Elisa Scheer

Szenenwechsel


Скачать книгу

grauhaariger Mann baute sich kampflustig auf seiner Fußmatte auf, die Hände in die etwas speckigen Hüften gestützt.

      „So, und Sie glauben also, Sie könnten sich hier breitmachen?“

      „Allerdings“, antwortete Hilde höflich, aber so kalt sie konnte. „Warum auch nicht? Ich habe die Wohnung gerade geerbt und ich wüsste nicht, was Sie das überhaupt angeht.“

      „Ach ja? Also, erstens, die Frau Willinger konnte ihre Wohnung überhaupt nicht vererben. Da hat ja wohl der Vermieter noch ein Wörtchen mitzureden! Und einer muss hier schließlich für Ordnung sorgen, sonst geht´s hier doch drunter und drüber!“

      „Ach ja?“ Jetzt hatte sich auch die andere Wohnungstür im Erdgeschoss geöffnet und die Remmel schaute heraus. „Wenn du Depp dich hier nicht so aufspielen würdest, hätten wir gar keine Probleme. Jetzt halt halt einmal deine Gosch´n mit dem Schmarrn!“

      Ohlmann blubberte, und ein junger Mann, der von oben herabkam, bemerkte: „Na, muss sich der Herr Blockwart wieder mal aufspielen? Schade, dass das Tausendjährige Reich vorbei ist, was?“

      „Da herrschten wenigstens noch Zucht und Ordnung!“, keifte Ohlmann.

      „Braune Sau“, entgegnete der junge Mann freundlich lächelnd.

      „Was? Ich zeig Sie an, Sie Kommunistensau! Sie da, Sie machen mir die Zeugin!“

      „Gerne“, sagte Hilde. „Sie haben soeben einen Nachbarn als Kommunistensau bezeichnet. Ich finde, man sollte Sie wegen Störung des Hausfriedens abmahnen und rauswerfen. Wenn Sie öfter so drauf sind, werde ich mich gerne darum kümmern, mit der Unterstützung meines Anwalts. Nicht wahr, Herr Dr. Jörgens?“ Sie grinste falsch, und Jörgens rückte seine Brille sehr amtlich zurecht, musterte Ohlmann streng und nickte dann. „Das scheint mir auch dringend geboten.“

      „Was?“ Ohlmanns Stimme überschlug sich fast. „Und was hat der Mistkerl mich geheißen?“

      „Mistkerl“, notierte Jörgens. „Wir haben nicht gehört, dass Ihr Nachbar Sie irgendwie geheißen hätte. Nur Sie können sich ganz offenbar nicht so benehmen, wie es sich gehört.“

      Dr. Jörgens schritt einige Stufen hinunter und Hilde folgte ihm. „Ach ja“, sagte sie dann, „und viel Spaß bei der Suche nach meinem Vermieter. Sie wollen mich doch verpetzen, nicht?“

      Sie winkte der streitbaren älteren Dame und dem jungen Mann von oben zu und folgte Dr. Jörgens nach draußen.

      „Puh“, sagte sie dann, „wer da wohnt, braucht echt keinen Fernseher mehr. Wieso ist mir der nie begegnet, wenn ich Tante Hilde besucht habe? Kommt der nur vor die Tür, wenn jemand einziehen will? Der Typ kommt mir vor wie aus einer ganz, ganz schlechten Talkshow.“

      „Mir auch“, sagte der junge Mann hinter ihr. „Ich heiße übrigens Ben Schuster.“

      „Hilde Suttner“, antwortete Hilde artig und reichte ihm die Hand. „Ist dieser Ohlmann nicht ganz dicht oder was?“

      „Kontrollfreak, alter Nazi und offensichtlich stark unterbeschäftigt“, antwortete Schuster und hielt Hildes Hand einen Moment länger als nötig fest.

      Sie studierte ihn so unauffällig wie möglich. Ganz nett, ja – aber ganz nett waren eigentlich viele. Groß, schlank, braune Haare, graue Augen, Jeans und Sweatshirt. Außerdem musste der ja wohl kein Interesse an einer übergewichtigen und bestimmt fünf Jahre älteren Nachbarin haben!

      „Und loswerden kann man ihn wohl nicht, wenn er schon ewig hier wohnt“, fügte sie dann hinzu. „Außerdem ist es auch ein bisschen seltsam, wenn ich kaum hier bin und schon versuche, andere Hausbewohner loszuwerden.“

      Schuster lachte. „In diesem Fall wären Ihnen alle dankbar – aber es stimmt schon, es hat etwas von Leuten, die irgendwo hinziehen und dann versuchen, Gockelhahn, Kirchenglocken und Kindergarten wegzuklagen.“

      Hilde musste auch lachen. „Genau! Aber einen richtigen Nachbarschaftskrieg können wir hier wohl auch haben.“

      „Mit Ohlmann? Locker! Solange Sie gute Nerven haben?“

      „Gute Nerven habe ich, aber ich passe schon auf, ob nicht was mit Beleidigungsklage geht. Dass ich unter neunzig und eine Frau bin, ist kein Grund, unverschämt zu werden.“

      Sie schaute streng, als Schuster schon wieder grinste. Jörgens neben ihr räusperte sich mahnend, und sie wandte sich ihm etwas schuldbewusst zu.

      „Möchten Sie noch den Keller sehen?“

      „Sollte ich wohl – sonst versuche ich nachher noch, den falschen zu entrümpeln, nicht?“ Sie folgte Jörgens wieder ins Haus und die Treppe hinunter. Im Keller roch es etwas modrig mit einem unangenehmen Unterton, aber sie kam nicht darauf, was das sein konnte, und der allwissende Schuster war auf der Straße geblieben.

      Na, man gewöhnte sich an alles, auch an einen strengen Geruch. Hilde folgte Suttner ans Ende eines kurzen Gangs, wo er auf einen Lattenverschlag zeigte. „Das ist der Keller Ihrer Tante. Sehen Sie, dieser Schlüssel passt in das Vorhängeschloss.“

      Hilde nickte. Das war ja wohl auch nicht so schwer zu verstehen.

      „Und am Montag kann ich die Wohnung beziehen?“

      Jörgens schaute etwas verdutzt. „Haben Sie es denn so eilig?“

      Hilde zuckte die Achseln. „Naja… die Wohnung ist ungefähr fünf mal so groß wie meine jetzige, und das Entrümpeln wird noch ganz schön lange dauern… je eher ich anfangen kann, desto besser.“

      Jörgens schmunzelte. „Dann können Sie sich bei den Nachbarinnen ja gleich beliebt machen, wenn Sie sich beim Teppichklopfen oder Einkaufen treffen…“

      Hilde feixte. „Da muss ich Sie enttäuschen, Dr. Jörgens. Ich kaufe erst abends ein, wenn ich nach Hause komme, da sind die Nachbarinnen sicher schon fertig, und Teppiche klopfe ich bestimmt nicht. Wozu gibt es Staubsauger? Außerdem weiß ich noch gar nicht, ob ich Tante Marthas falsche Perser behalten will.“

      „Ach ja…“ Dr. Jörgens´ Lächeln wurde etwas dünner. „Und was machen Sie gleich wieder beruflich, wenn ich fragen darf?“

      „Ich unterrichte Mathematik und Geographie am Mariengymnasiumymnasium“, antwortete Hilde würdevoll. Was hatte der denn gedacht? Dass sie Hausfrau sei? Und wovon, bitteschön, sollte sie dann leben?

      „Was haben Sie denn gedacht?“, konnte sie sich nicht verkneifen. Dr. Jörgens schaute etwas ratlos drein.

      „Naja“, begann er dann, „ich - eigentlich wusste ich doch, dass Sie Lehrerin sind. Aber da müssten Sie mittags doch fertig sein?“

      „Kaum“, beschied sie ihn kühl – schließlich hatte er sich nur von einem Fettnapf in den nächsten begeben. „Erstens haben wir spätestens seit dem G 8 sehr viel Nachmittagsunterricht, zweiten müssen wir ja irgendwann auch mal vorbereiten, nachbereiten und korrigieren, und drittens haben wir mindestens dreimal in der Woche nachmittags oder abends eine Veranstaltung in der Schule – Sitzungen, Projektgruppen, Fortbildungen, Konzerte, Elternabende und so.“

      „Ach“, machte Dr. Jörgens schwächlich, „tatsächlich? Wann kommen Sie denn dann so aus der Schule?“

      Hilde zuckte die Achseln. „Verschieden. Vier, fünf – elf. Freitags schon um zwei, da gibt es keinen Nachmittagsunterricht. Die Eltern finden zwar bestimmt, das faule Lehrerpack könnte auch am Freitag gefälligst wie alle anderen Leute bis acht Uhr abends arbeiten, aber sie wollen ja mit ihren Kindern um zwei ins Wochenende fahren. Wahrscheinlich fänden sie es schön, wenn wir da immer Pflichtfortbildungen hätten: Wie gehe ich hinreichend einfühlsam auf verzogene Bälger ein und sorge dafür, dass auch das beschränkteste Kind ohne Stress und Leistungsdruck das Abitur schafft? Oder so ähnlich.“

      Das war total übertrieben, aber Hilde hatte gerade eine unbestimmte Wut gepackt.

      „Um elf??“, pickte Dr. Jörgens sich das heraus, was er verstanden hatte. „Abends?“