Christian Bieniek

Kopf hoch, Kleiner!


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ihr Lächeln an zwei gutgekleidete Frauen, die anscheinend hier arbeiteten, an einen Kurier, einen Pizzaboten, an ihren Taschenspiegel und zweimal an mich. Ich wurde immer gespannter auf die Ausrede, mit der Jansen mir hoffentlich bald seine Verspätung erklären würde. Eine Herzattacke war das mindeste, was ich als Entschuldigung zu akzeptieren bereit war.

       “Hat leider etwas gedauert“, lautete dann sein lahmer Kommentar. Er hatte mich eine halbe Stunde warten lassen. Ich folgte ihm in sein Büro im obersten Stock. Vor seinem Schreibtisch sah ich Jansen zum ersten Mal richtig an. Er war grauer, faltiger und dicker geworden in den knapp drei Jahren seit unserm letzten Treffen. Verjüngt hatte sich hingegen sein Outfit - buntes Hemd und verwaschene Jeans; und seine Brille - schmale Balken statt Tropfenform.

       Im Verlauf unseres Gesprächs wartete ich vergeblich auf die Frage danach, warum schon länger keine neue Serie von mir im Fernsehen gelaufen war. Ich hatte eine Auswahl von Antworten darauf parat, von denen eigentlich keine der Wahrheit besonders nahekam, doch Jansen erwähnte meine Schreiberei mit keinem Wort. Er erzählte mir, wem FIT gehörte und welche Produktionen die Firma in letzter Zeit verkauft hatte. Zumindest dem Namen nach kannte ich die Gameshow, die drei Unterhaltungsserien und die Reality-TV-Reihe, deren Titel er mir nannte. Es war nichts darunter, was riesigen Erfolg gehabt hatte, aber auch kein ausgesprochener Flop.

       “Solide Durchschnittsware für solide Einschaltquoten – so würde wohl der Wappenspruch von FIT lauten, wenn wir ein Wappen hätten“, erklärte mir Jansen, während er seine Pfeife stopfte. “Also genau das, was wir beide mit DOPPELT GEMOPPELT abgeliefert haben.“

       So hieß die sechsundzwanzigteilige Serie - meine bisher letzte -, für die Jansen als Redakteur verantwortlich gewesen war. Er verriet mir nicht, warum er seinen alten ARD Sender verlassen hatte und zu FIT gewechselt war, und ich fragte ihn auch nicht danach. Unsere Beziehung war nie besonders persönlich gewesen. Wenn wir uns getroffen oder miteinander telefoniert hatten, war es nur um die Serie gegangen. Ich dachte an die simple Ausgangsidee von DOPPELT GEMOPPELT. In der einen Hälfte eines Doppelhauses lebte die chaotische Familie eines Bildhauers, in der anderen die ordentliche Familie eines Beamten. Klischeehafte Charaktere, vorhersehbare Konflikte – aber fast acht Millionen Zuschauer pro Woche. Was hatte ich seitdem verlernt, verdammt nochmal?

       Jansen erläuterte mir ausführlich, was alles zu meinem Job gehören sollte - Drehbücher lesen, Manuskripte für bereits verkaufte Serien drehfertig überarbeiten, bei der Entwicklung neuer Unterhaltungskonzepte mitarbeiten, bestehende Kontakte zu Autoren, Regisseuren und Sendern pflegen und neue aufbauen und so weiter.

       “Klingt nach ziemlich viel Arbeit“, sagte Jansen lächelnd und zog an seiner Pfeife. “Aber für 25.000 Mark im Monat können wir wohl einiges verlangen, oder?“

       25.000 Mark? lm Monat? Dafür hätte ich sogar als Putzfrau für FIT gearbeitet. Als er mich fragte, ob er mir mein Büro zeigen sollte, sprang ich sofort auf.

       Ich folgte ihm eine Etage tiefer. Fast alle Türen standen offen, ich hörte Stimmengewirr und Telefongeklingel, Leute gingen von einem Büro ins andere, zwei Fernseher liefen mit lautem Ton. Jansen wurde von einem langhaarigen, jungen Mann angehalten, der sich darüber aufregte, dass ein Schlagersänger, den ich für längst gestorben gehalten hatte, nicht zu der kurz bevorstehenden Aufzeichnung einer Musikshow erscheinen konnte.

       “Das wundert mich“, meinte Jansen gelassen. “Um mal wieder ins Fernsehen zu kommen, würde der doch sogar aus einer Intensivstation abhauen.“

       Dann sagte er dem Langhaarigen, wo er anrufen solle, um schnellstens Ersatz auftreiben zu können. Der Mann verschwand, und Jansen ging mit mir zum Ende des Flurs und öffnete die rechte Tür.

       Es war ein ziemlich kleines Zimmer mit zwei gegenüberstehenden Schreibtischen.

       “Frau Heise, Ihre Mitarbeiterin, ist heute leider nicht da. Ich denke, Sie werden gut mit ihr klarkommen.“

       Ich hatte also doch nicht geschwindelt, als ich Ellen gegenüber damit geprahlt hatte, Jansen würde mir eine eigene Sekretärin zur Verfügung stellen. Allerdings war ich ein bisschen enttäuscht, dass sie nicht in einem Vorzimmer untergebracht war, sondern mir gegenübersaß.

       Ich ging zum Fenster und prüfte den Ausblick.

       “Wie war das noch mit dem Blick auf den Rhein?“ fragte ich Jansen.

       Er lachte, steckte die Pfeife in den Mund und machte das Fenster auf. “Sehen Sie da hinten links?“

       Ich musste mich lebensgefährlich weit hinausbeugen, um zwischen zwei Häuserwänden ein winziges Stück Rhein entdecken zu können. Jansen amüsierte sich über meinen Gesichtsausdruck.

       “Also, was meinen Sie? Wenn Sie Lust haben, können Sie am Montag hier anfangen.“

       Ich schloss das Fenster und schaute mich um. Jeden Tag acht Stunden in diesem Büro sitzen - unvorstellbar! Aber ich hatte keine Wahl, schon gar nicht bei dem Geld.

       “Am Montag um neun bin ich hier.“

       Er sah mich nachdenklich an. Dann legte er mir eine Hand auf die Schulter. “Wenn Sie nicht mit der Arbeit zurechtkommen, können Sie gerne sofort wieder gehen.“

       Ich nickte. Das hörte sich nicht so an, als sei Jansens Vertrauen in mich übermäßig groß. Warum hatte er mir den Job überhaupt angeboten?

       Er ging zur Tür, blieb stehen und zeigte auf den Kalender. “Sie wissen doch, was heute für ein Tag ist, oder?“

       Ich sah ihn fragend an. Er grinste.

       “Haben Sie das wirklich geglaubt mit den 15.000 im Monat? 3.500, mein Lieber, mehr bekommt hier niemand am Anfang. In drei Monaten sehen wir dann weiter.“

       Ich schaute auf den Kalender. Es war der 1. April.

      6

      Doch noch übler reingelegt als durch Jansens Aprilscherz fühlte ich mich durch seine Abschiedsworte: “Schöne Grüße an Ihre Frau! Und sagen Sie ihr, dass ich schon sehr gespannt bin auf die neuen TIMO-Geschichten.“

       Hatte er mir nicht bei seinem Anruf versichert, noch nie etwas von TIMO gehört zu haben? Auf dem Weg zum Bahnhof suchte ich nach dem Grund, warum er mich angelogen hatte. Erst im Zug dämmerte mir allmählich, was dahinterstecken mochte. Und als ich dann Ellen zu Hause im Wohnzimmer zur Rede stellte, versuchte sie nur halbherzig, meinen Verdacht als Hirngespinst abzutun.

       “Ich weiß gar nicht, was du willst“, meinte sie ausweichend und ließ sich aufs Sofa fallen. “Warum freust du dich nicht einfach darüber, einen Job zu haben? Oder hat es dir so viel Spaß gemacht, monatelang am Schreibtisch zu sitzen und ein weißes Blatt anzustarren?“

       “Hast du mit Jansen telefoniert, ja oder nein?“ bohrte ich weiter.

       “Nein.“

       “Ich glaub‘ dir kein Wort.“

       “Warum regst du dich denn so auf?“ fragte sie lächelnd. Doch plötzlich machte sie ein ernstes Gesicht und sah mich stirnrunzelnd an: “Ich hab Jansen zufällig letzte Woche getroffen. Und zwar auf der Vernissage von dieser tunesischen Malerin. Er wollte wissen, woran du gerade arbeitest. Was hätte ich ihm sagen sollen? Dass du gerade in der kreativsten Phase deines Lebens bist?“

       “Er hat mir also nur aus Mitleid den Job angeboten?“ rief ich wütend. Ellen verzog genervt das Gesicht. Ich konnte mir denken, wie das Gespräch zwischen Jansen und ihr gelaufen war. Jansen hatte bestimmt nicht mal im Traum daran gedacht, mir eine Stelle bei FIT zu besorgen, doch Ellen hatte ihn irgendwie dazu überredet. Ich fragte mich, mit welchen Argumenten sie Jansen überzeugt hatte. Mir fiel keins ein. Oder hatte sie ihn vielleicht irgendwie unter Druck gesetzt?

       “Womit hast du ihn denn erpresst? Mit einem geheimen Video, auf dem er es mit Carolin Reiber und Max Schautzer treibt?“

       “Was heißt erpresst?“ meinte sie zögernd. “Jansen und ich haben uns über die Film- und Fernsehrechte von TIMO unterhalten.“

       Sie fuhr sich durch die Haare.

       “Und weiter?“ drängte ich ungeduldig.

       “Nichts weiter. Der Verlag hat noch nicht entschieden, an wen die Rechte