Charles Dickens

Weihnachtserzählungen - 308 Seiten


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ist, und dann kommt den Mädchen die Wut, obwohl ich hoffe,

       daß es nicht oft in dem Maße der Fall ist wie bei Caroline

       Maxey.

       Caroline war ein hübsches, schwarzäugiges Mädchen und hatte

       ein Paar kräftige Fäuste, wie ich zu meinem Schaden erfuhr, als

       sie losbrach und um sich schlug. Das geschah zum ersten und

       letzten Mal durch die Schuld eines jungen Ehepaares, das sich

       London ansehen wollte und im ersten Stock wohnte. Die Dame

       war sehr hochmütig, und es hieß, sie mochte Caroline wegen

       ihres hübschen Äußeren nicht leiden, da sie selbst in dieser

       Beziehung nichts übrig hatte, aber auf jeden Fall machte sie

       Caroline das Leben schwer, obwohl das keine Entschuldigung

       war. So kommt Caroline eines Nachmittags mit gerötetem

       Gesicht in die Küche und sagt zu mir:

       »Mrs. Lirriper, dieses Weib im ersten Stock hat mich ganz

       unerträglich geärgert.«

       Ich sage darauf: »Caroline, unterdrücke deine Wut.«

       Darauf antwortet Caroline mit einem Lachen, das mir das Blut in

       den Adern erstarren läßt:

       »Meine Wut unterdrücken? Da haben Sie recht, Mrs. Lirriper,

       das will ich tun.«

       »Gott verd ... sie!« bricht Caroline darauf los (man hätte mich mit

       einer Feder bis in den Mittelpunkt der Erde hineinschmettern

       können, als sie das sagte). »Ich will ihr mal zeigen, welche Wut

       ich in mir unterdrückt habe!«

       Caroline zieht den Kopf ein, meine Liebe, schreit auf und stürzt

       die Treppe empor, ich, so schnell mich meine zitternden Beine

       tragen können, hinter ihr her. Aber bevor ich noch im Zimmer

       anlange, ist schon das Tischtuch mit dem Geschirr in Rosa und

       Weiß krachend auf den Boden geflogen und das junge Ehepaar

       liegt mit den Beinen in der Luft im Karnin, er mit Schaufel und

       Feuerzange und einer Schüssel voll Gurkensalat quer über dem

       Bauch. Ein Glück, daß es Sommer war!

       »Caroline«, rufe ich, »beruhige dich!«

       Aber als sie an mir vorbeikommt, zerrt sie mir die Haube vom

       Kopf und zerreißt sie mit den Zähnen, fällt dann über die

       jungverheiratete Dame her, macht ein Bündel Bänder aus ihr,

       faßt sie an beiden Ohren und schlägt sie mit dem Hinterkopf

       faßt sie an beiden Ohren und schlägt sie mit dem Hinterkopf

       gegen die Wand. Die Dame schreit während der ganzen Zeit

       zetermordio, Schutzleute rennen die Straße entlang, während

       Miß Wozenhams Fenster (denken Sie sich meine Gefühle, als ich

       das erfuhr) aufgerissen werden und Miß Wozenham vom Balkon

       aus mit Krokodilstränen herunterschreit:

       »Es ist Mrs. Lirriper, die jemand durch Überforderung zum

       Wahnsinn getrieben hat

       – man wird sie ermorden – ich habe es schon lange erwartet –

       Schutzleute, rettet sie!«

       35

       Meine Liebe, denken Sie sich: vier Schutzleute und Caroline

       hinter der Kommode, die mit dem Schüreisen auf sie losfährt.

       Als man sie entwaffnet hatte, boxte sie mit beiden Fäusten um

       sich, hin und her und her und hin, ganz entsetzlich! Aber ich

       konnte es nicht mit ansehen, daß sie das arme junge Ding rauh

       anpackten und ihr das Haar herabrissen, als sie sie überwältigt

       hatten, und ich sage:

       »Meine Herren Schutzleute, bitte denken Sie daran, daß ihr

       Geschlecht das Geschlecht Ihrer Mütter und Schwestern und

       Ihrer Liebsten ist, und Gott segne diese und Sie selbst!«

       Und da saß sie nun auf dem Boden, mit Handschellen gefesselt,

       und lehnte sich, nach Atem ringend, gegen die Wandleiste, und

       die Schutzleute kühl und gelassen mit zerrissenen Röcken, und

       alles, was sie sagte, war:

       »Mrs. Lirriper, es tut mir leid, daß ich Sie angerührt habe, denn

       Sie sind eine gute, mütterliche alte Dame.«

       Ich mußte daran denken, wie oft ich gewünscht hatte, ich wäre

       wirklich eine Mutter, und welche Gefühle mein Herz bewegt

       hätten, wenn ich die Mutter dieses Mädchens gewesen wäre!

       Auf der Polizeiwache stellte sich dann heraus, daß es nicht das

       erstemal bei ihr war, und man nahm ihr die Kleider weg und

       steckte sie ins Gefängnis. Als sie wieder herauskommen sollte,

       ging ich am Abend ans Gefängnistor mit einem bißchen Gelee in

       meinem kleinen Körbchen, um sie ein wenig für den erneuten

       Lebenskampf zu stärken, und dort traf ich eine sehr ehrbare

       Mutter, die auf ihren Sohn wartete. Er war durch schlechte

       Gesellschaft dorthin gekommen, und es war ein verstockter

       Schlingel, der seine Halbschuhe aufgeschnürt trug. Da kommt

       nun meine Caroline heraus und ich sage zu ihr:

       » Caroline, komm mit mir und setze dich unter die Mauer, wo

       niemand hinkommt, und iß eine Kleinigkeit, die ich für dich

       mitgebracht habe.«

       Darauf schlingt sie die Arme um meinen Hals und sagt:

       »Oh, weshalb sind Sie keine Mutter, wo es solche Mütter gibt,

       wie es sie gibt!«

       So spricht sie, und in einer halben Minute beginnt sie zu lachen

       und fragt:

       »Habe ich wirklich Ihre Haube in Fetzen gerissen?«

       Und als ich erwidere: »Gewiß hast du das getan, Caroline«, lacht

       sie wieder und sagt, während sie mir das Gesicht streichelt:

       »Weshalb tragen Sie aber auch solche altmodischen Hauben, Sie

       liebes, altes Wesen? Wenn Sie nicht so eine altmodische Haube

       aufgehabt hätten, dann glaube ich nicht, daß ich es selbst damals

       getan hätte.«

       Denken Sie sich, so ein Mädel! Ich konnte sie auf keine Weise

       dazu bringen, mir zu sagen, was sie nun anfangen wollte. Sie

       sagte bloß immer, oh, es würde ihr schon nicht schlechtgehen,

       und wir schieden, nachdem sie mir aus Dankbarkeit die Hände

       geküßt hatte. Ich habe niemals mehr etwas von dem Mädchen

       gesehen oder gehört, aber ich bin fest überzeugt, daß eine sehr

       vornehme Haube, die auf Veranlassung eines ungenannten

       Absenders an einem Samstagabend in einem Wachstuchkorb