Er musterte mich mit einer Mischung aus Stolz und Bedauern. Bedauern – warum? Dass er ein uneheliches Kind gezeugt hatte? Oder dass er mir nie der Vater gewesen war, der er hätte sein können
„Ja, Sophia. Es ist wahr. Du bist meine Tochter. Mein einziges Kind.“
„Warum hast du mir nie etwas davon erzählt?“, wollte ich wissen.
Ein schmerzliches Gefühl machte sich in meiner Brust breit.
Erneut seufzte mein Vater.
„Zum einen, weil meine Frau dies so wollte und zum anderen – um dich zu schützen.“
„Weil deine Frau es so wollte? Seit wann lässt du dir von irgendjemanden, insbesondere einer Frau, erzählen, was du zu tun und zu lassen hast?“, verlangte ich ärgerlich zu wissen.
„Eva ... Sie ... Ihre Familie hat ... Sagen wir, es wäre nicht gesund für mich, sie zu verärgern. Es war schon schlimm genug, dass mein kleiner Fauxpas ans Tageslicht kam.“
„Kleiner Fauxpas?! – Ist das, was ich für dich bin? – Ein Fauxpas?“
Wütend und verletzt funkelte ich ihn an. Er schaute zerknirscht und – verwirrt. Mit einem Seufzen fuhr er sich mit den Händen über sein Gesicht, ehe er sich wieder mir zu wandte.
„So meinte ich es nicht, Sophia. Ich meinte, meinen Seitensprung, von dem du die Folge bist.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, Fauxpas war wirklich der falsche Ausdruck. Es war kein Fauxpas. Nicht für mich, jedenfalls. Es war ...“
„Wer ist meine Mutter? Wo ist sie? Ich will Kontakt zu ihr aufnehmen.“
„Deine Mutter ist tot, Sophia“, erklärte mein Vater mit einem Seufzen.
Die Offenbarung traf mich wie ein Faustschlag und ich war für einen Moment sprachlos. Meine Mutter war tot. Wie lange? Wenn ich früher herausgefunden hätte, dass mein Boss und Mentor mein Vater war, hätte ich dann noch eine Chance gehabt, meine leibliche Mutter kennenzulernen? Wut und Schmerz erfüllten mich. Ich fühlte mich beraubt. Betrogen. All die Jahre hatte er mir die Wahrheit verschwiegen und jetzt wo ich sie wusste – dank Tony und nicht dank meines Vaters – da war es zu spät um meine leibliche Mutter kennenzulernen. Ich wollte schreien, so wütend, frustriert und verletzt war ich.
„Wann? Wie?“, fragte ich schließlich mit brüchiger Stimme.
„Sie starb bei deiner Geburt, Sophia. Es ... es tut mir leid.“
Eine Träne kullerte über meine Wange. Ich wischte sie mit dem Handrücken fort und schloss kurz die Augen. Bei meiner Geburt. Ich hätte sie also so oder so niemals kennengelernt. Es dämmerte mir, dass nicht nur ich meine Mutter nie kennen gelernt hatte, sondern dass auch meine Mutter nie die Chance gehabt hatte, ihre Tochter zu sehen. Das Leben das sie auf die Welt gebracht und für das sie gestorben war. Die Geschichte war so tragisch, dass sie der Stoff für einen Roman sein könnte.
„Hast du ein Foto?“, fragte ich, als ich die Augen wieder öffnete.
Mein Vater sah mich schweigend an, doch dann nickte er und erhob sich. Er ging zurück zu seinem Schreibtisch und zog eine Schublade auf, um etwas heraus zu holen. Mit dem Foto in der Hand kam er zu mir und reichte mir das Bild. Mit klopfenden Herzen nahm ich es entgegen. Ich starrte auf die Frau, die auf dem Bild vielleicht ungefähr in meinem Alter sein mochte. Abgesehen von der Haarfarbe war sie ein Abbild meiner selbst. – Nein! Ich war ein Abbild von ihr.
„Du bist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten“, sagte mein Vater mit rauer Stimme. „Du hast nicht nur ihr Aussehen. Du hast auch ihre Intelligenz und ihre Stärke.“
„Hast du – sie geliebt?“, fragte ich, ohne den Blick von dem Foto zu wenden.
„Ja. Ich habe sie geliebt. Wenn ... wenn sie nicht bei deiner Geburt gestorben wäre, dann hätte ich mich von Eva scheiden lassen, um bei euch zu bleiben. Ich hab mir immer eine Familie gewünscht. Ich war so stolz, als Estelle mir offenbarte, dass sie ein Kind erwartete. Unser Kind. Es war, als hätte Gott meine Gebete erhört. Sieh – Eva ist unfruchtbar. Wir haben es lange versucht, bis ein Arzt schließlich bestätigen konnte, was ich schon lange vermutet hatte. Eva hatte es nicht wahrhaben wollen, machte mich für unsere Kinderlosigkeit verantwortlich.“
„Zumindest weiß ich jetzt, warum sie sich mir gegenüber stets so kalt verhalten hat“, sagte ich bitter. „Ich dachte, sie würde mir heimlich unterstellen, dass du und ich ... Dass wir eine Affäre haben würden. Dabei ist sie einfach nur verbittert, weil ich der Beweis dafür bin, dass du nicht steril bist, sondern sie. Ich bin eine lebende Erinnerung dafür, dass du mit einer anderen Frau ein Kind gezeugt hast.“
„Ja, da hast du wohl recht“, erwiderte mein Vater seufzend. „Am Anfang unserer Ehe waren wir glücklich. Wir hatten Pläne für die Zukunft. Kids waren immer ein wichtiger Bestandteil dieser Pläne. Als die Jahre verstrichen und nichts geschah, wurde Eva immer verbitterter.“
„Warum hast du dich nicht scheiden lassen?“
„Das ist eine komplizierte Geschichte. Vielleicht erzähle ich es dir ein anderes Mal. Eva hat nichts mit dir zu tun.“
Für eine Weile saßen wir schweigend da, während ich versuchte zu verarbeiten, was ich alles erfahren hatte. Ich hielt das Bild meiner Mutter noch immer in den Händen.
„Okay“, brach ich nach einer Weile das Schweigen. „Das beantwortet mir viele Fragen – nur eine nicht.“
„Und was ist das für eine Frage? Ich stehe dir gern Rede und Antwort.“
„Warum hast du mich an Tony verkauft? Deine eigene Tochter!?“
„Du brauchst einen Mann an deiner Seite, der dich beschützen kann, Sophia. Ein Mann, der dir den Rücken stärkt, der hinter dir steht. Der ursprüngliche Plan war, dich mit Dominic Ivanow zu verheiraten. Boris Ivanow hat vor zwei Jahren sein Interesse an dieser Verbindung bekundet. Doch ...“
„Ist dir vielleicht mal in den Sinn gekommen, dass ich mir meinen Mann selbst aussuchen will? Ein... einen Mann, den ich liebe und ...“, fiel ich meinem Vater aufgebracht ins Wort.
„Hier geht es um wichtigere Dinge als Liebe“, unterbrach mich mein Vater. „Du kannst es dir nicht erlauben, einen schwachen Mann zu wählen. Du brauchst einen starken Mann. Jemanden mit Einfluss oder jemandem mit Macht in seinem Rücken.“
„Warum also Tony? Was soll der Unsinn mit dem einen Jahr?“
„In einem Jahr läuft das Ultimatum aus, das Boris mir für meine Entscheidung gegeben hat. – Tony – er ist ein Mann, der dich schützen kann und er hat die Mancini Familie hinter sich stehen. Außerdem hat er einen Ruf, der – sagen wir mal – auf andere abschreckend wirkt. Wenn du die Familiengeschäfte übernimmst, dann wird Tony dir eine gute Hilfe sein und mit der Mancini Familie im Rücken wärt ihr beiden sehr sehr mächtig. – Nahezu unangreifbar.“
„Und du hattest keine Angst, was ein Mann mit einem Ruf wie Tony mit mir anstellen könnte? Er ist ein verdammter Sadist, verdammt noch mal! Er foltert Leute, und er hat Spaß dabei!“
„Ich wusste was er ist, doch ich wusste auch, dass er dir nichts antun würde. Er mag ein Sadist sein und – ja, vielleicht ein wenig verrückt – doch er ist ein anständiger Mann. Er hat Ehre und außerdem hab ich ihm gewisse Spielregeln gegeben, an die er sich halten muss.“
Mein Vater sah mich an.
„Ich hab über die Überraschung deines unerwarteten Erscheinens und dass du alles weißt ganz vergessen zu fragen: wie bist du hierher gekommen? Hat Tony dich gehen lassen oder bist du abgehauen?“
„Er hat mich gehen lassen“, antwortete ich bitter.
Ein Teil von mir wünschte, er hätte mich einfach behalten, hätte mir nie diesen Ordner mit den Fotos und Videos gegeben. Manchmal war Unwissenheit ein Segen. Vielleicht hätten wir glücklich werden können.
„Aber wieso?“, durchbrach mein Vater meine Gedanken.
„Er