morgen alles erledigen wollte, und fand sich ungemein effizient und organisiert. Dann hatte sie jetzt neben einem kleinen Abendimbiss doch etwas hirnlose Fernsehkost verdient?

      Freitag, 19.10.2012

      In der kleinen Pause saß sie innerlich immer noch strahlend auf ihrem Platz im Lehrerzimmer. Mit dem neuen Schrank und der übersichtlichen Garderobe war das Aufstehen morgens der reinste Genuss gewesen. Sie hatte sich für den grauen Harris-Tweed-Blazer, eine schwarze Hose und ein blassrosa T-Shirt entschieden. Blassrosa stand ihr gut zu ihren nussbraunen Haaren, fand sie.

      Gesundes Frühstück, ein paar aufräumende Handgriffe, damit sie später auch wieder gerne nach Hause kam, ein prüfender Blick in die Tasche, hierher gefahren (grüne Welle, das kam so oft auch nicht vor!) und schließlich zwei wohl gelungene Stunden. Warum kam der Chef eigentlich nicht mal zum Unterrichtsbesuch? Sie hatte so schöne Schüler aktivierende Unterrichtsformen verwendet und wirklich Lernerfolge erzielt, das hätte er sich ruhig mal ansehen können! Als Hilde hereinkam und ihr zuwinkte, sprang sie auf und fragte sie: „Wann kommt denn mal der Chef in den Unterricht?“

      „Bist du so scharf darauf? Die meisten haben total Panik davor“, war die amüsierte Antwort.

      „Ich fand mich heute richtig gut, und dann guckt wieder kein Schwein…“

      „Hauptsache, die Kinder fanden es gut. Obwohl, die finden es noch besser, wenn man gar nichts macht. Langfristig nicht, aber für den Moment schon. Ich glaube, er fängt nach Weihnachten mal wieder an. Bis dahin kannst du dir noch etwas Routine zulegen.“

      Doro grummelte. „Und weißt du einen anständigen Schuster?“

      „Hier an der Schule? Nein. Aber ich kaufe hier auch nie ein.“

      „Ich dachte eher an Selling oder die Altstadt.“

      Hilde überlegte. „Ich habe früher auch mal in Selling gewohnt… hab ich da jemals Schuhe zum Richten gebracht? Hm… Ist nicht an der Düsseldorfer neben der Reinigung so ein Reparaturservice? Der, der auch Taschen richtet? Oder gibt´s den nicht mehr?“

      „Danke, da schaue ich mal hin. Ecke Rheinland, meinst du?“

      „Eher Ecke Duisburger. Zwei Blocks weiter stadtauswärts. Was ist denn jetzt wieder los?“

      In der Ecke gegenüber hatten sich zornige Stimmen erhoben – die Uhl und die Zirngiebel. Hilde seufzte. „Nicht schon wieder! Die blöde Uhl lernt es auch nicht mehr…“

      „Worum geht es da?“

      „Die Uhl ist sauer, dass die Zirngiebel für ihre Beratungstätigkeit ein eigenes kleines Zimmer hat. Braucht sie ja auch. Aber die Uhl will auch eins.“

      „Wozu? Was macht sie Besonderes?“

      „Schlecht unterrichten, sonst nichts. Realitätsverlust. Haben hier so einige.“

      Doro kicherte begeistert. Ja, das war ihr in den letzten Tagen auch schon aufgefallen! Maja Körner gesellte sich zu ihnen und setzte sich. „Puh, diese Mädels manchmal! Können die Eltern nicht mal darauf schauen, wie die morgens das Haus verlassen? In meiner 9 a ist heute eine in durchsichtiger Bluse ohne BH drunter aufgeschlagen.“

      „Oh. Die Jungs waren begeistert?“

      Maja grinste. „Mitnichten. Sie haben bloß gehöhnt, hast ja noch gar nichts vorzuweisen, du dumme Nuss. Und die anderen Mädchen haben schon gezischelt. Ich bilde mir ein, das Wort Schlampe gehört zu haben…“

      „Vielleicht war ihr das ja eine Lehre?“

      Doro drehte sich um. „Hallo, Frau Bittl. Ja, hoffentlich. Wahrscheinlich bringt das mehr als Mamas Ermahnungen. Mütter sind ja ohnehin bloß peinlich…“

      „Petra, bitte. Wenn tiefe Einblicke uncool sind, ist das bestimmt überzeugender, als wenn die Mama findet, das sei unanständig. Waren wir in dem Alter eigentlich auch so bescheuert?“

      „Oh ja!“, rief Hilde. „Ich sage nur: In nagelneue Markenjeans kunstvolle Löcher reinreiben!“

      „Knallschwarzer Kajal und meterlange Spinnenwimpern am helllichten Vormittag“, erinnerte Maja sich. Doro kicherte. „Dürre Beinchen, Mikrominis und dazu klobige Doc Martens. Ich hab vor kurzem mal ein Bild von damals gefunden und konnte kaum glauben, dass ich dieses behämmerte Wesen sein sollte.“

      „Und die Mama hatte ja üüüberhaupt keine Ahnung, was wirklich angesagt war!“, fügte Petra hinzu. „Manchmal kann man doch froh sein, dass man nicht mehr jung ist“, urteilte Hilde abschließend.

      „Weil du so alt bist, ja?“, spottete Petra. „Ich bin vierunddreißig, und du bist jünger als ich, also gib hier nicht die abgeklärte Oma!“

      „Angesichts der Östrogen- und Testosteronschwaden hier kommt man sich aber manchmal wirklich uralt vor“, seufzte Hilde. Doro stimmte ihr zu, auch wenn sie mit knapp achtundzwanzig noch zu den Küken zählte.

      Petra drehte sich um. „Hallo, Erika. Kommst du dir auch manchmal ganz alt vor, wenn du die jugendlichen Geschmacksverirrungen unserer Mädels siehst?“ Die Steinleitner lächelte, setzte sich und packte eine Brotzeitdose aus, der sie einen geschnittenen Apfel entnahm.

      Doro dachte unwillkürlich Spießerin und schämte sich sofort. War es nicht vernünftig, seinen Pausensnack gut aufzubewahren? Wäre eine zermatschte Banane, die an Schulbüchern oder Gott behüte Prüfungsunterlagen klebte, denn besser? Cooler? Himmel, war sie auch erst vierzehn?

      „Eigentlich sind die Jungs doch auch nicht besser“, sagte sie nun betont munter, „wenn man an diese Hosen auf Halbmast denkt… Was soll daran eigentlich schön sein? Wenn man so kurzbeinig daher kommt?“

      Alles