Bernd Franzinger

Fritz I - ein Knirps wehrt sich


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Jahren erfolgloser herkömmlicher Besamungsversuche hatte erst eine Befruchtung im Reagenzglas zur herbeigesehnten Schwangerschaft geführt.

      Seitdem Kerstin in den Olymp der Spätgebärdenden aufgestiegen war, gebärdete sie sich im Gegensatz zu Bea als leidenschaftliche Vollzeitmutter. Mit allem, was dazugehörte: postnatale Megabrutlaune, radikaler Jobverzicht, extremer Stillfetischismus und ausgeprägte Kleinkindapotheose.

      Da es ohne Kind und trotz Emanzipation und trotz Frauenförderquote mit ihrer ersten Karriere nicht so richtig geklappt hatte, witterte sie nun eine zweite Karrierechance. Denn mit Kind konnte man schließlich auch Karriere machen: als hyperengagierte und hyperperfekte Premium-Vorzeigemutter.

      Bea plädierte in ihrem neuen Elternratgeber emphatisch für alle nur erdenklichen Frühfördermaßnahmen, doch in Bezug auf ihren eigenen Sprössling hielt sie sich in dieser Hinsicht dezent zurück. Und genau mit diesem schändlichen Fehlverhalten hatte sie ihre Freundin konfrontiert.

      Vor ein paar Tagen hatte Kerstin Bea aufgesucht und ihr die Vorwurfs-Pistole auf die bereits vor Wochen stillgelegte Brust gesetzt. Schonungslos wurde sie des unverantwortlichen Abstillens angeklagt und darüber hinaus der grob fahrlässigen Kleinkindvernachlässigung bezichtigt.

      Und das, obwohl Fritz definitiv nicht angekettet in einem dunklen Kellerverlies gehalten wurde, sondern die meiste Zeit bei seinen Großeltern im Hellen und Grünen aufwuchs. Aber er war eben nicht da gewesen, als Kerstin da war. Und das hatte der Premium-Mutter genügt.

      »Ein Säugling, der ohne Mutterbrust aufwachsen muss, ist ein armes Schwein«, echauffierte sich Kerstin. »Wie kann man nur sein eigen Fleisch und Blut freiwillig jemand anderem in die Hände geben?« Sie schüttelte sich wie ein nasser Eisbär.

      »Der arme kleine Kerl vegetiert bei diesen alten Leuten doch elendig vor sich hin. Mit Flasche, aber ohne Anregung, ohne Zuwendung, ohne Förderung. Hört ihr denn nicht die Stimme eures Blutes, wie sie euch mahnend in den Ohren dröhnt?«

      Den letzten Satz sprach sie im Plural, denn Dr. Hubert Wollenweber war inzwischen zu Hause eingetroffen. Hubi schwieg betreten vor sich hin und ließ die saftige Gardinenpredigt tapfer über sich ergehen.

      Was hätte er denn auch Vernünftiges sagen sollen?

      Er hatte diese ominöse Stimme des Blutes noch nie vernommen, noch nicht einmal als leises Hintergrundrauschen. Weder im Krankenhaus, noch irgendwann später. Was ihn auch nicht sonderlich verwunderte, denn insgeheim verleugnete er die Vaterschaft. Doch getraute er sich nicht, Bea gegenüber den gravierenden Verdacht einer vorsätzlichen Fremdbefruchtung zu äußern.

      Bereits der erste Anblick des verwachsenen, unansehnlichen Säuglings hatte ihn davon überzeugt, dass er diese Ausgeburt der Natur unmöglich selbst gezeugt haben konnte. Bezeugen konnte er diese Vermutung natürlich nicht, denn er war ja nicht dabei, als Fritzchens leiblicher Vater Bea zu Leibe gerückt war.

      Schenkte man den ärztlichen Rechenkünsten Glauben, so musste dieser unsägliche Befruchtungsvorgang während des gemeinsam verbrachten vierwöchigen Toskanaurlaubs stattgefunden haben. Doch wer um alles in der Welt konnte für dieses Malheur verantwortlich sein?

      Er jedenfalls nicht, dessen war sich Hubi sicher.

      In Gedanken ging er alle Männer durch, mit denen er und Bea während dieser Zeit Kontakt hatten, normalen Kontakt versteht sich. So angestrengt Hubi auch über diese Frage nachgrübelte, es wollte ihm partout niemand einfallen, der für Friedrich Karl Ecksteins extreme genetische Grundausstattung verantwortlich gemacht werden konnte.

      Aber eines Nachts schreckte Hubi schweißgebadet aus dem Schlaf auf. Es gab da möglicherweise doch jemanden, der als Fritzchens Erzeuger in Betracht kam: ein Maler, der in unmittelbarer Nähe ihres Feriendomizils Porträts von den Urlaubern angefertigt hatte.

      Dieser etwa vierzigjährige, ausgesprochen muskulöse Italiener hatte ebenfalls stocksteife Schultern und war bezüglich seines Antlitzes ähnlich erbarmungslos von der Natur vernachlässigt worden wie der kleine Fritz. Aber einen Adoniskörper hatte dieser vierschrötige Kerl – Mann oh Mann!

      Eine genetische Analyse würde diese Frage objektiv beantworten, sagte sich Hubi. Aber will ich dieses Testergebnis wirklich wissen? Was ist, wenn ich wider aller Wahrscheinlichkeit doch sein leiblicher Vater bin?

      Hubi konnte in dieser fürchterlichen Nacht kein Auge mehr schließen. Im Morgengrauen, das seinem Namen wirklich alle Ehre machte, hängte er diesen schockierenden Gedanken an die Garderobe. Genau neben den Spiegel, vor dem er Fritz einige Tage zuvor wie einen Schirmständer abgestellt hatte. Es war der Tag, an dem sein eingeborener Sohn zum ersten Mal mit seinem Konterfei konfrontiert worden war.

      Womit wir wieder bei Friedrich Karl Eckstein angelangt wären.

      Der kleine Fritz reagierte geradezu euphorisch auf die Nachricht, dass nun auch er sich am Kelch der frühkindlichen Fördermaßnahmen laben durfte. Er jauchzte vor Freude – und er lächelte zum ersten Mal in seinem blutjungen Leben.

      Allerdings misslang ihm dieses Mienenspiel gründlich, denn sein Lächeln geriet ausgesprochen schief. Um ehrlich zu sein, trug es derart hämische Züge, dass der Adressat dieser nonverbalen Kommunikation sich unweigerlich von dem kleinen Knirps veralbert fühlen musste.

      Mit anderen Worten: Fritz lächelte einen Menschen nicht an, sondern er machte ihn durch seine spöttische Mimik lächerlich. Der Benutzer eines restringierten Sprachcodes mochte bei diesem Anblick gar von einem saumäßig dreckigen Grinsen sprechen.

      Allerdings war Fritz für dieses provokante Gebaren nicht ursächlich verantwortlich, denn nicht er, sondern Mutter Natur hatte beim Zusammenbau seiner Chromosomenausstattung schlichtweg vergessen, in seiner linken Gesichtshälfte einige Nervenbahnen richtig zu verdrahten.

      Und somit bewegte sich bei einem entsprechenden neuronalen Impuls zwar der rechte Mundwinkel wie gewünscht nach oben, doch der linke verharrte unbeeindruckt in seiner Ausgangsposition. Dieses ungewöhnliche Phänomen sollte ihm in seinem künftigen Leben noch einige Unannehmlichkeiten bereiten.

      Als Bea an diesem verregneten Aprilmorgen in der Volkshochschule eintraf, wurde sie bereits sehnlichst von ihrer ehemaligen Schulkameradin erwartet. »Da bist du ja endlich, du alte Tranfunzel«, pflaumte sie Kerstin an. »Die anderen warten schon.«

      »Tut mir leid, aber ich musste in der Post so lange anstehen«, erwiderte Bea, was glatt gelogen war.

      Großzügig sah Fritz über diese dreiste Lüge hinweg, schließlich gab es ja so etwas wie eine innerfamiliäre Verschwiegenheitspflicht.

      »Du trägst ihn ja immer noch in dieser blöden Transportbox herum«, schimpfte Kerstin. Sie meinte damit offenbar die Baby-Safety-Schale, in der sich Fritz nach seinem Sturz zwar nicht mehr sicher, aber trotzdem recht wohl fühlte.

      Wo ist denn eigentlich dein Baby?, sinnierte Fritz und schaute sich suchend nach dem Krabbelkameraden um.

      Doch nirgendwo entdeckte er einen Hinweis auf seinen Kollegen.

      Komisch, dachte Fritz. Kerstins Sohn muss doch garantiert auch an dieser Fortbildungsmaßnahme teilnehmen. Na ja, vielleicht ist er noch bei seiner Oma.

      Dann hörte er einen quäkenden Schrei. Er drang durch einen schweren alten Vorhang, den sich Kerstin quer über den Bauch gebunden hatte.

      Will die etwa den armen Kerl ersticken?, fragte sich Fritz, während Kerstin ihren Sohn umständlich aus dem Vorhang schälte.

      Er hieß Justus und plärrte wie am Spieß.

      Der kleine Fritz war ja so was von aufgeregt, denn er lechzte geradezu nach professionellen Fördermaßnahmen. Im Bauch hatte er schon oft von ihnen gehört, schließlich war er hautnah dabei gewesen, als seine Mutter zu diesem spannenden Thema ein Buch geschrieben hatte.

      Während dieser Zeit hatte sie Hubi andauernd von ihrem neuen Elternratgeber erzählt. Und der hatte natürlich ausführlich seinen theoretischen Senf hinzugegeben. Als akademischer Oberrat im Fachbereich Erziehungswissenschaft war das ja wohl auch seine Pflicht!

      PEKIP