nach dem Wasser. Sie ging jetzt aufs Geratewohl, wie ich wußte,
aber dabei schlug sie doch immer die richtigen Seitenstraßen ein,
bis sie an den Strand kam. An jeder Ecke sah ich, wie ihr Kopf
beständig einer bestimmten Richtung zugekehrt war, und das war
stets die Richtung nach dem Fluß.
Vielleicht war es nur die Dunkelheit und Stille der
AdelphiTerrasse, die sie veranlaßte, in diese einzubiegen, aber
sie tat es so entschlossen, als ob diese von Anfang an ihr Ziel
gewesen wäre. Vielleicht war es auch wirklich so. Sie ging
geradewegs auf die Terrasse zu und an ihr entlang und blickte
dabei über das Geländer, und noch oft in späterer Zeit fuhr ich in
meinem Bett aus einem Angsttraum empor, indem ich sie wie in
jenem Augenblick vor mir sah. Die 43
Verlassenheit des Kais unterhalb und das rasche Strömen der
hohen Flut an dieser Stelle schienen sie zu locken. Sie warf einen
Blick um sich, wie um den Weg nach unten herauszufinden, und
schlug den richtigen oder den falschen Weg ein – ich weiß nicht
welchen, denn ich bin vorher oder nachher nie dort gewesen –,
während ich ihr folgte.
Es war bemerkenswert, daß sie während dieser ganzen Zeit nicht
ein einziges Mal zurückblickte. Aber in ihrem Gang war jetzt eine
ein einziges Mal zurückblickte. Aber in ihrem Gang war jetzt eine
große Veränderung wahrzunehmen; denn während sie bisher
einen gleichmäßigen raschen Schritt eingehalten hatte, wobei ihre
Arme auf der Brust gekreuzt waren, lief sie unter den unheimlich
finsteren Wölbungen in wilder Eile mit weitgeöffneten Armen
dahin, als wären es Flügel und sie flöge zum Tod.
Wir befanden uns jetzt auf dem Kai, und sie blieb stehen. Auch
ich machte halt. Ich sah, wie ihre Hände nach ihren Hutbändern
griffen – im nächsten Augenblick war ich zwischen ihr und dem
Kairand und faßte sie mit beiden Armen um den Leib. Sie hätte
mich mit in die Tiefe reißen können, aber unter keinen
Umständen wäre es ihr gelungen, sich von mir loszumachen –
das sichere Gefühl hatte ich.
Bis zu diesem Augenblick war es in meinem Kopf ganz wirr
gewesen, und ich hatte nicht die geringste Ahnung gehabt, was
ich zu ihr sagen sollte, aber sowie ich sie berührte, kam es wie
ein Zauber über mich, und ich war im Besitz meiner natürlichen
Stimme und meines Verstandes und konnte fast wieder ruhig
atmen.
»Mrs. Edson!« sage ich. »Meine Liebe! Sehen Sie sich vor. Wie
konnten Sie sich bloß verirren und an einem so gefährlichen Ort
wie diesen geraten? Sie müssen doch wirklich durch die
verwickeltsten Straßen in ganz London hierhergekommen sein.
Kein Wunder, daß Sie sich verirrt haben. Und gerade an diesem
Kein Wunder, daß Sie sich verirrt haben. Und gerade an diesem
Ort! Ich dachte wahrhaftig, hier käme nie ein Mensch hin,
ausgenommen ich selbst, um meine Kohlen zu bestellen, und der
Major aus dem ersten Stock, um seine Zigarre zu rauchen!« –
denn ich sah diesen gesegneten Mann ganz in der Nähe, wie er
so tat, als rauche er.
»Ha – Ha – Hum!« hustet der Major.
»Und wahrhaftig«, sage ich, »da ist er!«
»Hallo! Wer da?« sagt der Major in militärischem Ton.
»Nun!« antwortete ich. »Das ist doch die Höhe! Kennen Sie uns
nicht, Major Jackman?«
»Hallo!« sagt der Major. »Wer ruft Jemmy Jackman an?« Und
dabei war er ganz außer Atem und spielte seine Rolle weniger
natürlich, als ich es erwartet hätte.
»Hier ist Mrs. Edson, Major«, sage ich. »Sie hat einen
Spaziergang gemacht, um ihren armen Kopf zu kühlen, der ihr
sehr weh getan hat; sie ist dabei vom Weg abgekommen und hat
sich verirrt, und Gott weiß, wohin sie noch geraten wäre, wenn
ich nicht gerade des Wegs dahergekommen wäre, um in den
Briefkasten meines Kohlenlieferanten eine Bestellung
einzuwerfen, und Sie nicht hier herumspazierten, um Ihre Zigarre
zu rauchen! – Und Sie sind wirklich nicht wohl genug, meine
Liebe«, sage ich zu ihr, »um sich ohne mich auch nur halb so weit
Liebe«, sage ich zu ihr, »um sich ohne mich auch nur halb so weit
von zu Hause zu entfernen. – Und Ihr Arm wird sicherlich sehr
willkommen sein, Major«, sage ich zu ihm, »ich weiß, sie darf
sich, so schwer sie will, darauf lehnen.«
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Und mittlerweile hatten wir es soweit gebracht – dem
Allmächtigen sei Dank! –, daß sie zwischen uns beiden
dahinschritt.
Ein kalter Schauer schüttelte sie vom Kopf bis zu den Füßen,
und das Zittern hörte nicht auf, bis ich sie auf ihr Bett legte. Bis
zum frühen Morgen hielt sie meine Hand fest und jammerte und
jammerte: »Oh, der Elende, der Elende, der Elende!« Aber als
ich schließlich so tat, als ob der Kopf mir schwer würde und ein
tiefer Schlaf mich übermannte, hörte ich, wie das arme junge
Weib mit so rührenden und demutsvollen Worten dem Himmel
dankte, daß sie davor bewahrt geblieben sei, sich in ihrer Raserei
das Leben zu nehmen, daß ich glaubte, ich müßte mir auf der
Bettdecke die Augen ausweinen, und ich wußte, daß sie es nicht
wieder versuchen würde.
Da es mir gutging und ich die Ausgabe tragen konnte,
schmiedete ich am folgenden Tag mit dem Major meine Pläne,
während sie den tiefen Schlaf der Erschöpfung schlief; sobald es
anging, sagte ich zu ihr:
»Mrs. Edson, meine Liebe, als Mr. Edson mir die Miete für
»Mrs. Edson, meine Liebe, als Mr. Edson mir die Miete für
diese weiteren Monate bezahlte ...«
Sie fuhr empor, und ich fühlte, wie ihre großen Augen auf mich
gerichtet waren, aber ich fuhr mit meiner Rede und meiner
Nadelarbeit fort.
»... ich bin nicht ganz sicher, ob ich die Quittung richtig datierte.
Könnten Sie sie mir einmal zeigen?«
Sie legte