Andreas Nass

Erwachen


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sagte Luzius lakonisch, »den brauchen wir nicht mehr.«

      »Aber was ist mit den Orks? Wie wollen wir ihre Unterstützung sichern, wenn nicht durch einen uns gefälligen Anführer?«

      »Während deiner Abwesenheit blieb das Orkreich von Zwischenfällen nicht verschont. Der Tod des Orkkönigs hat für einigen Aufruhr unter seinem Volk gesorgt. Die Untoten, tja. Welch ein hinterhältiges Attentat. Wer hätte das gedacht?« Luzius schüttelte in gespielter Anteilnahme den Kopf. »Zudem haben wir unsere Zugriffsmöglichkeiten auf den Sklavenmarkt ausgeweitet. Bereits vor vielen Zehntagen sind wir in Verhandlungen mit dem Pascha getreten, und er gehört nun zur Familie – könnte man sagen. Er arbeitet jetzt für uns.«

      »Puh, so viel ist geschehen. Mir wird schon ganz schwindelig.«

      »Es ist an der Zeit, den Chaostrank zu brauen, Crish. Wie weit bist du mit der Besorgung der Zutaten?«

      »Mir fehlt noch das Blut von Ballana.«

      »Es sollte nicht schwierig sein, die Komponente zu bekommen. Ihr Verstand kennt nur drei Dinge: Blut, Gewalt und Fleischeslust.«

      »Ersteres will ich, letzteres gebe ich.«

      »Ich sage ja, es wird nicht schwierig. Sie zu kontrollieren wird schwer. Sie ist absolut ichsüchtig. Und ihre Macht nahezu grenzenlos. Es gibt nur einen anderen, mir bekannten Vampir, der ihr ebenbürtig ist.«

      »Und wer sollte das sein? Ich habe mich mit den Blutsaugern bislang nicht beschäftigt und habe das auch in Zukunft nicht vor. Wie ist der Name des Vampirs?«

      »Khaas, der dunkle Vogel. Niemand weiß, wo er sich derzeitig aufhält. Er war einst der Leutnant von Laird. Als sie sich zerstritten, verlor Laird seine linke Hand und sein linkes Auge. Durch Khaas selbst, so wird es überliefert. Und nun verbirgt sich Khaas erfolgreich vor dem Gott der Geheimnisse und Verstecke. Ein weiterer Affront.« Luzius lachte schal. »Jedoch, all das, was ich dir gerade erzählt habe, beruht auf Gerüchten – ich selbst glaube nicht daran.«

      »Stellt Khaas denn eine Bedrohung für uns dar? Ich meine, versucht er, Ballana zu vernichten?«

      »Nein, es ist eher so, dass Ballana eine persönliche Fehde gegen ihn führt.«

      »Oh, das entspricht natürlich eher ihrem narzisstischen Charakter. Ich frage mich, auf welches Machtmittel sie überhaupt reagiert.«

      »Ballana unterwirft sich nicht der Gewalt und auch nicht dem Blut. Das einzige, um sie ein wenig zu kontrollieren, ist Fleischeslust.«

      »Das gibt mir Hoffnung, ihr gefällig zu sein. Wenn sie sich nach Lustbefriedigung durch mein Fleisch verzehrt, hält sie das vielleicht davon ab, nach meinem Blut zu dürsten. Und mir ein wenig von ihrem Blut zu geben.«

      »Wenn du zu gut bist, wird sie dich nicht gehen lassen. Das bedeutet langwierige Verhandlungen. Und einen horrenden Preis für deine Freiheit. Andererseits, wenn du ihr nicht gefällst …«

      Ich kniff meine Lippen zusammen und nickte nachdenklich. Wenn ich mich je von den Gedanken an meine blutdürstige Halbschwester befreien wollte, musste ich handeln. »So«, sagte ich bekräftigend und richtete mich im Becken auf, »wie du schon richtig anmerktest, ist es an der Zeit, den Chaostrank zu brauen. Ich werde mich dann mal auf den Weg machen.«

      Ohne ein weiteres Wort hob ich mich mit den Händen aus dem Becken, setzte mich auf den Rand ab und schwang meine langen Beine aus dem Wasser. Ich verließ das Bad in Richtung meiner privaten Gemächer.

      Dort scheuchte ich meine beiden persönlichen Sklavinnen aus dem Himmelbett. Ich gab ihnen Anweisungen, ließ mich kleiden und frisieren. Nach der Anprobe verschiedener Frühlingskleider entschied ich mich für eins aus leichtem Stoff und mit sonnigen Farben. Im Standspiegel überprüfte ich mein Aussehen, korrigierte die Nachlässigkeiten meiner Kammerzofen und tadelte sie dafür. Malia und Elyabel sahen beschämt zu Boden. Die beiden hübsch anzusehenden, jungen Frauen erhielten je einen Klaps auf den Po, dann ging ich und suchte Saphira im Bezirk der Magier auf.

      Als die Hohepriesterin der Keylani mich in ihr Gemach eintreten sah, lächelte sie mir entgegen.

      »Sei mir gegrüßt«, hofierte sie und ich umarmte und drückte sie herzlich.

      »Mehrere Zehntage sind vergangen, und erneut führen mich Fragen über die Zutaten des Chaostrankes zur dir«, erklärte ich noch in Gedanken an die Worte meines Bruders. »Du erwähntest, dass die Ingredienzien möglichst frisch sein sollten, daher habe ich mich gefragt, ob du ein Gefäß zur Aufbewahrung von Vampirblut hast? Etwas mit einem Stopfen, oder so …«

      Nachdem ich meine Frage gestellt hatte, beruhigte sich mein Gemüt und mir fiel auf, dass ich die lebensältere Frau seit meines Eintretens noch keines Blickes gewürdigt hatte. Dabei sah ich gerne in ihre grünen Augen oder kraulte in ihren dunkelroten Locken. Aufrichtig gestand ich ihr: »Du siehst gut aus.«

      Erneut lächelte sie und löste sich dann aus der Umarmung. Sie trat vor eine mit silbernen und goldenen Runen überzogene Türe und murmelte in Verbindung mit kompliziert wirkenden Gesten ein kurzes, magisch anmutendes Wort. Erst jetzt öffnete sie den Zugang und ich erhaschte einen Blick auf die verschiedenen Reagenzien für den Chaostrank. Saphira hatte den Raum kaum betreten, da kehrte sie auch schon zurück und hielt ein vorbereitetes Behältnis in der Hand. Lautlos schloss sich hinter ihr die Tür.

      »Ich konnte hier im Scharlachroten Tempel viel über Alchemie lernen«, berichtete die Magiebegabte bedeutsam. »Fahatmanephtis hat mich viel gelehrt, besonders über die Alchemie des Abyss.«

      »Bei ihrem Anblick fällt es mir immer schwer daran zu denken, wie groß ihr Wissen und ihre Wissbegierde ist.« Für mich stellte ihre unermessliche Brutalität alle anderen Fähigkeiten in den Schatten. Aber in Verbindung mit der Art, wie die Hohepriesterin von dem Dämon erzählte, verschwieg ich meine Gedanken und ergänzte: »Für eine Nagkhalyi wirklich ungewöhnlich.«

      »Fürwahr. Und wir machen große Fortschritte, Crish. Bald wird die Zeit der Vereinigung gekommen sein.« Saphira sprach damit auf die Kopulation der Göttin Keylani durch meinen Patron Arkhmandeo an.

      »Gibt es schon etwas Neues?«

      »Nein, aber es soll bald sein.«

      »Eine Vereinigung, die nicht ohne Folgen für das göttliche Gefüge bleiben wird.« Insgeheim dachte ich dabei natürlich an meinen eigenen Aufstieg.

      »Die Vereinigung soll ja Folgen haben. Sehr lebendige Folgen sogar.« Saphira zwinkerte und reichte mir dann die Ampulle. Ich nahm das Gefäß entgegen und wunderte mich über dessen Schlichtheit. Ich hatte aufwendige Intarsien erwartet. Als ich das Fläschchen in meinen Ausschnitt schob, ermahnte mich die Hohepriesterin impulsiv: »Im Gespräch mit Ballana darfst du ihr gegenüber kein Wort von der Macht des Trankes verlieren. Du solltest dafür sorgen, dass Ballana erst gar nicht auf die Idee kommt, den Chaostrank für sich zu nutzen. Blut, ihr Blut, ist ihre Verbindung. Blut ist ihre Macht.«

      »Was ist das Besondere an dem Trank? Ich meine, was kann schon passieren, außer einige Verwirrung anzustiften unter jenen, die seine Dämpfe einatmen?«

      »Vergiss nicht: es ist nach wie vor ein Trank. Ein Trank, den niemand trinken darf! Niemand! Hast du mich verstanden?«

      Ihre heftige Reaktion verwirrte mich, daher fragte ich unschuldig: »Was würde denn geschehen, wenn jemand den Trank zu sich nimmt?«

      »Der Trank verfügt über einen bösen Willen. Einen sehr mächtigen bösen Willen, der den Willen des Trinkers brechen wird.«

      »So wie eine intelligente Waffe, die ihren eigenen Willen hat und ihr Träger einen beständigen Willenskampf mit ihr austrägt? Als Wogar noch nicht mit der Seele des Scharlachroten Schwertes verbunden war, besaß er eine solche Waffe, die sogar mit mir telepathischen Kontakt aufnehmen konnte. Ich empfand sie eher als lästig.«

      »Im Falle des Chaostrankes wird der Trinker seinerseits zum Gefäß, und zwar für das, was der Trank ist. Ich möchte kein Wesen erschaffen mit den gemeinsamen Kräften seiner Inhalte. Beziehungsweise: wir haben diesen Verstand