Martha Mohr

Bogdansky


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seinen Ansprüchen und immer wiederkehrenden Aufgaben wäre und wenn die Zeit nicht so vorbeirauschen würde. Alles Ausreden! Ich wusste, dass du so etwas sagen würdest. Was ich machen würde? Tja, ich würde mich gern für die Umwelt einsetzen und gegen die Atompolitik demonstrieren. Am liebsten würde ich diesen Irrsinn Atomenergie sofort stoppen, wenigstens solange bis das Problem der Entsorgung vernünftig gelöst ist. Niemand wagt das, denn da sind all diese Verstrickungen, die Wirtschaft, die Banken und die Lobbyisten und unsere hilflosen, mutlosen, nur an die nächste Wahl denkenden Politiker.

      Eine friedvolle Welt ohne die üblichen Kriege würde ich auch gern verordnen. Wenn das so einfach wäre, ja, Bogdansky, dann hätten das sicher schon andere getan. Es muss doch aber irgendwie möglich sein, die Menschheit für ein friedliches Miteinander zu begeistern. Ich soll mal langsam anfangen zu handeln, nicht nur lamentieren und nicht so naiv daherdenken. Ach ja, du hast mal wieder Recht, aber ich fürchte, ich bin zu ungeduldig und eine Oma. Wer hört schon auf Omas. Vielleicht sollte ich mich damit begnügen, meinen eigenen, ganz privaten Änderungen, ich denke dabei an Handys, nachzugehen.“

      Freizeit

      Als die Kinder noch klein waren, habe ich mir so manchmal gewünscht, einmal etwas in aller Ruhe mit Akribie machen zu können. Damals musste ich mir die Zeit für meine Vergnügungen regelrecht stehlen. Meinem Nachbarn, der bereits Rentner war, habe ich einmal gesagt, dass ich ihn beneide, weil er so oft und so lange er möchte im Garten arbeiten kann. Ich bin jetzt auch fast so weit, aber es ist nicht mehr dasselbe. Es fehlt der Elan und die Notwendigkeit des Tuns. Es fehlt jemand, der neben mir steht, mich vollquatscht oder irgendetwas von mir will.

      „Ja, Bogdansky, jetzt habe ich dich. Allerdings plapperst du nicht so sorglos und fröhlich drauflos wie meine Kinder es taten, und du hast nicht annähernd ihren Charme. Ich möchte dich jetzt nicht beleidigen, aber du hast mich bisher selten zum Lachen gebracht. Nein, ein Clown bist du wirklich nicht.“

      Ich kann es auch so schaffen. Mein Garten ist schön. Ich treibe mich eben selber an und hänge meinen Gedanken nach. Aber es ist nicht dasselbe.

      Gartenarbeit ist für mich eine wunderbar entspannende Tätigkeit. Besonders im Frühling freue ich mich darauf, endlich wieder in der Erde wühlen zu können. Es ist auch nach über 30 Jahren noch spannend zu beobachten wie alles sprießt und frisches Grün den Garten zu neuem Leben erweckt. Beinahe jedes Jahr im Spätsommer oder Herbst pflanze ich Stauden um oder es kommen neue Pflanzen dazu. Daher ist es im darauffolgenden Jahr auch immer aufregend zu sehen, ob sie gedeihen und ob die Kreation gelungen ist.

      Im Herbst sieht das anders aus, es kann schon recht kalt sein, der Boden ist matschig, sodass man dicke Erdschichten unter den Schuhen mit sich herumschleppt. Inzwischen habe ich Unterstützung von meinem Mann. Er ist kein Gartenfan und außer Rasenmähen und gelegentlichen schwereren Arbeiten hält er sich aus allem raus. Und wenn er eine Arbeit übernimmt, das hat sich vor kurzem erst wieder gezeigt, müsste ich eigentlich danebenstehen und Regieanweisungen geben. Der letzte Strauchschnitt ist so ausgefallen, dass wir nun wieder freien Blick auf Nachbars Gerümpel haben und eine Hortensie diese Aktion mit ihrem Leben bezahlen musste. Ich bin trotzdem froh, eine solche Hilfe zu haben und geradezu glücklich, dass mein Mann, er befindet sich schließlich im Opaalter, die Arbeit ohne jegliche Verletzung zu Ende brachte.

      „Ich bin nie zufrieden. Doch, doch, das ist durchaus ernst gemeint. Du weißt genau wie gefährlich Arbeit im Freien für meinen Mann sein kann, besonders wenn er Leitern einsetzt. Dreimal habe ich ihn hilflos auf dem Rücken neben seiner Leiter angetroffen. Ein anderes Mal hatte er eine Hand zu dicht an der Heckenschere. Aber das war vor deiner Zeit, Bogdansky.“

      Träume

      Manchmal beschleicht mich so ein, beängstigendes Gefühl, wenn ich nach getaner Gartenarbeit völlig fertig bin und so ungefähr jeden zweiten Knochen meines Körpers spüre. Es könnte, es wird irgendwann der Tag kommen an dem ich mich nicht mehr so im Garten austoben kann, der Tag an dem mir Gartenarbeit zur Last wird und ich mich mit einem Gang durch den Garten begnügen muss.

      „Verschieben, wegschieben. Ok, danke für den Tipp Bogdansky. Ist dieser Tipp nicht ein bisschen einfältig? Hast du keine bessere Idee? Ich soll immer nur an den morgigen Tag denken und meine Kräfte sinnvoller einsetzen und sie nicht an solche unnützen Gedankenspielereien verschwenden. Bogdansky, ich schiebe sie besser doch weg.“

      Andererseits träume ich manchmal davon ans Meer zu ziehen, Hühner zu halten und mit einem Hund, den ich mir schon lange wünsche, jeden Tag am Strand entlang zu laufen. Jeden Tag das Meer sehen, riechen und fühlen zu können wäre wunderbar. Einfach noch einmal etwas ganz, ganz Neues anfangen, an einem anderen Ort ein neues Leben beginnen. Das wäre eine echte Herausforderung und meiner Kreativität wären keine Grenzen gesetzt.

      Ich liebe das Meer, obwohl ich auch großen Respekt vor diesen riesigen Wassermassen und der Tiefe habe und keine überzeugende Schwimmerin bin. Ich kann nicht mal tauchen. Meine Kinder und auch die Enkelkinder und nicht zu vergessen mein Mann haben sich redlich Mühe mit mir gegeben. Außer Lacherfolgen habe ich nichts erreicht. Vielleicht probiere ich es noch einmal. Am besten gefällt mir die französische Atlantikküste mit ihren weiten Stränden und dem ungestümen Atlantik. Ich könnte mich aber auch mit Nord- oder Ostsee begnügen.

      Wir könnten nach Australien umsiedeln. Das ist nicht einmal so abwegig, denn unser Sohn wohnt dort mit seiner Familie. Ich könnte unseren jüngsten Enkel täglich sehen, ihn hüten, mit ihm am Strand spazieren gehen, denn sie wohnen unmittelbar am Meer. In den sieben Jahren, die sie dort leben, haben wir sie dreimal besucht und ich könnte mir gut vorstellen, längere Zeit in ihrer Nähe zu verbringen.

      „Das Klima in und um Melbourne ist ok Bogdansky. Selbst wenn es so richtig heiß ist, kann man die Hitze besser ertragen als unsere meistens total schwüle Wärme. Mein Kreislauf hat sich bestens benommen als wir dort waren. Nett, dass du so aufmerksam und fürsorglich bist. Ich habe doch erst morgen Geburtstag.“

      Wir vermissen die drei Australier sehr, auch wenn wir häufig skypen können und auch wenn sie einmal jährlich angeflogen kommen. Verlockend wäre eine Umsiedlung schon. Vielleicht, obwohl das momentan nicht so aussieht, kehren sie bald wieder in die Heimat zurück. Vielleicht, aber sie wissen es selbst noch nicht. Sie fühlen sich einfach zu wohl in diesem fernen Land.

      „Ich soll mir meine Träume erfüllen und nicht so feige und unentschlossen sein. Wenn das so einfach wäre, Bogdansky. Allein der Gedanke an all die Dinge, die unser Haus füllen, die sich angesammelt haben im Laufe von 40 Jahren, die aussortiert und entrümpelt werden müssten, lässt meinen Elan schrumpfen. Ganz zu schweigen von all den lästigen Behördengängen, die notwendig wären. Es erfordert viel Kraft und Willen, sodass ein solches Unternehmen wahrscheinlich ein zu hoher Berg ist, den wir wohl nicht mehr erklimmen können. Außerdem habe ich meinen Mann noch nicht interviewt. Er ist realistischer als ich und unsere Töchter mit ihren Familien wohnen ganz in der Nähe. Dann würden wir sie alle furchtbar vermissen. Vielleicht ist auch unsere verbliebene Lebenszeit viel zu kurz, um Wünsche dieser Art verwirklichen zu können. Vermutlich hast du Recht, wir sollten ohne Rücksicht zu nehmen auf dies und das, tun was wir wirklich möchten. Doch das ist schnell gesagt und gut gemeint, doch die Verwirklichung erfordert eine ziemlich große Portion Mut und irgendetwas würde immer fehlen. Irgendwen würden wir immer vermissen. Na gut, ich bin feige. Das letzte Wort ist auch noch nicht gesprochen. Ich kann weiter träumen, denn ohne Träume funktioniert das Leben nicht, meins jedenfalls nicht. Ich muss planen, wünschen und träumen können. Es funktioniert bestens, wenn ich mein Alter nicht berücksichtige. Selbstbetrug. Na und? Selbstverwirklichung ist das Zauberwort. Ja Bogdansky, ein interessantes Wort mit bedeutsamen Hintergrund.“

      Wie gut kennen wir uns eigentlich, unsere eigene Person, unsere Wünsche, unsere Bedürfnisse und unsere Fähigkeiten? Einige Menschen wissen sehr früh ziemlich genau was sie wollen, welchen Weg sie gehen möchten. Sie sind zielstrebig und lassen sich nicht auf Experimente ein. „Ja, Bogdansky, du könntest so ein Mensch sein.“ In der Realität sind es aber nur