der Mitte stand ein Stuhl, auf dem bereits Karin saß. Sandra stockte kurz im Schritt, denn sie hatte gehofft, dass es diesmal ohne diese blöden Spiele gehen würde.
„Sandra ist die Nächste!“, schrie ein angetrunkener Arbeitskollege von Hans.
„Oh nein, ich weiß ja nicht einmal, was ihr da spielt?“
„Hi, hi ... sie weiß nicht was wir spielen?“, lachte Karin anzüglich auf. „Setz dich und schau zu, bist du an der Reihe bist! Es ist dem Spiel was wir sonst immer spielen sehr ähnlich“, sagte Hans. „Kann ich dann die Musik wenigstens etwas leiser machen, wegen der Kinder?“
„Du darfst es!“, gab Hans gönnerhaft von sich. Das war das sichere Zeichen für Sandra, dass auch er bereits einiges an Alkohol konsumiert hatte.
Schon nach den ersten zwei Verlierern wusste Sandra über den Ausgang des Spieles Bescheid, denn sie verloren absichtlich.
Das Ganze lief darauf hinaus, dass am Ende alle nackt im Kreis sitzen würden. Ab diesem Zeitpunkt musste dann der Verlierer den Küssen, der die Frage gestellt hatte.
Nein, heute würde sie nicht mitmachen, denn ihr ekelte noch vom letzten Mal. Sandra ärgerte sich über Hans, denn er hatte ihr nach der letzten Party versprochen, dass er solche Spiele nicht mehr zulässt.
Sandra stand auf und wollte die Runde verlassen.
„Was ist mit dir los?, fragte Hans.
„Ich habe Kopfschmerzen.“
„Das ist doch nur eine Ausrede, sie will sich nur nicht ausziehen! Sie ist eine. Spielverderberin!“, gab einer der Gäste von sich und Karin stimmte ihm lauthals zu. „Setz dich hin und mach mit!“, wurde sie von Hans aufgefordert. Nun wurde Sandra wütend, denn mit welchem Recht bevormundete sie Hans? „Nein, ich denke nicht daran. Spielt doch Eure Spielchen allein, wenn ihr es nötig habt!“
„Du bist wohl ein Kleines rühr mich nicht an! Oder sind wir der Dame nicht gut genug?“, lästerte ein junger schmieriger Typ. „Wisst ihr, was ich von euch alle halte ...?“
„Sandra!“ unterbrach sie Hans drohend.
Sie verließ die Runde und ging aus dem Raum. Sandra ging schnellen Schrittes ins Schlafzimmer. Hans folgte ihr und stellte sie böse zur Rede.
„Was bildest du dir eigentlich ein? Mich so vor meinen Gästen bloß zu stellen?“
„Deine Gäste passen ganz gut zu dir, sie sind genauso darauf aus – ganz offiziell fremd zu gehen. Weißt du wie man das nennt? ...“
Sandra spürte einen starken Schmerz auf ihrer Wange. Hans hatte sie geohrfeigt. Eingeschüchtert stand sie vor ihm, denn so weit ist er bisher noch nie gegangen. Sandra war furchtbar enttäuscht und wollte das Zimmer verlassen.
„Hau ab! Ich rate dir verschwinde, bevor ich mich vergesse!“, schrie sie Hans plötzlich an und war sichtlich zornig. Sandra bekam es mit der Angst und lief hinaus in den Garten. Hans folgte ihr und warf ihr ihre Tasche nach.
„Die Tasche wirst du brauchen, denn zurück brauchst du nicht mehr kommen, denn das würde dir leidtun! Ich lass mir doch von dir nicht meine Zukunft kaputtmachen!“
Sandra war geschockt und verließ panisch den Garten.
Wie sie wegkommen sollte - wusste sie nicht, aber dass sie weg musste und das schnell, war ihr klar. Sie ging die Hauptstraße entlang und fröstelte, denn es war kalt geworden. Auf den Feldern bildete sich bereits Nebel, aber noch war über ihr ein sternenklarer Nachthimmel. Sandra wusste nicht, was sie jetzt machen sollte. Noch schwirrten ihr die letzten Bilder und Stimmen durchs Gedächtnis, es war für sie ein Albtraum.
Sie hörte im Unterbewusstsein neben sich ein Auto anhalten. Sie reagierte aber erst, als eine dunkle Männerstimme sie ansprach.
„Junge Frau, wo möchten Sie denn mitten in der Nacht so leicht bekleidet hin?“
Sandra wollte sich schon abwehrend verhalten, da hörte sie eine Frauenstimme.
„Du siehst doch, dass sie Probleme hat! Kommen sie- steigen sie ein, wir können sie bis München mitnehmen, vorausgesetzt sie möchten dorthin.“
Sandra überlegte kurz, denn sie musste schnell weg. „Nach München, ja dorthin möchte ich.“
Sie setzte sich hinten ins Auto und die Frau fuhr los. Sandra merkte, dass die Frau immer wieder in den Rückspiegel sah und sie beobachtete.
„Möchten Sie darüber reden?“, fragte sie behutsam. „Lieber nicht, damit muss ich allein fertig werden.“
Ab jetzt herrschte tiefes Schweigen über die restliche Zeit der Fahrt.
Sandra war ganz in sich gekehrt, als plötzlich der Wagen stehen blieb und die Frau zu ihr sprach:
„Wir sind jetzt bei der Hackerbrücke, wenn sie wollen, können sie hier aussteigen, denn wir wohnen hier in der Nähe. Oder sollen wir Sie zum Hauptbahnhof bringen?“
„Nein danke, hier ist es richtig. Hier hält meine S-Bahn.“ Sie dankte dem Paar und stieg aus. Sandra sah den Schlusslichtern des Wagens nach, die in dem bereits dichten Nebel schnell verschwanden.
Sandra ging über die Brücke und dicke Tränen rannten über ihre Wangen. Sie hatte sich während der Fahrt schwer zusammenreißen müssen, damit sie ihrer Verzweiflung nicht freien Lauf ließ. Jetzt wo sie allein im Nebel auf der Brücke stand, ereilte sie das Elend. Wolkenbruchartig rannten ihr die Tränen über die Wangen. Sollte das, das Ende ihrer Liebe sein?
... Sandra wurde von der Kälte aus ihrer Lethargie gerissen und rieb wärmend ihre Arme.
Sie spürte den Nebel, seine Feuchtigkeit legte sich auf ihre Haut und es wurde ihr richtig kalt. Sandra ging langsam und schwerfällig. Sie drehte sich noch einmal zum Brückengeländer herum. In einem warmen Wartehäuschen am Bahnhof fand sie einen Platz zum Liegen auf einer der zwei Sitzbänke. Sie teilte den Warteraum mit einer alten Pennerin. Diese würdigte sie nur eines kurzen Blickes und versank sofort wieder in einen tiefen Schlaf.
Es dauerte nicht lange und auch Sandra schlief vor Erschöpfung ein.
„He- aufstehen, die ersten Fahrgäste kommen gleich, dass ihr mir verschwunden seid, wenn ich wieder komme!“
Sandra erschrak. Sie wusste im ersten Moment nicht, was los war und wo sie war. Die alte Pennerin sagte ruhig: „Lass dir Zeit, der kommt nicht so schnell zurück, hast du was zu trinken?“
„Nein, habe ich nicht“, erwidert Sandra. Die beiden Frauen unterhielten sich, und Sandra lud die Alte zum Frühstück am Kiosk ein. Die Pennerin erzählte ihr ihren Lebenslauf, und Sandra konnte darin Parallelen zu ihrem Schicksal erkennen.
Während sie der Alten zuhörte, dachte sie: So möchte ich nicht enden. Nach einer Weile verabschiedete sie sich von der Obdachlosen und gab ihr noch zehn Euro. Sandra wusste, dass sie nun ihr eigenes Leben meistern musste, aber dazu brauchte sie ihr Auto und andere Dinge von daheim. Sandra fuhr mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof, von dort ging es dann mit dem Zug weiter nach Murnau. Bis auf ein paar Wanderer war der Zug noch halb leer. Sandra sah aus dem Fenster in die vorüberziehende Landschaft. In Murnau angekommen, setzte sie sich in einem nahe gelegenen Park auf eine Bank und wartete- bis es acht Uhr wurde.
Jetzt musste Hans schon außer Haus sein und sie konnte getrost ein paar Dinge holen. Schon von Weitem sah sie das geöffnete Garagentor.
Sie läutet am Gartentor, weil Hans ihr den Hausschlüssel aus der Tasche genommen hatte. Maria- ihre Hausperle öffnete die Tür.
„Mein Güte-Frau-Berger, ihr Mann hatte mir gesagt, dass sie das Haus verlassen hätten, und nie mehr zurück kommen würden. Schön, dass sie doch wieder da sind.“ Dabei strahlte sie über das ganze Gesicht und reichte Sandra beide Hände.
Sandra äußert sich mit ein paar Sätzen und verschwand als Erstes im Bad. Während sie duschte, machte Maria für sie einen starken Kaffee und belegte Brötchen. Sandra verspürte die Frische am Körper und wurde endlich