nur noch ein weiteres Zimmer. Joe schätzte die Wohnung auf insgesamt knapp fünfzig Quadratmeter. Und der Bruder hatte mehr als Doppelte – gut, die waren auch zu fünft.
Das Schlafzimmer war genauso streng eingerichtet wie das Wohnzimmer – ein weißer Einbauschrank, ein weißes Bett, das nicht in der Mitte stand (typisch alte Jungfer, dachte Joe und tadelte sich selbst dafür), höchstens einszwanzig breit, weiße Wände, weiße Vorhänge, eine einfarbig dunkelgraue Tagesdecke aus zugegebenermaßen teuer aussehendem gesteppten Stoff – und das Bild.
Es war eher klein, vielleicht vierzig mal sechzig, und zeigte auf cremefarbenem Grund dicke schwarze Linien, die in der oberen linken Ecke wild verknäuelt waren und sich dann auf ihrem Weg in die gegenüberliegende Ecke entwirrten. Einige wurden gebündelt, einige ordentlich miteinander verflochten, manche endeten in einem dicken roten Punkt; die übrigen liefen zunehmend parallel bis in die rechte untere Ecke, wo sie gesittet aus dem Bild verschwanden. Joe fand das Bild blöd und ertappte sich bei dem Gedanken, das könne er auch. Spengler baute sich vor dem Bild auf und betrachtete es schweigend. „Haldenberger?“, fragte er dann.
„Heldenberg“, korrigierte Sabine Wenzel. „Gerrit Heldenberg.“
„Schreiben Sie das auf, Schönberger. Heldenberg. Lösung – oder Lösungen?“
„Lösung. Gefällt es Ihnen?“
„Es beschreibt unsere Arbeit“, antwortete Spengler und drehte sich um. „So, wie sie laufen sollte, jedenfalls. Im Moment befinden wir uns leider noch hier.“ Er zeigte auf das Knäuel. „Ich hoffe, es gibt Drucke davon. Oder wenigstens ein Poster.“
Freitag, 15.4.2005: 22:30
Dieser Arsch! Wütend knallte Cora den Hörer auf die Gabel. Wo steckte er bloß? Wenn er sie wieder angelogen hatte, konnte er beim nächsten Mal was erleben! Noch mal würde sie ihn nicht anrufen. Nicht einmal seine Mailbox ging dran. Und zum siebten Mal musste sie sich Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar nicht anhören.
Überhaupt hatte sie die Faxen allmählich satt. Er kam, wann er wollte, ging, wann er wollte, machte, was er wollte – und erzählte ihr, wie furchtbar seine Frau war, wie sehr sich gehen ließ und dass er sie schon seit fast zwei Jahren nicht mehr angerührt hatte. Dann schaute er wieder wie ein kleiner Junge, den niemand lieb hatte, und sie ließ sich erweichen, dumme Kuh, die sie war. Der würde sich nie scheiden lassen. Mittlerweile war ihr das auch klar; ihre Freundinnen hatten es ihr ja von Anfang an gesagt – aber sie hatte geglaubt, Achim sei anders. Er wirkte so aufrichtig, so gar nicht ausgekocht.
Im Bett war er freilich gar nicht wie ein kleiner Junge – da war er toll. Ihm fiel immer wieder etwas Abgedrehtes ein, manchmal sogar Dinge, vor denen sie im ersten Moment zurückschreckte, aber dann war es doch immer wieder grandios, wie er ihre Grenzen erweiterte.
Trotzdem! Sie schleuderte ein Kissen an die Wand und traf die Vase mit den Rosen, die sie sich selber gekauft hatte – Achim dachte ja nie an so was. Das Wasser tropfte auf den Teppich. Auch das war Achims Schuld. Alles war seine Schuld! Aber jetzt war Schluss. Endgültig. Superhengst hin oder her – hatte sie das nötig? Er behandelte sie ja wie irgend so ein Flittchen, nur fürs Bett und dumme Sprüche. Sie trocknete den Teppich, zerriss Achims Foto, nachdem sie es noch einen Moment lang betrachtet hatte, und warf die Fetzen ins Klo. Darauf pinkeln müsste man! Sie setzte den Gedanken in die Tat um und fühlte sich geringfügig besser. Und um Achim endgültig zu eliminieren, löschte sie auch noch seine Nummer aus dem Handyspeicher. So!
Scheißkerle. Ab jetzt würde sie sich um ihren Job kümmern. Und darum, die Kohle so richtig zu scheffeln. Verdammt, sie war jung, sie sah gut aus, sie war erstklassig in ihrem Job – und wenn ein Idiot wie Achim sie nicht mehr um ihre Konzentration brachte, war verdammt noch mal noch alles drin.
Sie baute sich im Bad vor dem Spiegel auf und zupfte an ihrer blonden Mähne. Mein blondes Gift... hatte Achim gerne gesagt. Wohl aus einem Film geklaut, ein großer Leser war er schließlich nicht.
So konnte sie aber nicht Karriere machen – schließlich hatte sie erst vor kurzem Die Waffen der Frauen mal wieder im Fernsehen gesehen, an einem Abend, an dem Achim sie wie so oft versetzt hatte. Und im Moment sahen ihre Haare aus wie bei Melanie Griffith – vorher. Sie holte ihre Nagelschere.
Freitag, 15.4.2005: 23:00
Joe schloss die Bürotür, während sich Spengler schon in seinen Schreibtischstuhl fallen ließ. „Puh...! was für ein Wochenendauftakt. Jetzt können wir wohl die nächsten Tage abschreiben.“
Joe brummte. „Und wir müssen diese andere Frau finden, von der die Saufkumpane gesprochen haben. Cora Irgendwas. Die Sexgöttin.“
„Muss nicht sein“, wehrte Spengler ab. „Solche Kerle übertreiben ja gerne ein bisschen. Und dieser Achim scheint mir schon ein kleiner Angeber gewesen zu sein. Spielt in der Kneipe den großen Macker, und was war er in Wirklichkeit? Von den Eltern in eine Ehe gedrängt, zu blöde, um zu verhüten (obwohl die Kinder ja niedlich sind, was man so gesehen hat), fährt einen angeberischen japanischen Möchtegernporsche, weil´s für den echten nicht reicht -“
„Und lässt sich auch noch erstechen“, vollendete Joe.
„Genau. Der war doch ein Würstchen! Ein Möchtegernplayboy. Und seine heiße Cora ist wahrscheinlich eine ganz normale junge Frau. Ich verstehe bloß nicht, was die an ihm gefunden hat... der arme Hund ist zwar tot, aber das macht ihn mir nicht sympathischer. Na, egal, also – morgen. Was liegt morgen alles an?“
„Das Alibi von Iris Wenzel erfragen“, schlug Joe vor.
„Ja. Schreiben Sie´s auf. Ach ja, wir brauchen eine Magnettafel. Waldmann hat unsere geklaut, für seinen komischen Pyromanen. Gucken Sie, ob Sie die von der Kerner kriegen können, oder machen Sie dem Hausmeister Beine.“
„Morgen ist Samstag“, merkte Joe vorsichtig an.
„Ja, Scheiße. Klauen Sie die von der Kerner – oder die große aus dem Besprechungsraum. Gut... dann brauchen wir mehr Leute. Mindestens noch einen oder eine – genau! Die Malzahn. Rufen Sie sie morgen früh an, ja? Vor acht, um acht machen wir hier weiter. Aber es reicht, wenn sie um neun hier ist.“
Joe seufzte. Anne Malzahn war fast so groß wie er, eisern durchtrainiert und sehr auf ihr geheiligtes Wochenende fixiert. Die würde ihm was husten! „Nicht feig sein“, mahnte Spengler und grinste. „Fressen wird sie Sie schon nicht. Schieben Sie ruhig alles auf mich.“
„Bei Ihnen traut sie sich ja nicht. Sie wird mich prügeln.“
„Dann checken wir das Alibi von der Schwester, befragen die Nachbarn, das kann die Malzahn machen, suchen diese Cora, da müssen wir die Kumpels noch mal drankriegen... Ich möchte ja mal wissen, wo das Handy hin ist...“
„Zerstört“, sagte Joe, während er eifrig schrieb. „Ist doch klar, damit wurde er in den Hof gelockt. Ich hätte das Handy jedenfalls hinterher mitgenommen und vernichtet, damit mir keiner auf meine Nummer kommt.“
„Ich hätte mir ein billiges Handy mit Prepaid-Karte gekauft, das hätte auch gereicht. Verflixt, wir bräuchten die Nummer von Wenzels Gerät, vielleicht können wir es orten!“ Joe notierte das. „Und den Arbeitsplatz, vielleicht hatte er auch Ärger mit den Kollegen...“
„Ja, aber da können wir erst am Montag hin, vorher ist da wohl auch keiner. Wenigstens fragen können wir morgen, wo er gearbeitet hat. Lassen Sie´s gut sein, Schönberger, wir gehen jetzt heim. Morgen in alter Frische.“
Samstag, 16.4.2005: 07:45
Joe setzte sich seufzend an seinen Schreibtisch. Ihm dröhnte jetzt noch das Ohr von Anne Malzahns Schimpftirade – sie hatte nach München fahren wollen – einiges einkaufen und schick essen, hinterher ins Kino, und stattdessen sollte sie Klinken putzen? Samstags? Wo man die Leute entweder aus dem Schlaf riss oder sie am Großeinkauf