Peter Vinzens

Schonzeit für Zwerge


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nichts, obwohl es doch eine so feine Geschichte gewesen wäre. Clemens saß im Salon und trank. Ob er auch vom verlassenen, noch immer üppigen Buffet gegessen hat, ist nicht überliefert. Auch Chronisten haben Aussetzer.

      Die Zeitungen überschlugen sich.

      „Schiff explodiert!“ - „Herausforderer ohne Chance!“. So oder so ähnlich sollen die Überschriften gelautet haben, und eigentlich müssten sie heute noch nachzulesen sein. Auf jeden Fall aber waren die Quoten der Wetten für die „Adventure“ tief im Keller. Und genau das hatten die Schiffer gewollt.

      Rex Mailman, der Mann, der heute an dem kleinen Seitenarm des Flusses sitzt, erzählt seine Geschichte mit großer Freude. Nicht etwa, dass er diese kriminellen Machenschaften ausdrücklich billigt, er amüsiert sich darüber. Und zum Beweis schleppt er ein Brett herbei, auf dem noch heute die Reste des Namens „Spirit of St. James“ zu entziffern sind. Der berühmte Schiffsklau wurde natürlich auch von der Filmindustrie verwurstet. Davon aber will Rex nichts wissen. Die Story sei doch völlig entstellt worden, und das Pfiffige, das mit den Wetten, käme überhaupt nicht mehr vor. „Müll“, sagt er, „Nichts als Müll“. Und dann kramt er noch in alten, verstaubten Kisten und zaubert einen Zeitungsausschnitt hervor. Ein gewisser M.T. berichtet in diesem Artikel, dass das große Rennen bevorstünde, dass allerdings dem Herausforderer „Adventure“, gegen die scharfe Konkurrenz von mehreren anderen Schiffen, wahren Wunderwerken der Ingenieurkunst, kaum Chancen eingeräumt würde. Außerdem, stellt der Artikel bedauernd fest, einen Kapitän habe das Unternehmen auch noch nicht gewinnen können. Eine traurige Story. „Adventure“ im Abseits.

      Rex kann sich noch heute halb totlachen, obwohl er doch gar nicht dabei gewesen war, denn schließlich hat er ja alles nur von seinem Vater erfahren. Vielleicht auch von seiner Mutter. Von der hängt nämlich ein altes Foto an der Wand, und der Besucher glaubt sofort, dass sie zu Hause das Sagen hatte. Eine stattliche, strenge Person, die aber wohl auch den Schalk im Nacken hatte. Das aber ist eine andere Geschichte. Also zurück zum Schiffsklau und dem breit angelegten „Wettbetrug“, an dem die amerikanische Presse, natürlich völlig unbewusst, versteht sich, breiten Anteil hatte. Die Reise sollte von Vicksburg zu den Kais von Lake Providence gehen. Luftlinie rund 35 Meilen. Durch die vielen Schleifen des Flusses wird aber die Strecke wesentlich länger. Außerdem ist der Fluss hier sehr flach. Dauernd verändern die Sandbänke ihre Lage, und der Lotse muss scharf aufpassen. Das sollte die Wettfahrt natürlich spannender machen.

      Die Anteilnahme der Bevölkerung war überwältigend. Tausende, ach was sage ich, Zehntausende säumten das Ufer, erwarteten ein bedeutendes Ereignis und nahmen die Abwechslung im eintönigen Alltag des Südens mit Freude an. Ganze Familien lagerten auf den Hängen, wohlversehen mit Gebratenem und Gesottenem, mit Broten und gewaltigen Käsestücken und auch der berühmte Apfelkuchen durfte natürlich nicht fehlen. Das Wetter war hervorragend, und in den Kneipen, unten an den Kais, war der Teufel los. Irgendwo waren auch die beiden Damen dabei, die wir ja schon kennenlernen durften, und sie vertrugen sich hervorragend. Wie immer eigentlich. Niemand würde je einen Zusammenhang zwischen ihnen und dem Wettbewerb finden, und die paar Dollar, die sie für die „Show“ bekommen hatten, die waren natürlich längst weg.

      Nebeneinander, mitten im Fluss lagen die Schiffe. Gewaltige Wolken entschwebten den Schloten. An den Kesseln wurde gefeuert was das Zeug hielt. Schließlich wollten alle gewinnen, viele hatten gewettet, jeder wollte Geld machen. Die Betuchten hatten sich frühmorgens bereits eingeschifft, schließlich musste man dabei sein, wenn man wer war, und die Spannung wuchs ins schier Unerträgliche. Der Alkoholkonsum auch.

      Zuerst sehen alle die weiße Wolke, die aus der alten Kanone herausschießt, erst dann ist der Knall zu vernehmen. Das Startzeichen. Los geht die Reise. Dem Ziel entgegen. Die Räder peitschen das Wasser. Die Rümpfe bedrängen sich. Kommandos werden gebrüllt. Telegrafen klingeln. Schiffsglocken werden geschlagen. Das weite Feld der Ruderboote und der kleinen Kähne bricht auf. Jeder sieht zu, dass er wegkommt, denn nun wird keine Rücksicht mehr genommen, keine der Maschinen wird die Leistung zurücknehmen. Bis zum Ziel nicht. Da kentert der eine oder andere Kahn in den gewaltigen Heckwellen, und so mancher Trunkenbold im Ruderboot erfährt plötzliche Ernüchterung. Das aber tut der Stimmung keinen Abbruch.

      Die Reporter der bedeutenden Provinzzeitungen sind natürlich alle an Bord. Geschäftig eilen sie auf den Schiffen umher, mal auf der Brücke, mal in den Maschinenräumen. Sie tragen den Schmutz und die Ölspuren auf den feinen Anzügen wie Orden im Kampf um die beste Story. Heldentaten also. Am Ziel sind Telegrafenleitungen ins weite Land geschaltet, schließlich müssen die Meldungen ja auch verbreitet werden, die Druckpressen bleiben gestoppt bis der Sieger feststeht.

      Ein Wettrennen zwischen Schiffen ist natürlich eine interessante Sache. Das Ganze gleicht ein wenig einem Duell mit Schiffsgeschützen. Die hat ja nun auch nicht jeder. Nur ein bisschen friedlicher ist es. So glaubt man. Dieser Glaube ist aber völlig falsch. Schiffswettbewerbe sind eine harte Sache, weniger wegen des zu erwartenden Gewinnverlustes durch ausbleibende Fahrgäste, mehr eigentlich durch ausbleibende Wettgewinne. Die sind immens, der Verdienst geht aber oft an findige Wettbüros und die Kombattanten gehen leer aus. Diesem kapitalistischen Trend ist natürlich entgegenzuwirken. Unter der Hand, das Geschäft ist schließlich diskret, hatte der Werftinhaber, die Journalisten der Provinzzeitungen lassen wir zur Ehrenrettung dieses Berufsstandes jetzt mal weg, eine gutgehende Wechselstube eingerichtet. Dollar gegen Wettschein. Hier wurde, dem Trend des Geldverdienens entsprechend, die „Adventure“ ganz klein gehandelt. Das hatte natürlich auch seinen guten Grund, denn „die Bank gewinnt immer“. Woraus zu schließen ist, dass Mr. Krasnow sehr wohl klar war, wie der Hase so läuft. Egal, wie es ausgegangen wäre, verloren hätte er nie. Aber wollen wir dem Gewinnstreben erst einmal entsagen und uns wieder der Geschichte widmen.

      Die Kanone hatte also geknallt. Die Jungs an den Kesseln hatten alle Ventile geöffnet. Der Jubel am Ufer war planmäßig ausgebrochen. Und die Gäste waren in den diversen Bars entschwunden. Die Jagd hatte also begonnen. So etwas nennt man „Show“, und sie war gut gemacht. Heute bezeichnet man dieses Phänomen, aber das war damals natürlich noch nicht bekannt, als Medienarbeit. Woraus man erkennen kann, „Medien“-Arbeit ist nur dann Medienarbeit, wenn die Medien auch tatsächlich dabei sind. Dafür war aber diesmal gesorgt. Die Jungs hatten genug zu trinken, Damen waren damals noch nicht im Geschäft. Man war also noch „unter sich“. Einer Bewertung darüber werden wir uns jetzt enthalten.

      Auf den Schiffen war die Arbeit verteilt. Unten mussten sie Dampf machen und oben mussten sie zusehen wie sie durchkamen. Sehr amerikanisch, ganz nach dem Geschmack der anwesenden Bürger und so richtig spannend. Vorausgesetzt es wurde fein geschildert. Dafür aber hatten ja die Spezialisten die besten Plätze in der ersten Reihe besetzt.

      Aber wir haben ja noch gar nicht die Kontrahenten aufgeführt. Dies sollte jetzt natürlich nachgeholt werden:

      Eigentlich waren es nur zwei, die anderen konnte man vergessen, aber die Vielzahl macht halt das Geschäft. Verlierer muss es geben, wenn Gewinner ausgeguckt werden. Placebos für Wettinteressierte und Staffage für das Bühnenbild. Da ist nun also, nur die eingeschränkte Aufzählung: Die „Adventure“, aber die kennen wir ja schon. Daneben, unschlagbar, die absolute, die ultimative Vertretung amerikanischer Ingenieurkunst, die „Samos del Rio de la Marca". Die Gesellschaft saß in New Orleans und das Schiff war allein den Spielern gewidmet. Transportiert wurden Chips, Croupiers, Freudenmädchen und Drinks. Angehalten wurde nach Bedarf, der Fahrplan, mehr eigentlich die Gewinnmaximierung, war oberstes Gesetz. Technisch war das Ding Spitze.

      Daneben stand noch die „Prince", ein gutes Schiff, schnell, fix, präzise das Team. Zwar nicht mehr so ganz neu, aber technisch eingefahren und ohne Probleme. Die anderen, wie gesagt, sie waren zu vergessen. Placebos eben.

      Jetzt wollen wir uns doch mal den Kräften, also den Fachkräften zuwenden, die den Gewinn sichern sollten. Da waren die Kapitäne und die vergessen wir auch gleich wieder. Denn die sollten zwar die Chefs sein, waren aber, in aller Regel versteht sich, nur die Verwaltungsangestellten der Linien. Sie hatten zu repräsentieren und das war's.

      Dann waren da Offiziere und Ingenieure, die hatten das Sagen und das Machen. Die hatten auch Ahnung. Und dann, ja dann gab es noch den Lotsen. Das war der Mann an Bord, der überhaupt