Gitti Strohschein

Der Göttergatte


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ich heiße Magret«, setzte ich das Gespräch nach einer kurzen Pause fort.

      »Ah, Gretl«, sagte Kai überrascht. »Herrlich, meine Uroma hieß Magret. Wir haben sie immer Oma Gretl genannt. Witzig, ich habe heute eine Gretl kennengelernt.«

      Na toll, dem Typen fiel nichts Besseres ein, als den Spitznamen seiner uralten Oma auf mich zu übertragen. Seit Kindertagen hasse ich es, wenn mich jemand Gretl nennt.

      Verärgert blinzelte ich ihn an und wiederholte unwillig, jeden Buchstaben einzeln betonend: »Ich heiße Magret. Gretl klingt nach Gänsemagd und bringt mich auf die Palme. Du hast die Wahl!«

      Kai überging meine Erklärung kommentarlos. Stattdessen hielt er seinen linken Zeigefinger hinters Ohr, legte seinen Kopf schräg und deutete auf die Tanzfläche. »Neuer Titel, erster Versuch. Und, gehen wir auf die Piste, Magret?«

      Ich seufzte. »Hm. Ich gebe mein Bestes.«

      Kai hatte nicht untertrieben, er konnte weder führen noch tanzen. Er watschelte wie ein Erpel über das Parkett. Wir holperten durch den Saal. Mal zog ich ihn mit mir, mal er mich mit sich. Ständig kamen wir jemandem in die Quere. Mal standen meine Füße auf Kais Füßen, mal seine auf meinen. Mit der Zeit war mir das egal, weil aus meinen Zehen jegliches Gefühl gewichen war. Dafür meldeten sich gequälte Muskeln und Sehnen, die mir bis dahin unbekannt waren. Erlöst atmete ich auf, als der Titel zu Ende war. Ich schielte zu Kai und wollte ihn von der Tanzfläche ziehen, da klangen die ersten Töne von »Über sieben Brücken« von Karat an. Einer der Klassiker auf der Tanzfläche, wenn es darum ging, ungestraft auf Tuchfühlung zu gehen. Kein Kerl ließ eine solche Gelegenheit ungenutzt verstreichen.

      Demzufolge war ich nicht ganz unvorbereitet, als Kai fragte oder besser gesagt so gut wie festlegte: »Diese Runde noch. Ja?«

      Ich öffnete den Mund und wollte gerade sagen, dass ich nicht scharf darauf sei und ob wir stattdessen lieber an die Bar gehen könnten, da ergänzte er: »Das Schöne ist, bei langsamen Songs muss man nicht tanzen können. Bitte, nur noch den einen Tanz.« Dazu setzte er einen Dackelblick auf.

      Sein anhaltendes Interesse schmeichelte mir ungemein. Langsam tanzen funktionierte auch bei mir besser und er sah mich so süß an, also tat ich ihm den Gefallen. Wir zwei Tanzlegastheniker schlichen in Zeitlupe durch den Saal, bewegten uns zentimeterweise. Diesmal ohne auf unseren und fremden Füßen herumzutrampeln. Wir fanden, dass wir für unsere Verhältnisse eine relativ flotte Sohle aufs Parkett legten. Für andere mussten wir wie zwei Gehbehinderte in Trance ausgesehen haben.

      Kai begann leise mitzusingen und startete damit einen unfreiwilligen Angriff auf meine Lachnerven. Ich biss mir auf die Unterlippe und verkniff mir, ihn anzusehen. Wobei Singen für das, was er von sich gab, extrem hoch gegriffen war. Von Bruchstücken abgesehen, konnte er den Text nicht, von der Melodie ganz zu schweigen. Im Anflug einer sinnlichen Welle, presste er mich heftig an sich und nahm mir fast die Luft zum Atmen.

      Nach dem Schmusesong wurde es rockig. Für mich und Kai war das tanztechnisch unlösbar. Wir verließen die Tanzfläche und ich hoffte auf eine Einladung an die Bar.

      Tatsächlich kam die Frage: »Willst du was trinken? Gehen wir an die Bar?«

      Ich nickte erleichtert und ließ demonstrativ meine Zunge heraushängen. »Meine Kehle ist wie ausgetrocknet.«

      Ich hievte mich auf einen Barhocker und weil Kai keinerlei Anstalten machte, sich zu erkundigen, was ich trinken möchte, bestellte ich mir völlig selbstverständlich ein Glas Gin Tonic.

      »Was nimmst du?«

      »Ähm, na ja … ähhh ...«, eierte Kai, anstelle einer klaren Antwort, herum und kramte nervös in seinen Hosentaschen. Letztendlich zählte er exakt fünfunddreißig Pfennig auf den Tresen. »Das ist alles, was ich habe. Ist mir peinlich. Ich habe heute schon eine Menge verprasst, jetzt reicht es nicht mal für mich«, nuschelte er.

      Womit er uneingeschränkt recht hatte. Für die paar Kröten gab es selbst in der DDR keinen Cocktail. Kais Blick, mit dem er mich ohne Worte um Almosen anbettelte, erinnerte mich an ein nach Wasser lechzendes Hündchen. Doch ruck, zuck wechselte er wieder zum fröhlichen Grübchengesicht. Keine Spur mehr davon, dass ihm die Angelegenheit unangenehm war.

      »Mit anderen Worten, ich muss dir einen ausgeben«, entgegnete ich nicht besonders freundlich und dachte wehmütig an meinen letzten, hart ersparten Geldschein, den ich eigentlich nicht mehr anreißen wollte. »Das bringt dir einen fetten Minuspunkt«, fügte ich süßsäuerlich hinzu.

      Kai winkte großkotzig ab. »Null Problemo, das mache ich spielend mit was anderem wett. Übrigens danke für die Einladung.«

      Ich ärgerte mich im Stillen. Was für einen sonderbaren und dazu geizigen Vogel hatte ich mir da eingefangen? Mich einladen, nicht bezahlen können und als Krönung scheinheilig tun. Volltreffer, der Typ war einer aus dem Club der Selbstgefälligen.

      »Ich bin gespannt, wann und womit du das richten willst«, sagte ich mit unüberhörbarem Hohn, worauf Kai nicht reagierte.

      Die Ursache seiner Knauserei erfuhr ich erst, nachdem wir ein Pärchen geworden waren. Und er bewies mir, dass er kein Geizkragen aus Prinzip war. Aber zur Zeit unseres Kennenlernens wollte er Besitzer eines altersschwachen Trabis werden und um diesen Schrotthaufen wiederzubeleben und aufzumotzen, fehlten ihm noch ein paar Piepen. Autos waren Mangelware und gerade ein junger Kerl mit Auto hatte damals Seltenheitswert. Er machte Eindruck und schoss bei den Mädchen auf der Beliebtheitsskala prompt an die Spitze.

      »Hast du eine Zigarette?«, schnorrte Kai mich als Nächstes direkt an.

      Ich war bekennende Nichtraucherin, hatte allerdings an diesem Tag ganz besondere Zigaretten einstecken – welche für Asthmatiker. Die galten als Arzneimittel, weshalb sie apothekenpflichtig waren. Sie waren zwei Wochen überlagert und von meiner Freundin Moni, sie arbeitete in einer Apotheke, nicht wie angeordnet vernichtet worden. Um Kerle zu veräppeln, hatten wir uns die Glimmstängel redlich geteilt und in leere Schachteln handelsüblicher Zigaretten gesteckt. Die Idee war auf Monis Mist gewachsen. Schon als Kind war sie ein verrücktes Huhn gewesen und hatte oft Schabernack im Sinn.

      Als passionierte Raucherin kannte sich Moni bestens aus. Hände reibend hatte sie versichert: »Die Dinger schmecken grauenvoll und werden die Kerle zu Gesichtsclowns mutieren lassen. Keine Angst, die sind bloß eklig, nicht giftig. Mehr als zwei Züge schafft sowieso kaum einer. Außer einer mit Geschmacksverirrung.«

      Zuerst war ich skeptisch. Mit Arznei Schindluder zu treiben, hielt ich für gefährlich. Ich hatte Bedenken, jemand könnte dauerhaft Schaden nehmen oder für immer auf der Strecke bleiben. Doch nach Fachfrau Monis Entwarnung und ihrem umfassenden Vortrag über die Wirkung und die Inhaltsstoffe von Asthma-Zigaretten, sah ich unseren Plan locker.

      Kai war sozusagen das erste Opfer und ich bedauerte aufrichtig, dass meine Freundin den Spaß nicht miterleben würde. Es dauerte Minuten, bis ich die Schachtel aus meiner mit Krimskrams gefüllten Handtasche gefischt hatte. Ich fingerte eine Zigarette aus der Schachtel und reichte sie Kai.

      Um wenigstens ansatzweise fair zu sein, vermerkte ich das mit dem Hinweis: »Nicht wundern, die sind nicht jedermanns Geschmack!«

      Bedächtig rollte Kai das Stäbchen zwischen Daumen und Zeigefinger.

      »Was ist das für eine Sorte? Sieht komisch aus. Zeig mir mal die Schachtel!«

      Zögernd holte ich sie heraus.

      »Das sind ausländische Zigaretten in einer alten F6 Packung«, stammelte ich. »Sind meiner Freundin ihre.«

      Misstrauisch nahm Kai den Stängel unter die Lupe. »Du nimmst keine?«

      Ich schüttelte den Kopf. »Ich rauche nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß.

      Bevor Kai sich die Zigarette anzündete, durchlöcherte er mich einige Sekunden mit zusammengekniffenen Augen. Er inhalierte vorsichtig den ersten Zug. Sensationslüstern beobachtete ich ihn. Ich musste mich gewaltig zusammenreißen meinem Drang, ungehemmt loszuwiehern, nicht vorzeitig nachzugeben. Das Beste würde ja noch kommen.