Stefan Lansky

Abwärts


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am Radio gedreht oder Kaffee verschüttet, oder sonst was ... aber eingeschlafen! Da muss ich Ihnen den Führerschein wegnehmen,“ bedauert er. „Neun Monate ist er weg.“

      „Dann soll es so sein“, antworte ich mit einem kurzen Anflug von Freude und Trotz: Nicht mehr fahren dürfen! Doch gleichzeitig bin ich sauer. Wirtschaft plus Wachstum über alles! Immer zu nachtschlafender Zeit aufstehen und Stunden schieben, das geht an die Substanz. Dann geht der Lappen eben weg, gibt es nix mehr zu fahren. Schluss. Doch sofort erscheint das Hartz-IV-Dilemma. Ja, das System hat einen fest im Griff.

      „Ist aber so, warum soll ich Ihnen anderes erzählen. Meine Eltern haben mir immer eingeschärft, die Polizei nie zu belügen.“

      Letzteres sollte witzig sein.

      „Das ist auch richtig. Passen Sie auf“, setzt der Polizist an: „Wir einigen uns auf Folgendes: Sie sind aus Unachtsamkeit von der Fahrbahn abgekommen. Dafür verwarne ich Sie mit 25 Euro. Kein Wort von ´eingeschlafen´, sonst bin ich meinen Job los. Sind Sie einverstanden?“

       Na, und ob.

      Die Polizistin sagt noch immer kein Wort und macht auf Standbild. Die Entscheidung ihres Chefs ist dann wohl auch die ihrige.

      „Ich werde jeden Tag angelogen und da ist einmal jemand ehrlich zur Polizei. Warum soll ich den bestrafen?!“

      Das freut mich.

      „Wir schauen uns noch die Leitplanke an“, erklärt der freundliche Beamte.

      Wir steigen in den Streifenwagen. Die Polizistin fährt – auch dies kommentarlos.

      „Na ja, sieht nicht so schlimm aus, die Planke ist gerade, lediglich ein paar Abriebsspuren sind zu sehen. Vielleicht lässt die Straßenmeisterei es auf sich beruhen. Wenn, wird sie sich mit Ihrer Firma in Verbindung setzen.“

       Bloß nicht.

      Mit gemischten Gefühlen steige ich in den Lkw um. Der Tag ist noch nicht zu Ende. Der Gang nach Canossa wird noch kommen: Die Predigt des Chefs, dazu Papierkrieg in Form der Unfallmeldung. Und natürlich eine schriftliche Abmahnung. Damit hat es der Chef, die teilt er gern aus. Oft vorsorglich, damit er nach Lust und Laune nach der dritten die Kündigung formulieren kann.

      Als ich in die Firma zurückkomme, empfängt mich der Chef schon mit einem bedauernden Hundeblick. „Herr Lansky, kommen Sie doch bitte kurz mit.“

      Es gibt zwei Varianten der Einladung in sein feudales Büro. Die eben genannte bedeutet: Es ist ernst. Die andere lautet ‚Haben Sie kurz Zeit?’ Diese mündet dann in eine gemütliche Plauderei über dieses oder jenes. Ich will nicht unerwähnt lassen, dass es mein Chef genießt, einen sogenannten akademischen Fahrer zu beschäftigen. „Hier kann ich mich nur mit Ihnen angemessen unterhalten!“ Na, wenn das seine übrigen Fahrer hören würden! Das ist eine glatte Abwertung ihrer Person.

      Wir haben eine gemeinsame Leidenschaft: Den deutschen Heimatfilm mit Heinz Erhardt, Martin Held und anderen Kinogrößen jener Zeit. „Sie sind für diesen Job ja vollkommen überqualifiziert“, schmeichelt er bei der Gelegenheit. Richtig, aber was soll man machen. Ich zeige ihm dafür auch mein Verständnis für seine Situation als Unternehmer, die oft schwierig ist, sowie für seinen luxuriösen Lebensstil –„Ich kaufe keine Uhr, die teurer als 5.000 Euro ist“ – sowie seine Schwäche für leistungsstarke Sportwagen. Das spürt er.

      Michaelis berichtet auch gern aus seiner wilden Jugendzeit. „Unter uns. Ich habe damals gekifft bis der Arzt kam – regelmäßig. Erzählen Sie das bitte nicht meiner Tochter, meine Vorbildfunktion könnte leiden“, schmunzelt er dann über seine antibürgerlichen Taten.

      Aber wieder zur Sache. „Sie sind eingeschlafen, sagt Océane?“ Der Chef hat ein Faible für französische Vornamen, sein Sohn heißt Yves.

      „Ja, das ewige Aufstehen zu nachtschlafender Zeit. Das zehrt.“

      „Dann müssen Sie mehr schlafen.“

      „Aber ja, man muss mich nur lassen. Ich kann nicht schon um 20 Uhr ins Bett gehen. Dann wache ich um Mitternacht wieder auf und bin fit bis 5 Uhr. Die Arbeitszeiten sind gegen den Biorhythmus. Sie wissen, dass Einschlafen am Steuer bei Lkw-Fahrern Unfallursache Nummer eins ist.“

      Das mag er nicht hören, darauf fällt ihm auch nichts ein, zumindest nichts, was er mir entgegenhalten könnte.

      „Ich muss Sie abmahnen. Ich erledige das mündlich. Ich denke, im Gegensatz zu den anderen Fahrern genügen bei Ihnen Worte.“

       Vollkommen.

      „In Ordnung“, sage ich.

      2

      18-Stunden-Schicht

      Nachts 3.30 Uhr. Ich stehe auf dem Betriebshof der Spedition. Es ist dunkel, es ist kalt, ich bin müde. Mein Auftrag: 66 leere Gitterboxen in den Raum Tuttlingen zu einem Metall verarbeitenden Betrieb transportieren. Die Strecke führt ausschließlich über Bundes- und Landstraßen – zusätzlich ermüdend. Um 6 Uhr soll ich dort sein. Ich entere die Kabine des Volvo FH 450. Als Springer habe ich kein festes Fahrzeug – will ich auch nicht. Ein „eigenes“ Fahrzeug bedeutet mehr Verantwortung für Pflege und Rechtfertigung, wenn etwas kaputt ist. „Aber Sie fahren doch meistens damit“, heißt es dann.

      Die meisten Fahrer wollen aber ein eigenes Auto, damit sie sich häuslich einrichten können, damit ihre Kaffeemaschine, ihr Stoffmaskottchen, ihr Blechschild mit ihrem Vor- oder Spitznamen einen festen Platz haben. Damit es ist wie zu Hause.

      Einmal fand ich in einem Fahrzeug mit Stammfahrer etwa 50 leere Plastik-Wasserflaschen im Fußraum des Beifahrersitzes und auf dem Bett lagen ein paar Herrenmagazine mittlerer Qualität mit den üblichen nackten Damen. Ein russischer Kollege hatte in seinem MAN Ikonen-Bilder kleben. Ja, man erfährt eine Menge über seine lieben Mitarbeiter, wenn man sich ihre Kabine ansieht.

      Ich will jedoch jederzeit fluchtbereit sein, die Karre verlassen können ohne Spuren zu hinterlassen, ohne vorher eine Ausräumaktion starten zu müssen. Deswegen ist nur eine Umhängetasche aus Lkw-Plane (ausgerechnet!) mein steter Begleiter.

      Doch nun geht es los. Ich starte den Motor, lasse ihn kurz laufen, damit sich die Druckluft aufbauen kann. Ich bin zwar nicht markenaffin, aber ein Volvo ist schon etwas Feines. Die Zugkraft: enorm. Ich rolle vom Hof, der Diesel schnurrt souverän. Das Automatikgetriebe erledigt das Grobe.

      Schon nach 30 Kilometern überfällt mich die gefährliche Müdigkeit, mir kippen die Augen zu. Ich hätte früher nie gedacht, dass Müdigkeit so schmerzen kann. Ich lenke auf einen Parkplatz und schlafe wenigstens 15 Minuten. Sicherheitshalber stelle ich den Wecker meines Mobiltelefons. Gestern konnte ich erst um 18.30 Uhr Feierabend machen. Ich habe kaum Zeit, um mich auszuruhen. Soll das so weitergehen? Freizeit nur am Wochenende? Und auch dann hängt man ab wie ein Schluck Wasser. Auf was habe ich mich mit diesem Job eingelassen?

      Der Wecker klingelt, ich raffe mich auf und fahre weiter. Pünktlich erreiche ich mein Ziel. An der Pforte melde ich mich an. „Tut mir leid“, erklärt der ältere, aber freundliche Pförtner, „die Warenannahme macht erst um 7.30 Uhr auf.“

      Wie bitte! Wäre ich nicht so erschöpft, würde ich mich aufregen. Dieses Weib! Ich meine Daciana Müller, meine Disponentin, genannt der Papagei, die meistens meine Touren koordiniert. Rot gefärbtes Haar, grüne Strickjacke und bunter Flitter im Gesicht – einfach billig. Sie stammt aus Rumänien. Sie schikaniert die Fahrer ohne Rücksicht auf Verluste, schiebt sie durch das Land, als wären es Schachfiguren, wobei Daciana und Schach in einem Zusammenhang zu nennen zuviel der Ehre wäre. Schon mancher Kollege hat nach zwei Tagen in den Sack gehauen und dem Laden auf Nimmerwiedersehen gesagt. Grund: Daciana Müller. Selbst altgediente Fahrer ergreifen irgendwann die Flucht vor ihr. Nun, sie geht auch mit meiner Lebenszeit äußerst großzügig um.

      Ich mache das Beste aus der Situation und nutze die Gelegenheit für ein Nickerchen mit laufender Standheizung. Das Schöne am Volvo: Man kann nicht nur die Lehne nach hinten verstellen, sondern die Sitzfläche gleitet nach vorn und hebt sich mit