Tür auf der Fußmatte. Seine Blicke irrten umher, sein Gesicht war blass – er sah schlecht aus und wirkte verängstigt. Er hantierte nervös mit seiner Kappe und schob sie vorwärts und rückwärts und von einer Hand in die andere.
„Sie wollten mich sprechen?“, sagte Miss Garth.
„Ich bitte um Verzeihung, Madam – Sie sind nicht Mrs. Vanstone, nichtwahr?“
„Ganz bestimmt nicht. Ich bin Miss Garth. Warum fragen Sie?“
„Ich bin Mitarbeiter im Büro des Bahnhofsvorstehers von Grailsea…“
„Ja?“
„Man hat mich hergeschickt…“
Wieder hielt er inne. Seine Blicke wanderten hinunter zur Fußmatte, und seine ruhelosen Hände zerknüllten die Kappe immer heftiger. Er feuchtete sich die trockenen Lippen an und versuchte es noch einmal.
„Man hat mich in einer sehr ernsten Angelegenheit hergeschickt.“
„Ernst für mich?“
„Ernst für alle hier im Haus.“
Miss Garth trat einen Schritt näher auf ihn zu – warf ihm einen unverwandten Blick ins Gesicht. Ihr wurde trotz der sommerlichen Hitze kalt. „Halt!“, sagte sie mit plötzlichem Misstrauen und blickte besorgt zur Tür des Frühstückszimmers. Sie war fest geschlossen. „Sagen Sie mir das Schlimmste; und sprechen Sie nicht laut. Es hat einen Unfall gegeben. Wo?“
„Auf der Eisenbahnstrecke. In der Nähe des Bahnhofs von Grailsea.“
„Der nördliche Zug nach London?“
„Nein. Der südliche Zug um ein Uhr fünfzig…“
„Gott der Allmächtige helfe uns! Der Zug, mit dem Mr. Vanstone nach Grailsea gefahren ist?“
„Eben dieser. Man hat mich mit dem nördlichen Zug hergeschickt. Die Strecke wurde gerade rechtzeitig wieder frei gemacht. Sie wollten nicht schreiben – sie haben gesagt, ich muss ‚Miss Garth‘ aufsuchen und es ihr sagen. Sieben Fahrgäste sind schwer verletzt. Und zwei…“
Die nächsten Worte erstarben auf seinen Lippen; er hob in tiefem Schweigen die Hand. Mit Augen, die sich vor Entsetzen weit geöffnet hatten, hob er die Hand und zeigte über Miss Garth’ Schulter.
Sie drehte sich ein wenig und sah sich um.
Ihr genau gegenüber, auf der Schwelle des Studierzimmers, stand die Hausherrin. Sie hielt ihr altes Notenheft mit beiden Händen mechanisch umklammert und stand da, ein Gespenst ihrer selbst. Mit einer entsetzlichen Leere im Blick, mit einer entsetzlichen Stille in der Stimme, wiederholte sie die letzten Worte des Mannes:
„Sieben Fahrgäste sind schwer verletzt; und zwei…“
Ihre gequälten Finger lockerten ihren Griff, das Heft entglitt ihnen; sie sank schwer nach vorn. Miss Garth fing sie auf, bevor sie hinstürzen konnte – griff nach ihr und wandte sich, den bewusstlosen Körper der Ehefrau in den Armen, an den Mann, um das Schicksal des Ehemannes zu erfahren.
„Der Schaden ist angerichtet“, sagte sie. „Sie können offen sein. Ist er verletzt oder tot?“
„Tot.“
Kapitel 11
Sie Sonne sank tiefer; kühl und frisch wehte die westliche Brise ins Haus. Während der Abend hereinbrach, kam das fröhliche Läuten der Dorfkirchenglocke immer näher. Feld und Blumengarten spürten den Einfluss der Tageszeit und verströmten ihren süßesten Duft. Die Vögel in Norahs Vogelgehege sonnten sich in der abendlichen Stille und sangen ihr dankbares Lebewohl an den sterbenden Tag.
Die erbarmungslose Routine des Hauses war in ihrem Fortschreiten nur vorübergehend ins Stocken geraten und ging auf entsetzliche Weise ihren täglichen Gang. Die von Panik befallenen Dienstboten suchten blinde Zuflucht in den Pflichten, die der Stunde angemessen waren. Der Diener deckte leise den Tisch für das Abendessen. Die Zofe saß da, in sinnlosem Zweifel wartend, neben sich die Kannen mit heißem Wasser für die Schlafzimmer in ihrer gewöhnlichen Ordnung aufgereiht. Der Gärtner, der die Anweisung erhalten hatte, mit den Rechnungen für das über seine Pflichten hinaus ausgegebene Geld zu seinem Herrn zu kommen, sagte, sein Charakter sei ihm lieb und teuer, und ließ die Papiere zur vorbezeichneten Zeit zurück. Die Gewohnheit, die niemals nachgibt, und der Tod, der niemanden verschont, trafen auf den Trümmern menschlichen Glücks zusammen – und der Tod musste zurückstehen.
Schwer hatten sich die Gewitterwolken der Heimsuchung über dem Haus zusammengezogen – schwer, aber noch nicht ganz dunkel. Um fünf Uhr an diesem Abend hatte das Entsetzen des Verhängnisses seinen Schlag geführt. Noch bevor eine weitere Stunde verstrichen war, folgte auf die Mitteilung über den Tod des Ehemannes die Ungewissheit über die tödliche Gefahr für die Ehefrau. Hilflos lag sie auf ihrem verwitweten Bett; ihr Leben und das ihres ungeborenen Kindes standen auf des Messers Schneide.
Nur ein Kopf blieb noch im Besitz seiner Kräfte – ein lenkender Geist bewegte sich hilfreich in dem Trauerhaus.
Wären Miss Garth’ jüngere Jahre so ruhig und glücklich verlaufen wie ihr späteres Leben in Combe-Raven, sie wäre vielleicht unter den grausamen Notwendigkeiten dieses Tages zusammengebrochen. Aber die Gouvernante war in ihrer Jugend durch familiäres Elend auf eine harte Probe gestellt worden; jetzt erfüllte sie ihre entsetzlichen Pflichten mit dem standhaften Mut einer Frau, die zu leiden gelernt hatte. Allein hatte sie die Prüfung auf sich genommen, den Töchtern zu sagen, dass sie nun vaterlos waren. Allein bemühte sie sich darum, ihnen Kraft zu geben, da sich nun die grausige Gewissheit des Verlustes in ihren Geist einprägte.
Die geringsten Befürchtungen hatte sie wegen der älteren Schwester. Die Qual von Norahs Trauer hatte sich nach außen durch die natürliche Erleichterung der Tränen Bahn gebrochen. Nicht so bei Magdalen. Tränenlos und sprachlos saß sie in dem Zimmer, in dem die Eröffnung über den Tod ihres Vaters zuerst zu ihr gedrungen war; ihr Gesicht, unnatürlich versteinert wie durch den fruchtlosen Kummer des hohen Alters – eine weiße, unveränderliche Leere – war furchtbar anzusehen. Nichts munterte sie auf, nichts erweichte sie. Sie sagte nur: „Sprecht mich nicht an; fasst mich nicht an. Lasst es mich allein ertragen“ – und verfiel wieder in Schweigen. Die erste große Trauer, die das Leben der Schwestern verdüstert hatte, veränderte, so schien es, schon jetzt ihren alltäglichen Charakter.
Die Dämmerung brach herein und schwand dahin; hell kam die Sommernacht. Als das erste sorgsam bedeckte Licht im Krankenzimmer entzündet wurde, traf der Arzt ein, den man aus Bristol geholt hatte, und beriet sich mit dem medizinischen Betreuer der Familie. Er konnte keinen Trost spenden und sagte nur: „Wir müssen alles versuchen und hoffen. Der Schreck, der sie getroffen hat, als sie die Nachricht vom Tod ihres Mannes mithörte, hat ihre Kraft zu einer Zeit geschwächt, da sie ihrer am meisten bedarf. Nichts, was sie retten könnte, soll unversucht gelassen werden. Ich bleibe heute Nacht hier.“
Während er sprach, öffnete er eines der Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Der Blick ging auf den Fahrweg vor dem Haus und die Straße dahinter. Kleine Menschengruppen standen vor der Pforte und blickten hinein. „Wenn diese Personen den geringsten Lärm machen, muss man sie wegschicken“, sagte der Arzt. Aber es war nicht nötig, sie wegzuschicken: Es waren nur die Arbeiter, die auf dem Anwesen des Toten gearbeitet hatten, hier und da auch einige Frauen und Kinder aus dem Dorf. Alle dachten an ihn, manche sprachen von ihm, und es beflügelte ihren trägen Geist, sein Haus anzusehen. Die meisten feinen Herren hier in der Gegend seien nett zu ihnen (sagten die Männer), aber keiner sei so gewesen wie er. Die Frauen flüsterten einander zu, wie großherzig er gewesen sei, wenn er in ihre Hütten kam. „Er war ein fröhlicher Mann, die arme Seele, und hat immer an uns gedacht. Nie ist er zur Essenszeit hereingekommen und hat uns angestarrt. Die anderen helfen uns und schimpfen mit uns – aber er hat immer nur gesagt: Beim nächsten Mal wird es besser!“ So standen sie und sprachen von ihm und sahen sein Haus und seine Ländereien an und gingen behäbig zu Zweien und Dreien weg mit dem vagen Gefühl, dass der Anblick seines freundlichen Gesichts sie nie wieder trösten würde. Noch der stumpfsinnigste Kopf unter ihnen wusste an diesem Abend,