meine Brille
aufzusetzen.
»Ich habe keine Quittung«, sagte sie darauf.
»Ah! Dann hat er sie«, sagte ich in gleichgültigem Ton. »Es
kommt nicht darauf an.
Eine Quittung ist eine Quittung.«
Von dieser Zeit an hielt sie stets meine Hand in der ihrigen, wenn
ich sie ihr reichen konnte, und das war in der Regel nur dann der
Fall, wenn ich ihr vorlas. Denn natürlich hatten sie und ich viel mit
der Nadel zu tun, und keine von uns beiden hatte ein besonderes
Geschick für diese kleinen Wäschestückchen, obwohl ich in
Anbetracht der Umstände auf meinen Anteil daran ziemlich stolz
bin. Und obwohl sie auf alles achtete, was ich ihr vorlas, so
bin. Und obwohl sie auf alles achtete, was ich ihr vorlas, so
schien es mir doch, daß neben der Bergpredigt es sie am meisten
fesselte, wenn ich von dem sanften Mitleid unseres Herrn mit uns
armen Frauen las und von seiner Jugend, und wie seine Mutter
stolz auf ihn war und alle seine Reden in ihrem Herzen bewahrte.
In ihren Augen lag ein dankbarer Ausdruck, der niemals bis an
mein Lebensende meinem Gedächtnis entschwinden wird, und
wenn ich sie zufällig ansah, so traf ich stets auf diesen dankbaren
Blick.
Oft bot sie mir auch ihre zitternden Lippen zum Kuß, viel mehr
wie ein liebevolles Kind, dessen Herz vom Kummer halb
gebrochen ist, als wie ich es mir von einem erwachsenen
Menschen denken könnte.
Einmal war das Zittern dieser armen Lippen so stark, und ihre
Tränen strömten so reichlich, daß ich glaubte, sie wolle mir all ihr
Leid erzählen; deshalb nahm ich ihre beiden Hände zwischen die
meinen und sagte:
»Nein, mein liebes Kind, nicht jetzt. Es ist am besten, wenn Sie
jetzt nicht davon sprechen. Warten Sie auf bessere Zeiten, wenn
Sie darüber hinweggekommen sind 45
und sich wieder kräftig fühlen; dann sollen Sie mir erzählen,
soviel Sie wollen. Soll das zwischen uns ausgemacht sein?«
Während wir uns noch an den Händen hielten, nickte sie viele
Male hintereinander mit dem Kopf, hob meine Hände hoch und
Male hintereinander mit dem Kopf, hob meine Hände hoch und
drückte sie an Lippen und Herz.
»Nur noch ein Wort jetzt, mein liebes Kind«, sagte ich. »Gibt es
jemand?«
Sie blickte mich fragend an.
»Zu dem ich gehen kann?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Niemand, den ich zu Ihnen bringen kann?«
Sie schüttelte den Kopf.
» Ich brauche niemand, meine Gute. Das ist jetzt alles vorbei und
dahin.«
Etwa eine Woche später – denn als diese Unterredung stattfand,
hatte sie schon lange so dagelegen – beugte ich mich über ihr
Bett mit meinem Ohr an ihren Lippen, abwechselnd auf ihren
Atem lauschend und nach einem Zeichen des Lebens in ihrem
Gesicht spähend. Schließlich kam dieses ersehnte Zeichen in
einer feierlichen Weise
– nicht wie ein Aufzucken, sondern wie eine Art blasses,
schwaches Licht, das ganz allmählich das Gesicht erhellte.
Sie sagte etwas zu mir, das keinen Laut gewann, aber ich sah,
daß sie mich fragte:
»Ist dies der Tod?«
Worauf ich erwiderte:
»Mein armes, liebes, gutes Kind, ich glaube, es ist so.«
Ich wußte irgendwie, daß sie den Wunsch hatte, ihre schwache
rechte Hand zu bewegen. Ich nahm sie also, legte sie ihr auf die
Brust und faltete ihre Linke darüber, und sie betete ein inniges
Gebet, in das ich arme alte Frau einstimmte, obwohl kein Wort
gesprochen wurde. Dann brachte ich das Kindchen in den
Windeln herbei und sagte:
»Mein liebes Kind, dies ist einer kinderlosen alten Frau gesendet.
Dies ist mir anvertraut.«
Zum letzten Male streckte sich die zitternde Lippe mir entgegen,
und ich küßte sie innig.
»Ja, mein Kind«, sagte ich. »So Gott will! Mir und dem Major.«
Ich weiß nicht, wie ich es mit den rechten Worten schildern soll,
aber ich sah ihre Seele sich erhellen und froh werden, und mit
einem letzten Blick wurde sie frei und flog davon.
Das ist also das Wie und Warum, meine Liebe, daß wir ihn nach
Das ist also das Wie und Warum, meine Liebe, daß wir ihn nach
seinem Paten, dem Major, Jemmy nannten; sein Familienname
aber war Lirriper nach mir selbst. Und niemals ist ein Kind solch
ein Sonnenschein in einer Pension und solch ein lieber
Spielkamerad für seine Großmutter gewesen, wie es Jemmy für
dieses Haus und für mich war. Er war immer gut und hörte auf
das, was man ihm sagte (meistens), er wirkte besänftigend aufs
Gemüt und machte alle Dinge angenehmer, mit Ausnahme des
Falles, als er alt genug war, um seine Mütze in Miß Wozenhams
Luftschacht hinunterfallen zu lassen, und sie sie ihm nicht
hinaufreichen wollten. Da geriet ich in Wut, nahm meinen besten
Hut, Handschuhe und Sonnenschirm, und mit dem Kind an der
Hand sage ich:
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»Miß Wozenham, ich habe nicht erwartet, jemals Ihr Haus zu
betreten, aber wenn die Mütze meines Enkels nicht
augenblicklich zurückgegeben wird, so sollen die Gesetze dieses
Landes, die die Eigentumsrechte der Untertanen regeln,
schließlich zwischen mir und Ihnen entscheiden, koste es, was es
wolle.«
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