Dirk K. Zimmermann

Lattenschuss


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großen emotionalen Auftrieb im ganzen Land verbreitete:

      Wie bekannt, Detlef Dudel, 42 Jahre, Trainer, Postbote. Spitzname: Der Schleifer. Dann Physiotherapeut und Zeugwart Otto, 52 Jahre, Akkordausbeiner, genannt „Pille“. Torhüter Kalle, 28 Jahre, genannt „Die Hand“; Markus, auch „Macke“, 29 Jahre, Abwehr und defensives Mittelfeld (zur Not); Pommes-Uli, Verteidiger, 24 Jahre, Schlosser; „Kiste“ Malte, 22 Jahre, KFZ-Mechaniker, Stürmer; Armin, 26 Jahre, genannt Blondie, Abwehrspieler, Friseur; Wolfgang, 32 Jahre, Spitzname: die Schnecke, Libero; Uwe, 20 Jahre, „die Klette“, Waldarbeiter, Verteidiger; Jochen, 29 Jahre, Spitzname: „Horny“, Mittelfeld; „Bomber“ David, landläufig „Mister Busch“, 24 Jahre, Stürmer, Tankstellenwart; Ali, Mittelfeld, 21 Jahre, Elektriker; Tino „aus dem Osten“, Mittelfeld, 30 Jahre, Fernmeldetechniker; Oliver, auch „Knaller“ genannt, 25 Jahre, kaufmännischer Angestellter im elterlichen Entsorgungsbetrieb Schluss und Weg damit!, Stürmer; Heinz, 27 Jahre, genannt „Der Stinker“, Abwehr, Ersatzspieler; „Reserve-Charly“, eigentlich Karl, EDV-Analyst, Abwehr und Mittelfeld, 31 Jahre; Dennis, 21 Jahre, Student der Wirtschaftswissenschaften, Mittelfeld; Birte, 23 Jahre, „das Törtchen“, Abwehr, Bäckerin; „Rakete“ Mario, 26 Jahre, Gabelstaplerfahrer, auch „Turbo“ genannt, Angriff. Er kam für zwei Kisten Pils vom TuS. Läuft die hundert Meter in elf Komma eins Sekunden. Ohne Ball.

      Das waren sie also, die neunzehn Menschen, die das Rot-Weiß-Team ausmachten. Die gewillt waren, am Ende der Saison ganz oben in der Kreisliga-C-Tabelle zu stehen. Um es vorwegzunehmen: Ich bin niemals auf dem Sportplatz gewesen. Bei keinem einzigen Spiel. Keine Kabinen-, Bank- oder Seitenliniencoachings. Ich habe alle neunzehn Teammitglieder ausschließlich in meiner Praxis empfangen und beraten. Die wenigsten von ihnen saßen mir frontal auf dem Stuhl gegenüber, so wie es beim Erstgespräch mit Detlef Dudel der Fall gewesen war. Die meisten lagen auf der Couch, während ich mit ihnen sprach.

      Wie diese ersten Sitzungen verliefen, habe ich recht präzise festgehalten. Machen Sie sich also selbst ein Bild.

       2

       Vor Saisonbeginn. Vor dem Trainingsauftakt.

       Erste Sitzung mit Spielerin Birte, 23 Jahre, Bäckerin, Verteidigerin.

      

      „Hallo, das ist aber eine Überraschung ...“

      „Der Detlef hat gesagt, er hat heute Abend seine erste Sitzung mit Ihnen und ich hab’ nachgedacht und ich bin der Meinung, es ist besser, wenn ich zuerst mit Ihnen rede.“

      „Warum?“

      „Ich bin eine Frau und die Burschen aus der Mannschaft, die haben nicht so große Antennen. Ich meine, gefühlsmäßig. Und weil ich die Erdbeertörtchen fertig hatte und nicht mehr hinter die Theke muss, bin ich schnell rüber zu Ihnen. Ich hoffe Sie haben Zeit ...“

      „Hab’ ich. Nehmen Sie doch bitte Platz.“

      „Cool, danke. Können wir nicht du sagen? Sie gehören doch jetzt zu Rot-Weiß dazu!“

      „Gern. Albert.“

      „Ich bin Birte. Nicht Zuckerschneckchen. Nicht Törtchen oder Knackarsch. Einfach Birte.“

      „Wer sagt denn so was?“

      „Na die Jungs aus dem Kader. Nicht die Neuen, aber die anderen. Da krieg ich ’nen Hals. So eine Krawatte.“

      „Die nehmen dich nicht ernst ...“

      „Ganz genau, besonders der Horny, der Jochen. Dabei hat der nur Angst um seinen Posten als Läufer. Der Schlappschwanz. Was der an Pensum bringt, pack’ ich allemal.“

      „Entschuldige, Birte, dass ich so unverblümt frage, aber du

      bist sehr gutaussehend, von der Figur zierlich würde ich beinahe sagen. Ich kenne mich nicht so aus, aber, wie kommt es, dass du in der Männermannschaft spielst.“

      „Bei allem Respekt, Albert, aber Frauenfußball ist nicht. Nicht für mich. Dieses Weichspüler-Gebolze kann ich nicht ab. Ich hab ’ne Genehmigung, dass ich in der Herrenmannschaft mitmachen darf. Extra vom Vorstand losgetreten, weil, in mir steckt rot-weißes Blut. Mein Ur-Opa Friedrich hat schon für Rot-Weiß gespielt. Er war Mannschaftskapitän. Er ist Meister geworden. Meine Mutter hat die Kapitänsbinde und die Siegermedaille von ihm in ihrem Schlüpfer vor den Russen versteckt, als der Krieg aus war. Vielleicht auch vor den Amis und den Tommys. Und als Ur-Opa gestorben ist, hab’ ich die Binde bekommen. Das war sein letzter Wille. Ich hab’ Schweißbänder draus gemacht. Und ich trag’ die Dinger jeden Sonntag. Außerdem, wer sagt, dass Spielerinnen Wuchtbrummen sein müssen, die eine Visage zum Reinschlagen haben.“

      „Du bist ja Abwehrspielerin. Wie oft kommst du zum Einsatz?“

      „Bisher ist meine Spezialität rechts draußen. Bankhocken. Der Dudel bringt mich ja zum Verrecken nicht. Ich habe noch nie gespielt! Der Dudel bölkt durch die Gegend ohne Ende, führt sich dabei auf wie ein Feldmarschall, aber in Wirklichkeit hat der Eier aus Gummi. Das sag’ ich dir. – Ich spiel’ die anderen im Training auf ’m Bierdeckel schwindelig. Und? Nutzt nix. Chefchen sagt, Zweikampf, das ist nichts für mich. Die gehen auf die Knochen, dann greifen sie dir in den Schritt und an die Brüste. Oder verstehen die Anweisung ‚hautnah decken‘ falsch. Sollen sie mal. Werden sie schon sehen, was sie davon haben. Außerdem, meine Möpse sind mit ’nem Sport-BH weggesperrt. Das kannst du von Schneckes, Charlys und Heinz’ Biertitten nicht behaupten. Aber das zählt dann nicht, wenn ich denen das vor den Kopp knalle.“

      „Den Frust kann ich verstehen, aber gibt es denn nicht noch viel mehr Hindernisse, so unter Männern?“

      „Hindernisse? Du meinst den Pimmelchen beim Duschen begegnen? Okay, Bomber hat ’ne Fleischpeitsche, aber der Rest, das ist doch Hausmannskost, so zwischen Gewürzgurke und Minisalami. Und ich hab’ vier Brüder. Die glauben, ich wäre nichts gewohnt. Wir sind doch ein Team! Und da geht das doch wohl nicht, dass die Typen wegen mir, solange ich mich abbrause, die Hosen anbehalten. Ich mein’, die anderen verbiegen sich. Und das Ende vom Lied: Ich dusche alleine, weil ich blank ziehe und dann kommt der ganze andere Rest. – Ich find’, die machen ein Aufsehen für nichts.“

      „Was muss sich denn deiner Meinung nach noch ändern?“

      „Oh, ’ne ganze Menge! – Manche sind viel zu eitel, die wollen Schaulaufen machen. Schönwetterfußballer. Grätschen nicht, wegen der Asche, die ihnen den Hintern aufreißt. Manche kleben sich echt mit Pflaster die Brustwarzen ab, bevor sie das Trikot anziehen. Weil sie sonst wundgescheuert sind. Kein Wunder, dass der Trainer ausrastet. – Und dann, ich mach’ keinen Kopfball! Dudel brüllt mich immer an, du Nulpe, mach’ hier nicht auf Barbie. Ran an den Ball mit dem Kappeskopp.“

      „Warum köpfst du denn nicht?“

      „Eklig. Es reicht der Dreck am Ball, der Stirnschweiß von den anderen Köppen. Aber unser Keeper, der Kalle, der ist echt ein Ferkel. Der spuckt auf seine Handschuhe. Macht griffiger, sagt er. Dann hält er die Pille und wirft sie ab. Und bei der nächsten Flanke hab’ ich die Rotze von dem Kalle an der Stirn kleben. Ohne mich. Außerdem, wo ich schon dabei bin, ich bin nicht für alles zu haben. Schweißgeruch, Knofi, das kann ich gut ab. Die Jungs müssen ja auch ertragen, wenn ich nach Mocca-Buttercreme oder Kokosnusstorte rieche. Aber bei den penetranten Mentholdämpfen von der Sportlersalbe, den stinkenden Abflüssen, dem andauernden Muskelkater und Dudels bekloppten Trainingsbesprechungen krieg’ ich einfach die Pimpernellen.“

      „Trainiert er zu hart? Sind die Besprechungsergebnisse nicht klar formuliert?“

      „Ich sag mal so. Sauerland – Powerland. Kennst du die Hymne nicht? Detlef, der hat noch nicht kapiert, was Trainersein eigentlich bedeutet. Er ist ein herrischer Platzanweiser, wenn du mich fragst. Mehr nicht. Hab’ ich ihm schon gesagt, aber er hört nicht drauf. Machst du nix. Ich hab’ ihm das schon oft gesagt, ehe wir auf Tournee gehen, du musst