ist, und dann kommt den Mädchen die Wut, obwohl ich hoffe,
daß es nicht oft in dem Maße der Fall ist wie bei Caroline
Maxey.
Caroline war ein hübsches, schwarzäugiges Mädchen und hatte
ein Paar kräftige Fäuste, wie ich zu meinem Schaden erfuhr, als
sie losbrach und um sich schlug. Das geschah zum ersten und
letzten Mal durch die Schuld eines jungen Ehepaares, das sich
London ansehen wollte und im ersten Stock wohnte. Die Dame
war sehr hochmütig, und es hieß, sie mochte Caroline wegen
ihres hübschen Äußeren nicht leiden, da sie selbst in dieser
Beziehung nichts übrig hatte, aber auf jeden Fall machte sie
Caroline das Leben schwer, obwohl das keine Entschuldigung
war. So kommt Caroline eines Nachmittags mit gerötetem
Gesicht in die Küche und sagt zu mir:
»Mrs. Lirriper, dieses Weib im ersten Stock hat mich ganz
unerträglich geärgert.«
Ich sage darauf: »Caroline, unterdrücke deine Wut.«
Darauf antwortet Caroline mit einem Lachen, das mir das Blut in
den Adern erstarren läßt:
»Meine Wut unterdrücken? Da haben Sie recht, Mrs. Lirriper,
das will ich tun.«
»Gott verd ... sie!« bricht Caroline darauf los (man hätte mich mit
einer Feder bis in den Mittelpunkt der Erde hineinschmettern
können, als sie das sagte). »Ich will ihr mal zeigen, welche Wut
ich in mir unterdrückt habe!«
Caroline zieht den Kopf ein, meine Liebe, schreit auf und stürzt
die Treppe empor, ich, so schnell mich meine zitternden Beine
tragen können, hinter ihr her. Aber bevor ich noch im Zimmer
anlange, ist schon das Tischtuch mit dem Geschirr in Rosa und
Weiß krachend auf den Boden geflogen und das junge Ehepaar
liegt mit den Beinen in der Luft im Karnin, er mit Schaufel und
Feuerzange und einer Schüssel voll Gurkensalat quer über dem
Bauch. Ein Glück, daß es Sommer war!
»Caroline«, rufe ich, »beruhige dich!«
Aber als sie an mir vorbeikommt, zerrt sie mir die Haube vom
Kopf und zerreißt sie mit den Zähnen, fällt dann über die
jungverheiratete Dame her, macht ein Bündel Bänder aus ihr,
faßt sie an beiden Ohren und schlägt sie mit dem Hinterkopf
faßt sie an beiden Ohren und schlägt sie mit dem Hinterkopf
gegen die Wand. Die Dame schreit während der ganzen Zeit
zetermordio, Schutzleute rennen die Straße entlang, während
Miß Wozenhams Fenster (denken Sie sich meine Gefühle, als ich
das erfuhr) aufgerissen werden und Miß Wozenham vom Balkon
aus mit Krokodilstränen herunterschreit:
»Es ist Mrs. Lirriper, die jemand durch Überforderung zum
Wahnsinn getrieben hat
– man wird sie ermorden – ich habe es schon lange erwartet –
Schutzleute, rettet sie!«
35
Meine Liebe, denken Sie sich: vier Schutzleute und Caroline
hinter der Kommode, die mit dem Schüreisen auf sie losfährt.
Als man sie entwaffnet hatte, boxte sie mit beiden Fäusten um
sich, hin und her und her und hin, ganz entsetzlich! Aber ich
konnte es nicht mit ansehen, daß sie das arme junge Ding rauh
anpackten und ihr das Haar herabrissen, als sie sie überwältigt
hatten, und ich sage:
»Meine Herren Schutzleute, bitte denken Sie daran, daß ihr
Geschlecht das Geschlecht Ihrer Mütter und Schwestern und
Ihrer Liebsten ist, und Gott segne diese und Sie selbst!«
Und da saß sie nun auf dem Boden, mit Handschellen gefesselt,
und lehnte sich, nach Atem ringend, gegen die Wandleiste, und
die Schutzleute kühl und gelassen mit zerrissenen Röcken, und
alles, was sie sagte, war:
»Mrs. Lirriper, es tut mir leid, daß ich Sie angerührt habe, denn
Sie sind eine gute, mütterliche alte Dame.«
Ich mußte daran denken, wie oft ich gewünscht hatte, ich wäre
wirklich eine Mutter, und welche Gefühle mein Herz bewegt
hätten, wenn ich die Mutter dieses Mädchens gewesen wäre!
Auf der Polizeiwache stellte sich dann heraus, daß es nicht das
erstemal bei ihr war, und man nahm ihr die Kleider weg und
steckte sie ins Gefängnis. Als sie wieder herauskommen sollte,
ging ich am Abend ans Gefängnistor mit einem bißchen Gelee in
meinem kleinen Körbchen, um sie ein wenig für den erneuten
Lebenskampf zu stärken, und dort traf ich eine sehr ehrbare
Mutter, die auf ihren Sohn wartete. Er war durch schlechte
Gesellschaft dorthin gekommen, und es war ein verstockter
Schlingel, der seine Halbschuhe aufgeschnürt trug. Da kommt
nun meine Caroline heraus und ich sage zu ihr:
» Caroline, komm mit mir und setze dich unter die Mauer, wo
niemand hinkommt, und iß eine Kleinigkeit, die ich für dich
mitgebracht habe.«
Darauf schlingt sie die Arme um meinen Hals und sagt:
»Oh, weshalb sind Sie keine Mutter, wo es solche Mütter gibt,
wie es sie gibt!«
So spricht sie, und in einer halben Minute beginnt sie zu lachen
und fragt:
»Habe ich wirklich Ihre Haube in Fetzen gerissen?«
Und als ich erwidere: »Gewiß hast du das getan, Caroline«, lacht
sie wieder und sagt, während sie mir das Gesicht streichelt:
»Weshalb tragen Sie aber auch solche altmodischen Hauben, Sie
liebes, altes Wesen? Wenn Sie nicht so eine altmodische Haube
aufgehabt hätten, dann glaube ich nicht, daß ich es selbst damals
getan hätte.«
Denken Sie sich, so ein Mädel! Ich konnte sie auf keine Weise
dazu bringen, mir zu sagen, was sie nun anfangen wollte. Sie
sagte bloß immer, oh, es würde ihr schon nicht schlechtgehen,
und wir schieden, nachdem sie mir aus Dankbarkeit die Hände
geküßt hatte. Ich habe niemals mehr etwas von dem Mädchen
gesehen oder gehört, aber ich bin fest überzeugt, daß eine sehr
vornehme Haube, die auf Veranlassung eines ungenannten
Absenders an einem Samstagabend in einem Wachstuchkorb