Bernd Majewski

18.178,182 Kilometer to Paradise


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Knall. Dietlinde erleidet völlig unvorbereitet epileptische Anfälle. Die Diagnose nach einer Kopfoperation: Glioblastom. Der aggressivste Tumor, den die Menschheit kennt. Lt. Wikipedia wird eine Lebenszeitspanne zwischen einem halben und einem ganzes Jahr gewährt.

      Alles tritt in den Hintergrund. Es geht plötzlich nicht mehr ums Leben, sondern nur noch darum, wie viel Zeit uns noch miteinander bleibt. Es folgen 12 Monate Kampf mit allen Mitteln, die der heutigen Medizin zur Verfügung stehen. Leider auch gegen ein nicht funktionierendes Krankenhaussystem, in dem geistig behinderte und/oder traumatisierte Patienten ohne intensive externe Betreuung schichtweg untergehen. Die Familie hat sich nicht weggeduckt, sondern früh erkennen müssen, dass es wirklich nur noch um wenig geschenkte Zeit geht.

      Am 11.11.2010 hört Dietlinde um 4 Uhr 54 zu atmen auf. Die Familie hat zusammengehalten und so ein friedliches „Gehen“ im häuslichen Kreis möglich gemacht.

      Dieses letzte gemeinsame Jahr war wohl das intensivste, das wir je hatten. Trotzdem: Ein ganzes Jahr beim Sterben zu helfen, ist einfach zu viel. Ein Zusammenbruch folgt. Ein überaus wichtiges Kapitel meines Lebens ist zu Ende.

      Nach 40 erfüllten Ehejahren bin ich plötzlich allein. Wie soll es weitergehen? Ich ziehe mich in mich selbst zurück, verweigere jeden Kontakt mit anderen Menschen.

      Mit Zelt und Rucksack in die Negev-Wüste.

      Zwei Monate in Israel bei Freunden, die mich glücklicherweise völlig in Ruhe lassen. Trauerarbeit mit Schreien, Weinen, langen Spaziergängen und vor allem Schreiben. Ich habe ein medizinisches Tagebuch geführt und konnte daher sämtliche Ereignisse tagesgenau aufschreiben. Alles muss aus mir raus. Ich bin nie der Typ gewesen, der etwas in sich hineinfrisst.

      In den nächsten zwei Jahren habe ich daran gearbeitet, alle meine Lebensgeister wieder einzufangen und den aufrechten Gang zu üben. Klar ist schon bald, Rumjammern hilft nicht weiter. Es ist, wie es ist.

      Viele Menschen erkennen oft erst nach einem Tod, was sie versäumt haben, dem anderen Wichtiges zu sagen oder Dinge zu tun, die einem wichtig gewesen wären. Unser Lebensziel-Zeit-konto war leer! Wir haben gemeinsam dafür gesorgt, dass alle Lebenswünsche zeitnah erfüllt wurden. Wir haben nie gewartet. Schieben auf St. Nimmerlein galt für uns nicht. Alle Wünsche wurden formuliert und erfüllt. Immer. Zwar mussten sie oft unseren Möglichkeiten angepasst werden, was die Kreativität nur förderte, es eben doch möglich zu machen.

      Ich muss nun Wege finden, meinem Restleben einen Sinn zu geben. Ich will und muss es positiv gestalten.

      Reisen war immer wichtig. Andere Menschen kennenlernen. Menschen in den verschiedenen Welten zeigen völlig unterschiedliche Perspektiven auf. Die Sicht der Dinge relativieren sich. Was ist wichtig, was unwichtig. Lernen, Fremdes zuzulassen. Begreifen, dass meine/unsere Sicht der Dinge nur eine Fassette sein kann. Alles ist relativ, nichts absolut. Alles bewegt und ändert sich. Laufend. Dauernd. Nur das ist beständig. So kann ich mich neu erfinden. Ich muss, ich will es versuchen.

      Aber Australien allein zu machen, ist ein unnötiges Risiko. Wir dachten bisher immer, dass mit dem Älterwerden, der Aktivitätsradius kleiner und kleiner wird. Jetzt weiß ich, dass das Unsinn ist. Zwar schwinden die physischen Kräfte, das heißt doch aber nicht, dass ich weniger Risiken eingehen soll. Im Gegenteil. Je älter ich werde, je weniger muss ich Rücksicht nehmen. Sterben werde ich ohnehin. Wann? Wer weiß das schon. Also nutze die Zeit und mach was draus. Ich will es versuchen. Dumme Risiken muss ich allerdings nicht eingehen. Australien allein zu bereisen, wäre ein unnützes Risiko und Spaß macht das sicher auch nicht. Australien ist kein Land, es ist ein Kontinent. Um von A nach B zu kommen, müssen tausende von Kilometern bewältigt werden. Allein nach Sibirien wäre auch Quatsch. Andere interessante Ziele gibt es ja wohl genug.

      Sohn Christian war früher mal in Neuseeland. Das liegt gleich um die Ecke Australiens und ist nicht so groß, soll aber wunderschön sein. Schönes anschauen wird helfen, mich positiv zu polen.

      Neuseeland ist gerade mal 1.800 km lang vom Nordkap der Nordinsel bis zum Südkap der Südinsel. Das sollte ich schaffen.

      Alle, die schon dort waren, schwärmen in den höchsten Tönen.

      Warum also nicht Neuseeland. Sich aktiv Neuem stellen, ist mit Sicherheit eine gute Therapie.

      Ich beginne zu planen.

      Internet Recherchen lassen mich auf Banz Tours stoßen. Diese Agentur wird seit ca. 12 Jahren von einem Schweizer Ehepaar betrieben, das in Neuseeland „hängen“ geblieben ist und Motorräder und Campervans von groß bis klein vermietet, nachdem sie selbst das Land kreuz und quer mit dem Motorrad erforscht hatten. Sie vermieten zwar keine VW Busse, aber vergleichbare japanische Autos.

      Die Preise sind vernünftig.

      Den eigenen VW Bus dahin zu schaffen, wäre teurer.

      Es geht los

      Es ist Juli 2012. Mein Entschluss ist gefasst.

      Wer rechtzeitig bucht, bekommt gute Preise. Emirats Flüge sind derzeit die Günstigen.

      Nachdem ich mich per Mail mit Kurt, dem Besitzer der Agentur, auf ein Fahrzeug und einen Preis für die Nachsaison Februar - März 2013 geeinigt habe, buche ich Flug und Auto.

      Die Schulferien sind dann in Neuseeland vorbei, aber der Spätsommer lässt auf noch schönes, warmes Wetter hoffen. Und allzu viele Touristen werden dann wohl nicht mehr unterwegs sein.

      Leider ist Neuseeland fast am anderen Ende der Welt.

      25 Stunden Flug. Gräuslig.

      Am 13.2. fliege ich abends ab und bin am 15. 2. mittags da.

      Neuseeland ist unserer Zeit um 11 Stunden voraus.

      München – Dubai in einer Boeing 777 mit 300 Passagieren.

      Es geht, ist aber eng.

      Es sind auch Babys am Bord. Die benehmen sich.

      Etwas essen und dazu Rotwein zur Blutverdünnung.

      Das braucht man, wenn man allzu lange sitzt.

      Knappe 6 Stunden.

      Nach 4 Stunden Wartezeit im Flughafen Dubai geht es weiter.

      Dubai Flughafen ist riesig und voller Menschen aller Nationalitäten. Raus kann ich nicht, dazu ist die Zeit zu knapp.

      14.2. Um 10:15 a.m. hebt der Airbus 380 in Richtung Sydney ab. Doppelstöckig. 800 Passagiere passen rein. Das größte Flugzeug der Welt. Ich habe Gangplatz gebucht. Eine weiche und warme Trainingshose und sicherheitshalber Stützstrümpfe sollen helfen, die Flüge ohne Probleme zu überstehen.

      Tochter Elke hat mich gewarnt. Sie flog mal nach Japan und hat sich nicht um mögliche Blutzirkulationsprobleme gekümmert. Prompt hatte sie fast eine ganze Woche nach dem Flug noch heftige Beinschmerzen.

      Ich bin 69 Jahre alt und brauche solche Probleme nicht.

      17 Stunden Nachtflug sind zu überstehen. Also immer wieder aufstehen, hüpfen und bewegen. 7:30 a.m. Ankunft in Sydney. Müde, aber schmerzfrei. Der Flieger wird gereinigt und 2 ½ Stunden später landen wir in Auckland.

      Der Zoll nervt eine ganze Stunde lang. Keine Lebensmittel, gebrauchte Zelte, Waffen und Drogen. Selbst meine Wanderschuhe werden kontrolliert. Die hätten ja dreckig sein können. Waren sie aber nicht. Wer geht schon mit ungeputzten Schuhen auf Reisen. Ich zumindest nicht.

      Nachdem in den letzten 170 Jahren alles Mögliche eingeführt wurde, was Flora und Fauna des Landes vernichten kann, hat man nun endlich begriffen, dass das so nicht weitergehen darf und versucht, weitere Katastrophen durch strenge Kontrollen zu verhindern.

      Das ist sicher zu spät, aber besser als gar nichts. Wer schummelt, muss mit hohen Strafen rechnen.

      Kurt Binder holt mich ab und bringt mich nach Pukekohe, dem Standort seiner Agentur. Gleich während der Fahrt muss ich erfahren, dass der von mir gebuchte Sleepervan mit nur 180.000 Km einen Motorschaden hat und nicht zur Verfügung steht.

      Kurt bietet mir einen japanischen Hochdach-Camper mit allen Schnick-Schnack,