Gitti Strohschein

Der Göttergatte


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Grimasse vom Feinsten abgelöst. Er spuckte in den Aschenbecher und schmiss den Glimmstängel mit Karacho hinterher. Husten, Atmen und Fluchen wechselten sich ab.

      »Pfui Teufel! Was ist das für Kraut? Das Zeug schmeckt wie Arznei!«

      Er hustete, atmete tief ein und aus, hustete wieder und schüttelte sich. Es war ein Bild für die Götter. Meine Beherrschung war zu Ende, ich prustete los. Neben dem Experiment sah ich in der Aktion einen kleinen Racheakt wegen Kais Knauserei. Irgendwo hatte ich gelesen, dass man Rachegelüste ab und zu ausleben sollte – natürlich ohne jemand böse zu schaden – das würde Energieblockaden lösen. Und ich hatte keine Vorstellung, wie grässlich diese Zigaretten schmeckten! Für mich war jede Sorte ekelhaft.

      Ich tupfte mir die Tränen aus den Augen.

      »Hundert Punkte! Das ist ein Arzneimittel!«, bestätigte ich, nachdem sich mein Puls und der Blutdruck halbwegs normalisiert hatten.

      »So ein Quatsch«, sagte Kai ungläubig und kippte zuerst seinen restlichen, dann meinen Drink auf Ex runter. Er schien zu hoffen, ich hätte ihn mit meiner Antwort veralbert. »Das ist richtige Arznei? Chemie?«, fragte er sicherheitshalber nach.

      Ich bestätigte das durch Nicken. Kai wurde blass und betrachtete mich aus einer Mischung von Argwohn und Zorn. Wortlos. Ich war beeindruckt, wie schnell eine große Klappe zu Fall kommen konnte. Mein Gewissen meldete sich plötzlich zu Wort und begann mich zu piesacken. Scheinbar verstand es den Spaß genauso wenig wie Kai, denn auf einmal kam ich mir gemein vor.

      »Entschuldige. Keine Bange, davon stirbst du nicht. Diese Glimmstängel machen Kranke gesund«, tröstete ich Kai, ohne mir ein Schmunzeln verkneifen zu können und leierte herunter, was ich über die Gesundheitszigaretten wusste. »Das sind Glimmstängel für Asthmatiker, damit können sie besser durchatmen. Unter anderem ist Huflattich drin. Das ist eine Heilpflanze«, schloss ich meinen schlauen Vortrag ab.

      Um Kai eine Angstneurose zu ersparen, verschwieg ich den geringen, aber medizinisch relevanten Anteil an giftigem Stechapfel ebenso, wie die Information, dass die Zigaretten überlagert waren.

      Kai starrte mich an und sagte immer noch nichts. Langsam wurde die Situation unbequem. Ich wiederholte meine Entschuldigung und sponserte ihm als Entschädigung eine Cola mit Wodka, die er dankbar annahm. Erst dann verzieh er mir.

      Am Ende des Abends tauchte Moni wieder auf. Schließlich fuhr der letzte Bus, den wir erwischen mussten, in einer halben Stunde. Anderenfalls würden wir sieben Kilometer nach Hause laufen oder die Nacht auf der Landstraße verbringen müssen. Kai hatte es nicht weit. Er wohnte in der entgegengesetzten Richtung und wollte nach Hause laufen. Zur Verabschiedung verkrümelte ich mich mit ihm in eine dunkle Ecke, in der wir ausgiebig unsere Kenntnisse im Küssen überprüften. Beim Knutschen ließ Kai ein ungeahntes Temperament blicken. Seine Umarmungen wurden wilder und während seine Hände unkontrolliert auf meinem Rücken herumfuhren, rutschte im Eifer des Gefechts meine Bluse nach oben. Kais Hände rutschten eilig nach. Er stutzte und nahm sie ruckartig zurück, als wäre mein Rücken mit fingernagelgroßen Eiterpusteln übersät. Dabei war meine Haut makellos. Hastig zog er meine Bluse nach unten. Nicht aus Anstand, wie mir augenblicklich klar wurde. Es lag am Wollschal. Der hatte sich selbstständig gemacht und nach und nach von Blasen- auf Nierenhöhe bewegt. Habe ich mich geschämt! Was dachte Kai jetzt von mir und wie sollte ich ihm das erklären? Ich befürchtete eine blöde Anspielung, irgendetwas, aber Kai verlor nicht eine Silbe darüber. Das fand ich sehr anständig von ihm. Jeder andere Kerl hätte die Flucht ergriffen.

      Im Übrigen war der Schal keine persönliche Macke von mir. Was das betrifft, kann ich mit anderen Sachen aufwarten. Es gab dafür eine simple Erklärung. Er erfüllte schlichtweg einen rein medizinischen Zweck. Ich hatte eine Blasenentzündung, eine beliebte Krankheit junger Mädchen, und mir den Schal zur Wärmisolation um den Bauch gewickelt. Diese Angewohnheit war derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich mit keiner Faser daran gedacht hatte, mich vor dem Weggehen abzuisolieren. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er sich verselbstständigt oder ihn überhaupt jemand bemerken könnte. Vor Kai war außer Florena Creme nichts und niemand an meinen blanken Rücken gekommen!

      Nach Monaten traute sich Kai nachzufragen, ob ich wollene Buxen wie seine Oma angehabt hätte. Der Arme war total irritiert gewesen, dass ich eine bis in den Rücken reichende Omabuxe trug. Andererseits hatte ich dadurch geheimnisvoll auf ihn gewirkt und seine Neugier gesteigert. Dagegen fand Kai meine banale Erklärung zum Schal langweilig.

      Dass tatsächlich eine fleischwasserfarbene Unterhose mit Bein aus flauschiger Angorawolle – ein Geschenk meiner besorgten Westoma – in meinem Wäscheschrank ruhte, habe ich Kai erst nach unserer Hochzeit gebeichtet. Ihm blieb der trostlose Anblick erspart, mich jemals in einem derartigen Aufzug zu Gesicht zu bekommen. Ich habe diese Buxe irgendwann fein säuberlich zertrennt und zu Putzlappen umfunktioniert.

      Wenn Kai wüsste, womit er unser erstes gemeinsames Auto poliert hat …

      Eine Nacht auf dem Revier

      Es war zu tiefsten DDR-Zeiten. Ein Abend anlässlich der deutsch-sowjetischen Freundschaft, zu dem der Betrieb aus unverständlichen Gründen Kai delegiert hatte, ging angeheitert zu Ende. Ganz freiwillig war Kai dem »Verein« nicht beigetreten. Aber damals wurde man so lange bearbeitet, bis sich die meisten dazu breitschlagen ließen. Kai hatte mich zu dieser Feierlichkeit als Begleitperson mitnehmen dürfen, weil er nicht allein hingehen wollte.

      Auf dem Weg zur Straßenbahn begann es wie aus Kannen zu gießen. Der Wetterbericht hatte ausnahmsweise nicht gelogen und ich zum Glück einen Schirm dabei. So plötzlich, wie der Regen begonnen hatte, hörte er auch wieder auf. Da noch genügend Zeit war, bis die Straßenbahn kam, schlenderten Kai und ich zur nächsten Haltestelle. Während wir quatschten, ratterte Kai selbstvergessen mit der Spitze meines Stockschirmes an einem Zaun mit dem Flair eines Bretterverschlages entlang. »Rattattattatt ...«

      An der Haltestelle angekommen, trudelte auch schon die Bahn ein. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich einen Polizisten, der auf einem alten, bedenklich klappernden Damenfahrrad, angehetzt kam.

      Amüsiert stieß ich Kai an. »Guck dir mal den an! Gleich fällt das Rad auseinander.«

      Während der Polizist das Fahrrad fallen ließ, rief er keuchend: »Halt! Hierbleiben!«

      Wir sahen uns neugierig um, doch außer Kai und mir war niemand zu sehen. Ergo nahmen wir an, dass der Befehl dem Straßenbahnfahrer galt.

      Gerade als Kai im Begriff war, in die Bahn zu steigen, wurde er von dem kleinen dicklichen ABVer (Abschnittsbevollmächtigte waren für Bürger eingesetzte Polizisten, die u. a. Streifendienst versahen) in einer viel zu engen Uniform unsanft am Ärmel zurückgezogen.

      Die Straßenbahn fuhr von dannen und wir blieben mit offenem Mund zurück.

      »Was soll das? Wir wollen nach Hause. Eine Frechheit ist das!«, schimpfte Kai aufgebracht.

      »Weisen Sie sich bitte aus!«, ordnete der Ordnungshüter dienstbeflissen, ohne auf Kai einzugehen, an.

      Verblüfft stellte ich fest, dass Kai durch den Tonfall eingeschüchtert war und regelrecht stramm stand. Er schien in ihm Erinnerungen an seinen Grundwehrdienst zu wecken.

      Der Polizist drängte sich samt Fahrrad zwischen Kai und mich. Er verglich die Passbilder mit uns und steckte sich unsere Ausweise ein.

      Beschwipst, wie Kai war, fand er das Ganze nun doch irgendwie lächerlich. »Upps, ist schon Sperrstunde? Oje und wir sind noch auf der Straße.«

      »Machen Sie sich über mich lustig?«, wurde er lautstark und schroff für seinen provokanten Scherz zurechtgewiesen.

      Kai verneinte befangen.

      »Sie kommen jetzt beide mit auf die Polizeiwache!«

      Mir war nicht geheuer zumute. Ich nickte und zog es vor, nichts zu sagen.

      »Können wir erfahren, was wir dort sollen?«, traute sich Kai kleinlaut nachzufragen.

      »Eine