hatte ja früher viel Umgang mit Pferden auf dem elterlichen Kohlenhof. Irgendwie muss sie mal an ein Buch über Tierärzte gekommen sein. Jedenfalls übergab sie mir das kleine abgegriffene Buch. Es heißt „Die Zange“. Auf der Vorderseite ist eine Hufuntersuchungszange abgebildet. Es enthält viele kleine Geschichten aus Studium und tierärztlicher Arbeit, zur Zeit des ersten Weltkrieges. Schon oft habe ich das Buch gelesen und mich an den Geschehnissen von damals ergötzt. Bei aller Trübsal, die unser Beruf heute manchmal mit sich bringt, bin ich doch froh, in der heutigen Zeit mit ihren Vorzügen arbeiten zu dürfen. Wenn ich mir vorstelle, bei jedem Wetter und zu jeder Tageszeit mit Pferd und Wagen loszuziehen und meist wirkungslose oder zumindest zweifelhafte Arzneien anwenden zu müssen. Aber teilweise aber hatten die Kollegen von damals dieselben Probleme, wie wir heute.
Frau Spengeler machte mir viele Geschenke im Laufe der vielen Jahre. Das größte Geschenk war aber, daß ich sie kennen lernen durfte. Nur dieses kleine bedeutsame Büchlein ist das einzige materialistische Geschenk von ihr. Es hat einen Ehrenplatz in meiner Bibliothek. Ihre letzten Worte zu ihrer Enkelin waren „Grüß schön!“. Die tapfere Enkelin überbrachte diese Worte auf der Beerdigung. Besser, als mit diesen beiden Worten, hätte man die liebe Frau Spengeler nicht beschreiben können.
Hansi
Hansi wohnte in dem Vorwerk eines Dorfes. Es gab nur eine befestigte Straße dorthin. Wobei befestigt ein sehr dehnbarer Begriff ist. Die zweite Zuwegung war völlig ausgefahrener Feldweg. Dieser, war selbst mit meinem Geländewagen, nur bei trockenem Wetter befahrbar. In diesem Vorwerk gab es etwa drei Häuser mit Feld drum herum. Eines davon gehörte Hansi und seiner Frau. Hansi war ein Mensch, den man einfach lieben musste. Er war ein kumpelhafter, immer freundlicher Kerl. Hansi war etwa zwei Meter groß und wog bestimmt drei Zentner. Sein Kopf war kugelrund und haarlos. Er schien immer zu lächeln. Hansi hörte schwer und sprach donnernd laut. Er war eine Seele von Mensch. Anfangs arbeitete er auf dem Schlachthof als Abträger, später als Hilfsarbeiter bei einer Baufirma in Berlin. Nebenbei führte er seinen landwirtschaftlichen Hof. Er hatte Schweine, allerlei Geflügel und ein Pferd. Das war sein ganzer Stolz. Es war eine Stute und sie bekam jedes Jahr ein Fohlen. Diese Fohlen konnte er immer gut verkaufen. Hansi war immer gelassen und ihn konnte nichts irgendwie in Rage bringen. Selbst, als einmal bei der Arbeit in einer Baugrube verschüttet wurde, erzählte er mir davon als ob er sagt: „habe dieses Jahr eine gute Ernte gehabt“. Nur wenn seine geliebte Stute gefohlt hatte, geriet er in Rage. Als einmal am gleichen Tage seine Frau erkrankt war, rief er zuerst mich an und dann den Arzt für seine Frau. Am Telefon brüllte er so laut, dass ich ihn in meinem zehn Kilometer entfernten Haus auch ohne Telephonhörer verstanden hätte. Ich musste immer gleich kommen. Einen Aufschub, selbst von Stunden, hätte er niemals akzeptiert. Jedenfalls nicht bei seinem Pferd. Die neugeborenen Fohlen müssen möglichst schnell mit Fohlenlähmeserum geimpft werden. Das ist nicht immer ganz einfach. Die Stuten sind so sehr auf den Schutz ihres Nachwuchses aus, dass es oft schwer ist, an das Fohlen ran zu kommen. Aber bei dieser Stute war es ein Kampf um Leben und Tod. Die Stute gebärdete sich fürchterlich, wenn nur jemand den Stall betrat. Selbst der riesige Hansi hatte Respekt vor ihr. Mit fürchterlichem Gebrüll betrat er den Stall. Ich musste draußen warten und war sehr froh darüber. Irgendwann erlosch das Geschrei im Stall und ich war schon in Sorge um Hansi. Da ertönte ein Schrei, der mich aufforderte in den Stall zu kommen und das Fohlen zu impfen. Irgendwie gelang das dann auch, denn das Fohlen war auch nicht begeistert von meiner Aktion. Ich verließ den Stall fluchtartig. Nur Sekunden später hatte Hansi die Box verlassen. Für mich war es erstaunlich, wie schnell sich ein so fülliger Mann bewegen kann. Dann griff er tief in die Futterkiste und brachte eine Flasche Klaren zum Vorschein. Nun musste ich mit ihm erst mal auf das Fohlen anstoßen. Es war fünf Uhr morgens und ich hatte noch nichts gefrühstückt. Wie Feuer brannte der Schnaps in meinem leeren Magen. Zwischenzeitlich hatte seine Frau ein üppiges Frühstück zubereitet. Eigentlich esse ich morgens nur süßes aber nach dem Genus zweier riesiger Schlucke von dem Schnaps war die selbstgemachte Wurst genau das Richtige. Nach einem ausgiebigen Frühstück ging es mir besser und ich verabschiedete mich. Zum Schluss bekam ich noch zwei Packungen Eier mit. Diese wurden mir mit den Worten: „Da kannst du dir erstmal 12 Eier in die Pfanne hauen zum Frühstück.“ Ich nahm diese Bemerkung kommentarlos hin. Aber seine Frau sagt jetzt: „Hansi, meinst du jeder isst so viel wie du?“ Worauf er donnernd antwortete: „ Mensch der frisst viel mehr als ich, guck mal wie viel der arbeitet!“ Ich stieg ins Auto und holperte nach Hause um mich den anderen Patienten zu widmen.
Die Ziege im Wohnzimmer
Es war noch ganz zu Anfang meiner tierärztlichen Tätigkeit. Ich hatte Notdienst. Es war einer meiner ersten Notdienste. Meine Kollegen hatten mir sofort nach Antritt meiner Arbeitsstelle möglichst viele Notdienste übertragen. Angeblich weil man dabei sehr viel lernen kann. Eigentlich waren sie froh einen Dummen gefunden hatten, der ihnen den lästigen Dienst abnehmen konnte. Ich glaubte damals diese Anekdote und stürzte mich in die Arbeit. Immer habe ich meine Arbeit gewissenhaft erledigt. So kniete ich mich richtig rein und meine tollen Kollegen genossen die gewonnene Freizeit. Großzügig boten sie mir ihre Hilfe an. Waren aber komischerweise nie erreichbar, wenn ich Hilfe brauchte. Ich packte mir viele Bücher ins Auto und kam auch so klar. Das Wichtigste aber war, ich brauchte nicht Danke zu sagen und ich lernte so viel mehr. Leider dauerte manche meiner tierärztlichen Experimente dadurch sehr viel länger oder mussten mehrmals wiederholt werden bis sich der gewünschte Erfolg einstellte.
So kam der Tag an dem Frau Schwade anrief. Sie erzählte mir, sie habe eine Geiß, die seit den Vormittagsstunden in der Geburt steht. Es hat sich nichts getan. Vormittags war schon ein Tierarzt da gewesen und habe mal kurz nachgeschaut. Sei aber sofort mit den Worten, „Alles gut!“ verschwunden. Ich wusste sofort, wie kurz die Visite war. Meist stand der Motor des Wagens noch nicht still und schon war der Besuch beendet. Oft hatte ich während meiner Pflichtassistenz solche Extremvisiten erlebt. Ich hatte mir damals vorgenommen, niemals so zu arbeiten.
Es war tiefer Winter und es war sehr kalt. Meist ließ ich den Motor laufen um mich wenigstens im Auto aufwärmen zu können. Mein Vater hatte mir aus Moskau eine Heizmatte für den Fahrersitz mitgebracht. Somit hatte ich immer einen warmen Sitz. Ich durfte nur nicht vergessen, den Stecker zu ziehen, wenn der Motor nicht lief. Denn dann war die Batterie ruckzuck leer. Die Familie Schwade wohnte in einem Siedlungshaus. Eine Hälfte des Gebäudes war für Wohnzwecke hergerichtet in der anderen wohnte das Vieh. Die meisten Bewohner der Siedlung hatten Schweine, Hühner und Gänse oder Enten. Ziegen oder Schafe waren selten. Hier gab es nur eine Ziege. Und sie sollte nun Lämmer bekommen und irgendwie war die Geiß zwar recht rund, eher breit. Aber den ganzen Tag war kein Lamm zum Vorschein gekommen. Dies sollte ich nun ändern. Mit den Worten: „Sie sind ja so jung!“, wurde ich hereingebeten. Aber nicht in die rechte Haushälfte, wo die Stallungen waren, sondern in die Wohnhälfte. Etwas verwundert folgte ich, mit den Gummistiefeln an den Beinen, in die Wohnung. Ich wurde nicht aufgefordert, das Schuhwerk zu wechseln. Die Geiß stand in einem kleinen Zimmer. Der Teppich war ordentlich aufgerollt an die Seite gelegt. An der Decke leuchtet eine 200 Watt Birne. Das einzige Möbelstück im Raum war ein Stuhl. Auf dem saß Frau Schwade. Sie hatte eine löchrige Strickjacke an und füllte gut die Hälfte des Raums aus. Ihr Mann ein kleiner schlanker unrasierter Kerl in alten Arbeitssachen, stand in eine Ecke gequetscht im Raum. Ein oder zwei Kinder waren auch anwesend. Nun kam noch ich mit meinen Utensilien hinzu. Es wurde eng. Ich zog mich aus, wusch mir den linken Arm und begann meine Exkursion in den Unterleib der Ziege. Wie schon erwähnt, war ich damals noch nicht so erfahren im Umgang mit Mensch und Tier, so dass ich lange in der Gebärmutter der Ziege umhersuchte, um mir ein Urteil bilden zu können. Was ich fühlte war schrecklich und so wiederholte ich meine Exploration mehrmals. Was ich da fühlte oder besser vor meinem geistigen Auge sah, war unvorstellbar. Da, wo ich eigentlich den Uterus als großen hohlen Sack erwartete, war nichts. Nichts, war eigentlich falsch. Besser war, es war nicht das zu fühlen, was ich erwartet hatte. Statt ein, zwei oder gar drei Lämmern fühlte ich ein großes Loch. Mir kam es damals so vor als ob das Loch größer als die Ziege war. Dann konnte ich die Därme fühlen und zwar nicht die Därme der Lämmer. Nein es waren die Därme des Muttertieres. Ich konnte immer noch nicht begreifen, was ich hier fühlte also tastete ich mich weiter vor. Jetzt noch vorsichtiger. Ich ertastete die Nieren, den Pansen und die Bauchwand von innen. Erst nach längerem