in der Sophienstraße hoch. „Hätte ich nach all diesen Erzählungen nicht gedacht. Die hörten sich so nach Sozialbau an, diese Kerle.“
„Stimmt. Nur Fußball, Saufen, Weiber. Aber die haben ja selbst gesagt, dass dieser Achim etwas Besseres war.“
„Genützt hat´s ihm nicht viel. Und er scheint genauso primitiv gewesen zu sein wie die anderen. Die arme Frau.“
„Warten wir´s ab. Himmel, ich hasse es, die Familie zu informieren“, murrte Spengler und klingelte.
Im zweiten Stock öffnete sich eine reich geschnitzte Tür und eine zierliche junge Frau in Jeans und einem flauschigen Pullover sah sie fragend an. Joe schluckte. „Frau Wenzel?“
„Ja? Wer sind Sie?“
Spengler hielt seinen Ausweis hoch. „Kripo Leisenberg. Dürfen wir eintreten?“
Sie öffnete die Tür etwas weiter. Drinnen herrschten Parkett und Stuck vor – eine Traumwohnung, allerdings schäbig eingerichtet und etwas unordentlich. Ein kleiner Junge im Teletubbies-Schlafanzug sauste davon und im Hintergrund schrie ein Baby.
„Entschuldigen Sie“, murmelte die junge Frau. „Setzen Sie sich doch, ja? Ich bin sofort wieder da.“
Joe und Spengler setzten sich und sahen sich um. Die Möbel waren alt – nicht antik, sondern einfach unmoderne und ziemlich abgewohnte Möbel aus den frühen Sechzigern. In einer Ecke lagen Legosteine, in einer anderen einige Bilderbücher und die Wagen einer Plüscheisenbahn.
„Die arme Frau“, wiederholte Joe.
Spengler grinste. „Sie ist genau der schutzbedürftige Typ, auf den Sie anspringen, was?“
Frau Wenzel kam zurück, ein Baby auf dem Arm, das halblaut vor sich hin quengelte. Sie setzte sich auf das scheußliche Sofa mit den Kunstlederarmlehnen und platzierte das Baby auf ihrem Schoß, von wo aus es die beiden Fremden misstrauisch beäugte.
„Sie kriegt Zähne, deshalb ist sie so unleidlich. Hoffentlich bleibt Luca jetzt endlich im Bett und weckt Vivian nicht auch noch auf. Sie wollten mich sprechen? Entschuldigung, möchten Sie etwas zu trinken? Ich könnte Tee -“
„Nein danke“, hinderte Spengler sie am Aufstehen. „Frau Wenzel, wir haben eine schlechte Nachricht für Sie.“
Sie seufzte. „Hat er sich geprügelt?“
„Wer? Ihr Mann?“
„Ja. Er hat doch freitags seinen Stammtisch, und wenn er zu viel getrunken hat, wird er leicht aggressiv. Da müssen bloß ein paar Bayernfans auftauchen.“
„Ob er sich geprügelt hat, wissen wir nicht“, fuhr Spengler fort, „aber wir haben ihn heute Abend gefunden. Ihr Mann ist tot, Frau Wenzel.“
Sie hörte auf, ihr Baby zu streicheln. Sie erstarrte mitten in der Bewegung und ihre Augen wurden groß. Joe spürte einen Kloß in der Kehle. Sie war noch so jung, fast noch ein Mädchen!
„Tot“, murmelte sie – keine Frage, sondern eine Feststellung.
„Tot... ein Unfall?“
„Wohl eher nicht. Er scheint erstochen worden zu sein. Ich weiß, das ist jetzt ein Schock für Sie, Frau Wenzel, und es kommt Ihnen sicher sehr rücksichtslos vor, wenn wir Sie sofort mit Fragen belästigen, aber je eher wir den Mörder haben...“ Sie machte eine müde Handbewegung und gab dem Baby die Brotkruste zurück, die ihm aus der Hand gefallen war. „Nein, fragen Sie nur. Ich kann mir bloß nicht vorstellen, wer -“
„Hatte Ihr Mann Feinde?“
Sie zuckte die Achseln. „Ich glaube nicht. Er war nicht bei allen Leuten beliebt, weil er sich gerne mit anderen angelegt hat, aber so arg war das alles nicht. Nein, richtige Feinde bestimmt nicht.“
Joe notierte sich das.
„Haben Sie ein Handy?“
„Ja, natürlich. Soll ich´s holen?“
„Bitte. Ich nehme gerne solange die Kleine. Wie heißt sie denn?“
„Zoë.“ Sie reichte ihm das Baby, das ihm gastfreundlich die durchweichte Brotkruste hinhielt und etwas brabbelte, das wie Babapp klang.
„Hat sie jetzt Papa gesagt?“, staunte Joe.
„Hat sich fast so angehört.“ Spengler wirkte richtig gerührt. Frau Wenzel kam mit dem Handy zurück. „Hier. Der Akku ist fast leer, aber es ist eingeschaltet.“
Sie nahm ihr Baby wieder an sich. „Sie kann ja schon sprechen“, lobte Joe. Als sie das Baby hochhob, rutschten ihre weiten Ärmel zurück, und was er da sah, gefiel ihm nicht.
„Eher plappern“, korrigierte Frau Wenzel. „Was hat sie denn gesagt?“
„Papa.“
„Ja, das sagen alle als erstes, glaube ich. Der P-Laut scheint leicht zu bilden zu sein. Das haben Luca und Vivian auch als erstes gesagt. Das heißt nicht, dass sie sehr an ihrem Vater hängen. Er ist selten da und kann mit so kleinen Kindern auch nicht viel anfangen. Konnte, muss ich jetzt wohl sagen.“ Sie schluckte. Spengler, der an dem Handy herumgedrückt hatte, sah auf. „Sie benutzen das Handy selten?“
„Nein, ich brauch´s ziemlich oft sogar. Warum?“
„Die letzte SMS haben Sie Anfang März verschickt.“
„Ja, SMS mag ich nicht, das dauert immer so lange. Ich hab das Handy eigentlich nur, damit ich erreichbar bin und im Notfall selbst schnell jemanden erreichen kann. Babysitter, meine Mutter, meine Schwägerin -“
„Ihren Mann...“
„Nein. Der mag es gar nicht, wenn ich ihn anrufe. Ich störe ihn doch bloß bei der Arbeit oder im Gespräch mit seinen Freunden.“
„Ich sehe gerade, Sie haben nicht einmal seine Nummer gespeichert.“
„Ja, wozu auch?“
Spengler notierte sich die gespeicherten Nummern und gab das Handy zurück. „Danke schön. Für den Moment war´s das, denke ich. Haben Sie jemanden, der heute bei Ihnen bleibt? Damit Sie nicht ganz alleine sind?“
Sie zuckte die Achseln. „Die Kinder. Und wenn das nicht reicht, kann ich ja noch meine Schwägerin anrufen. Die weiß es noch gar nicht, oder?“
„Nein. Die Schwester Ihres Mannes?“
„Ja. Sabine. Die Nummer haben Sie ja.“
Spengler ließ sich die Adresse geben: Benediktsweg – in Mönchberg.
„Dann schauen wir mal bei Ihrer Schwägerin vorbei.“
In der Tür drehte Joe sich noch einmal um und sagte: „Mein Beileid.“
Frau Wenzel lächelte trübsinnig. „Danke schön.“
Freitag, 15.4.2005: 21:00
Ferdi hatte die Wohnung wirklich herunterkommen lassen, ärgerte sich Marc, als er die so genannte Abstellkammer ausräumte. Anscheinend hatten hier alle alles hineingestopft, was sie gerade nicht mehr brauchten. Er hatte sicherheitshalber Ferdi angerufen – aber der hatte nur gesagt: „Schmeiß das Zeug weg, ich bin sicher, die anderen brauchen es auch nicht mehr. Sonst hätten sie´s ja wohl mitgenommen, oder?“
Er ärgerte sich jetzt noch, wenn er daran dachte, dass er sich fast demütig bei Ferdi für diese Erlaubnis bedankt hatte. Verflixt, es war doch schließlich seine Wohnung! Er hatte Ferdi und seine verschlampten Freunde nur hier wohnen lassen, so lange er die Wohnung selbst nicht brauchte.
Ein Zeug lagerte hier... Er stopfte einen großen Müllsack voll mit halbleeren Flaschen mit Sonnenmilch, Schuhputzlotion, dubiosen Putzmitteln, stapelte Zeitschriften in einen Korb für das Altpapier und dachte an Ferdis Mitbewohner. Die meisten hatte er ja nur noch flüchtig kennen gelernt – Ferdi hatte ihm bei der Abreise nach London flüchtig