ja nicht. Der Schlüssel steckte ja von außen in der Tür. Wir hätten dich schon noch geholt. Aber, Du hast geheult wie ein kleines Mädchen. Ivar kam dann mit dir an der Hand auf die Wiesen.“ „Das war ganz schlimm. Ich hatte wirklich große Angst. Du darfst mich nie wieder einsperren.“
André hatte mittlerweile sein Brot gegessen und stand nun vom Tisch auf. „Ich muß nochmal auf die Toilette.“ „Ja, gut, aber mach nicht so lange“. Tante Hella räumte den Tisch ab und André schlüpfte durch die Tür nach draußen auf den Hof. Ja, im Haus selbst gab es weder fließendes Wasser, das holte man aus dem Brunnen, noch eine Toilette. Um zum Plumpsklo zu kommen, mußte er über den Hof gehen, das große Tor zur Scheune aufschieben, was nicht ganz einfach war, wenn man erst sieben Jahre alt war. Dann vorbei an den Ställen und hinten noch einmal durch ein schweres Schiebetor auf der Rückseite des Gebäudes. Da, wirklich abgeschieden, öffnete er schließlich die Tür zu dem kleinen Häuschen. Licht gab es nicht darin, nur ein kleines Fenster in der Holzwand. Aber jetzt, im finnischen Sommer, gab es keine Nacht und keine Dunkelheit. Der Himmel war rund um die Uhr hell, auch wenn die Sonne sehr tief stand. Und Nacht war es, wenn die Vögel mit ihrem Zwitscherkonzert aufhörten und sich ein oder zwei Stunden Ruhe gönnten, aber dunkel war es nie. André schwang sich auf die Holzbank, nachdem er den runden Holzdeckel an die Seite geschoben hatte. Hinterher nahm er noch mehrere kleine Schippen mit Kalk zum Abdecken seiner Hinterlassenschaft. Er sprang zum Brunnen, auf dessen Rand immer ein Blecheimer mit Wasser zum Händewaschen stand. „Jetzt aber fix in die Federn“, rief Hella vom Haus „morgen geht es wieder früh raus.“
„Klonk, klonk, klonk, klonk.“ Mit einem Ruck sprang André aus seinem Bett im ersten Stock. Er eilte ans Fenster und richtig, unten fuhr Onkel Alarik bereits mit dem Pferdewagen am Fenster vorbei. Die Hufen des Pferdes gaben dumpfe Geräusche auf dem harten Weg und Svante nickte bei jedem Schritt tief mit dem Kopf, dann bogen sie in die Hofeinfahrt ein. André stieg schnell in Hemd und Hose und eilte die Treppe hinunter. Das Kaffeegeschirr war aufgetragen, Erna schlürfte bereits genüsslich die erste Tasse, und Hella stellte gerade das Marmeladenglas, Wurst und Käse auf den Tisch. „Mensch, habe ich einen Hunger. Guten Morgen“, André setzte sich auf die Küchenbank und schaute erwartungsvoll seine Tanten an. „Heute mußt du fleißig mit anfassen. Das Heu ist jetzt richtig trocken. So viel wie möglich muß heute auf den Heuboden gebracht werden. Also, lang kräftig zu, du brauchst viel Kraft.“
Alarik kam durch die Küchentür herein. Er hatte draußen schon Svante angebunden und ihm einen Eimer mit Wasser hingestellt.
„Einen wunderschönen, guten Morgen. Wir zwei wären dann soweit, aber erst einmal möchte ich eine Tasse Kaffee trinken und ein schönes Brot dazu.“ „Du, vorgestern war Lasse hier und hat frisch Geschlachtetes gebracht. Möchtest du von der guten Leberwurst probieren?“ Hella nahm eine Wurst vom Haken und schnitt ein großes Stück davon auf dem Holzbrett ab. So ein Bauernfrühstück ließ wirklich keine Wünsche offen. Und die Probleme seiner Stadtfreunde, in den Nachkriegsjahren nicht genügend zu Essen zu haben, hatte André nie selbst erfahren müssen. Bei ihm daheim war der Tisch dank des Hofes immer gut gedeckt gewesen.
Den Rest des langen, heißen Sommertages verbrachten sie nun gemeinsam auf den Wiesen. Hella hatte einen Korb mit Broten, Früchten, Saft und Kaffee gepackt. Zunächst wurde das Heu mit den Heugabeln auf den Leiterwagen gehoben. André konnte schon ein wenig mithelfen, aber das meiste machten doch die Erwachsenen. Nach einer Weile war es dann allein Andrés wichtige Aufgabe, auf den Wagen zu klettern und oben das Heu herunterzutrampeln, damit immer noch mehr oben drauf paßte. Das war einfach herrlich. Svante zog den Wagen ganz langsam immer wieder ein Stückchen vorwärts, bis schließlich nichts mehr oben auf den Wagen paßte. Schwierig war es, nun vorsichtig von oben wieder heil herunterzukommen. André lag bäuchlings auf dem Heu und streckte die Beine weit nach unten, um auf den Holzstreben des Leiterwagens Halt zu finden. Dabei streckte ihm Alarik die Arme entgegen und stützte ihn, bis André mit den Füßen Halt fand und dann schließlich herunter springen konnte.
Hella hob den Korb vom Wagen. „Jetzt machen wir erst einmal eine Pause. Kommt, wir haben uns jetzt Essen und Trinken verdient. André, holst du den Wassereimer für Svante?“ André rannte zum Hof und füllte frisches Wasser vom Brunnen in den Eimer. Dann ging er mit ruderndem Arm vorsichtig wieder zurück, um nicht allzu viel Wasser zu verschütten. „Hier mein lieber, guter Svante, trink. Du warst richtig fleißig“. André streichelte das Pferd über die Blesse und über die heißen Nüstern. Svante sog lange das frische Wasser in sein Maul. Mittlerweile stand die Sonne gleißend und fast direkt über ihnen am Himmel. André schaute verträumt in den Himmel und lauschte den Feldlerchen, die hoch oben ihr langes, unermüdlich trällerndes Lied sangen, aber so sehr er sich auch bemühte, er konnte sie nie entdecken.
Die abgemähte Wiese lag unter einer schwirrenden Hitzedecke. Immer wieder brummten Hummeln geschwind vorbei,
ständig auf der Suche nach der nächsten Kornblume oder Mohnblume, die sich ihnen seicht im Wind wiegend anboten. André atmete den starken Heuduft tief ein. Er zog seine Schuhe aus, in denen sich trockene Grashalme verkrochen hatten und ihn in die Fußsohlen stachen. Seine Füße waren warm und klebrig von den Schuhen. Er ließ sie stehen und sprang hinüber zum Bach. „Iiiieeeh. Wo bin ich denn da rein getreten? - In einen dicken, fetten Kuhfladen. Igitt, mein ganzer Fuß klebt, und dieser Duft, einfach herrlich.“ Langsam hob er den rechten, braunen Fuß in die Höhe. Tante Hella, Tante Erna und Onkel Alarik schauten von ihrem Kaffee auf und lachten lauthals.
André stieg hinunter in den Bach und wedelte mit dem braunen Fuß hin und her, und nach und nach löste sich der Schmutz von der Haut. Er grub die Zehen und den ganzen Fuß tief in den Sandboden des Baches, der jetzt wie eine Bürste wirkte. Dann sprangt er im Bachlauf hin und her, bis er sich schließlich mit tropfnasser Kleidung an den Bachrand setzte. Er spreizte die Zehen und träumte ein wenig. „So einen eigenen Bach zu haben, ist doch wirklich etwas Schönes. Man muß nie schwitzen.“ Plötzlich kitzelte es ihn am Fuß und er zuckte zurück. Und als er ins Wasser auf seinen Fuß schaute, zappelten da viele kleine Kaulquappen herum, und dann waren sie plötzlich wieder verschwunden.
Als dann schließlich auch André seinen Saft getrunken und sein Brot gegessen hatte, ging die Arbeit weiter.
Alarik half André nun auf Svantes Rücken, der jetzt den Wagen zur Scheune zog. In der Scheune stieg André schließlich oben auf den Heuboden und nahm die losen Heuhaufen entgegen, die die Tanten und Alarik ihm entgegenstreckten. Jetzt galt es, das Heu platzsparend und ordentlich erst einmal in die Ecken zu packen, bis die nächste Ladung herangefahren wurde und die nächste und die nächste. An diesem heißen Sommertag waren es sicher zehn Wagenladungen, die sie auf dem Heuboden einlagerten. Und es genügte nicht mit nur einem Tag. Alarik und Svante blieben mehrere Tage auf dem Hof, bis alle Arbeit erledigt war und das Heu sicher vor Regen und Hagel in beiden Scheunen lagerte. Jetzt war das Winterfutter gesichert.
André liebte diese Tage auf den Wiesen. Auch, wenn abends die Arme und Beine schmerzten vor Anstrengung. Erna hatte schon rechtzeitig vorher den großen runden Waschbottich eingeheizt. Eigentlich fand André, daß eine Großreinigung völlig unnötig war, aber Hella war da sehr eigen. André bekam von ihr einen Wascheimer und mischte nun heißes Wasser aus dem Bottich, zusammen mit kaltem Wasser in seinem Eimer für die Abendwäsche. Alle paar Tage feuerte Hella auch im Waschhaus die Sauna an, die die Poren so richtig vom Alltagsschweiß reinigten. Schön manierlich, Damen für sich und als erste, erst danach war es den Männer, Alarik und André erlaubt, ihre Saunagänge zu absolvieren.
Nach einem solchen Arbeitstag, den ganzen Tag in der Sonne und an der Luft, danach dem Besuch der Sauna, gefolgt von einem Eimer mit eisigem Wasser, schmeckte das ländliche Abendbrot besonders gut. Erna brachte den Topf mit den Kartoffeln an den Tisch, dazu Fleisch und Gemüse. André langte kräftig zu und später bedankte er sich für das Essen, wie es in Finnland und Schweden so üblich war zu Tisch, und schnell verabschiedete er sich, ohne Aufforderung und ganz von allein, um nach oben in sein Bett im Obergeschoß zu kriechen. Es dauerte nur