Уилки Коллинз

Die Namenlosen


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      „Nur in diesem Zimmer, denn hier werden Mr. Vanstones Papiere aufbewahrt, und ich könnte es für notwendig erachten, einige davon zu Rate zu ziehen.“

      Nach diesem formellen Austausch von Frage und Antwort setzten sie sich beiderseits eines Tisches, der dicht unter dem Fenster stand. Der eine wartete darauf, zu sprechen, die andere wartete darauf, es zu ertragen. Vorübergehend herrschte Schweigen. Mr. Pendril brach es, indem er mit dem üblichen Ausdruck des Mitgefühls von den jungen Damen sprach. Miss Garth antwortete ihm mit der gleichen Zeremonie in dem gleichen konventionellen Ton. Eine zweite Pause des Schweigens trat ein. Das Summen der Fliegen zwischen den immergrünen Sträuchern unter dem Fenster drang träge ins Zimmer; und das Stampfen eines schwerfüßigen Karrengauls, der jenseits des Gartens die Straße entlang trottete, war in der Stille so deutlich zu hören als wäre es Nacht.

      Der Anwalt nahm seine erlahmende Entschlossenheit zusammen, und als er das nächste Mal zum Sprechen ansetzte, kam er zur Sache.

      „Sie haben einen gewissen Anlass, Miss Garth“, begann er, „mit meinem Betragen Ihnen gegenüber insbesondere in einer Angelegenheit nicht ganz zufrieden zu sein. Während Mrs. Vanstones tödlicher Erkrankung haben Sie einen Brief an mich gerichtet und darin gewisse Fragen gestellt, die ich, während sie noch lebte, unmöglich beantworten konnte. Ihr beklagenswerter Tod befreit mich von der Beschränkung, die ich mir selbst auferlegt hatte, und erlaubt es mir – oder richtiger gesagt, verpflichtet mich –, zu sprechen. Sie sollen erfahren, welche schwer wiegenden Gründe ich hatte, Tag und Nacht zu warten in der Hoffnung, jenes Gespräch führen zu können, das unglücklicherweise nie stattgefunden hat; und um Mr. Vanstones Andenken Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sollen Ihre eigenen Augen Sie davon in Kenntnis setzen, dass er sein Testament gemacht hat.“

      Er erhob sich, öffnete einen kleinen eisernen Safe in einer Ecke des Zimmers und kehrte mit einigen gefalteten Blättern Papier an den Tisch zurück, wo er sie unter Miss Garth’ Blicken offen ausbreitete. Als sie die ersten Worte „Im Namen Gottes, Amen“ gelesen hatte, drehte er das Blatt um und deutete auf das Ende der nächsten Seite. Dort sah sie die wohlbekannte Unterschrift: „Andrew Vanstone“. Sie sah die üblichen Bestätigungen der beiden Zeugen und das Datum des Dokuments, das um einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren zurücklag. Nachdem sie sich von der formellen Richtigkeit des Testaments überzeugt hatte, schaltete der Anwalt sich ein, bevor sie ihm eine Frage stellen konnte, und wandte sich an sie:

      „Ich darf Sie nicht täuschen“, sagte er. „Ich habe meine Gründe, Ihnen dieses Dokument vorzulegen.“

      „Was für Gründe, Sir?“

      „Das werden Sie erfahren. Wenn Sie im Besitz der Wahrheit sind, werden diese Seiten Ihnen vielleicht helfen, den Respekt für Mr. Vanstones Andenken zu bewahren…“

      Miss Garth fuhr auf ihrem Stuhl zurück.

      „Was meinen Sie damit?“, fragte sie in kühner Direktheit.

      Er nahm von der Frage keine Notiz und fuhr fort, als hätte sie ihn nicht unterbrochen.

      „Ich habe noch einen zweiten Grund, Ihnen das Testament zu zeigen“, fuhr er fort. „Wenn ich Sie dazu bewegen kann, unter meiner Aufsicht gewisse Klauseln darin zu lesen, werden Sie selbst die Entdeckung machen und die Umstände herausfinden, die zu enthüllen ich hier bin – Umstände, die so schmerzlich sind, dass ich gar nicht weiß, wie ich sie Ihnen mit meinen eigenen Lippen offenbaren soll.“

      Miss Garth sah ihm unverwandt in die Augen.

      „Umstände, Sir, welche die verstorbenen Eltern oder die lebenden Kinder betreffen?“

      „Sie betreffen sowohl die Toten als auch die Lebenden“, antwortete der Anwalt. „Umstände, so muss ich zu meinem Bedauern sagen, die auch die Zukunft von Mr. Vanstones unglücklichen Töchtern einschließen.“

      „Warten Sie“, sagte Miss Garth, „warten Sie einen Augenblick.“ Sie schob sich die grauen Haare von den Schläfen zurück und kämpfte gegen den Schmerz in ihrem Herzen, gegen jene grausige Müdigkeit des Entsetzens, die eine jüngere oder weniger entschlossene Frau überwältigt hätte. Ihre Blicke – düster vom Beobachten, erschöpft vom Kummer – musterten das undurchdringliche Gesicht des Anwalts. „Seine unglücklichen Töchter?“, wiederholte sie geistesabwesend zu sich selbst. „Er redet, als gäbe es einen noch schlimmeren Schicksalsschlag als den, der sie zu Waisen gemacht hat.“ Wieder hielt sie inne und nahm ihren sinkenden Mut zusammen. „Wenn ich kann, möchte ich Ihnen Ihre schmerzliche Pflicht nicht noch schwerer machen“, setzte sie wieder an. „Zeigen Sie mir die Stelle in dem Testament. Lassen Sie mich lesen und das Schlimmste erfahren.“

      Mr. Pendril blätterte zurück zur ersten Seite und zeigte auf eine bestimmte Stelle in den eng geschriebenen Zeilen. „Fangen Sie dort an“, sagte er.

      Sie bemühte sich, mit dem Lesen zu beginnen. Sie bemühte sich, seinem Finger zu folgen, wie sie ihm bereits bei den Unterschriften und Datumsangaben gefolgt war. Aber es schien, als teilten ihre Sinne die Verwirrung ihres Geistes – die Worte flossen ineinander, und die Zeilen verschwammen vor ihren Augen.

      „Ich kann Ihnen nicht folgen“, sagte sie. „Sie müssen es mir sagen oder vorlesen.“ Sie schob ihren Stuhl vom Tisch zurück und versuchte, sich zu sammeln. „Halt!“, rief sie, als der Anwalt die Papiere mit sichtbarem Zögern und Widerstreben in die Hand nahm. „Zuerst eine Frage. Sorgt das Testament für seine Kinder?“

      „Es hat für seine Kinder gesorgt, als er es gemacht hat.“

      „Als er es gemacht hat!“ Als sie die Antwort wiederholte, brach in ihrem Betragen ein wenig von ihrer natürlichen Unverblümtheit hervor. „Sorgt es heute für sie?“

      „Nein.“

      Sie riss ihm das Testament aus der Hand und warf es in eine Ecke des Zimmers. „Sie meinen es gut“, sagte sie. „Sie wollen mich schonen – aber Sie vergeuden nur Ihre Zeit und meine Kraft. Wenn das Testament nutzlos ist, soll es dort liegen bleiben. Sagen Sie mir die Wahrheit, Mr. Pendril – Sagen Sie sie geradeheraus und augenblicklich mit Ihren eigenen Worten!“

      Er spürte, dass es unnütze Grausamkeit gewesen wäre, sich diesem Appell zu widersetzen. Es gab keine barmherzigere Alternative als auf der Stelle zu antworten.

      „Ich muss Sie auf den Frühling des gegenwärtigen Jahres verweisen, Miss Garth. Erinnern Sie sich an den vierten März?“

      Wieder schweifte ihre Aufmerksamkeit ab; anscheinend war ihr in dem Augenblick, in dem er sprach, ein Gedanke gekommen. Anstatt auf seine Frage zu antworten, stellte sie selbst eine.

      „Lassen Sie mich selbst die Nachricht finden“, sagte sie. „Lassen sie mich Ihnen vorgreifen, wenn ich dazu in der Lage bin. Sein nutzloses Testament, die Art, wie Sie über seine Töchter sprechen, der Zweifel, den Sie offenbar empfinden, was meinen fortgesetzten Respekt für sein Andenken angeht, all das hat mir eine neue Sichtweise eröffnet. Mr. Vanstone ist als mittelloser Mann gestorben – war es das, was Sie mir sagen wollten?“

      „Keineswegs. Mr. Vanstone hat bei seinem Tod ein Vermögen von mehr als achtzigtausend Pfund hinterlassen – ein Vermögen, das in ausgezeichneten Sicherheiten angelegt ist. Er hat seinen Verhältnissen entsprechend gelebt, aber nie darüber hinaus, und alle seine Schulden würden sich zusammengenommen auf noch nicht einmal zweihundert Pfund summieren. Wäre er als mittelloser Mann gestorben, ich hätte tiefes Mitgefühl für seine Kinder empfunden. Aber ich hätte nicht so gezögert, Ihnen die Wahrheit zu sagen, wie ich jetzt zögere. Lassen Sie mich eine Frage wiederholen, die Ihnen, so scheint mir, entgangen ist, als ich sie zum ersten Mal gestellt habe. Versetzen Sie sich noch einmal in den Frühling dieses Jahres. Erinnern Sie sich an den vierten März?

      Miss Garth schüttelte den Kopf. „Mein Gedächtnis für Daten ist auch in den besten Zeiten schlecht“, sagte sie. „Ich bin zu verwirrt, als dass ich es kurzfristig zur Anwendung bringen könnte. Ist es nicht möglich, Ihre Frage in anderer Form zu stellen?“

      Er stellte sie so:

      „Erinnern Sie sich im Frühling des gegenwärtigen