Tobias Fischer

Veyron Swift und der Orden der Medusa: Serial Teil 2


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erwiderte ihren Blick mit einem zaghaften Lächeln. Doch auf einmal wurde sie kreidebleich und begann zu zittern. Jane brauchte einen Moment, bis sie begriff, dass die Prinzessin durch sie hindurch starrte, genauer gesagt, an ihr vorbei. Jane wandte sich um und glaubte fast, ihr Herz bleibe stehen.

      Soeben starrte sie in das Antlitz einer Bestie.

      Das Ungeheuer stand vielleicht ein gutes Dutzend Meter entfernt, hatte den nahezu einen Meter großen, wolfsartigen Schädel über das Wasser gebeugt und schlapperte gierig. Das ganze Biest, mit seinem graubraun gemusterten Pelz, war samt dem kurzen, dicken Schwanz knapp fünf Meter lang, die Schultern ragten über zwei Meter auf. Jeder Löwe, jeder Tiger, ja sogar der größte aller Bären, wurde von diesem Geschöpf regelrecht verzwergt. Obwohl das Untier wie ein überdimensionaler Wolf aussah, waren die Ohren klein und rund wie die eines Bären. Seine messerscharfen, dicken Zähne konnten jede Beute auseinanderreißen und selbst die dicksten Knochen zerbrechen. Ungewöhnlich fand Jane nur die Pfoten. Anstelle von Krallen oder Zehennägeln, lief das Monster auf vier gebogenen Hufen.

      »Ein Fenriswolf – das schlimmste fleischfressende Ungeheuer der Welt«, wimmerte Iulia. Ganz langsam und vorsichtig erhob sich Jane, zog sie Prinzessin mit auf die Beine. Noch hatte die Bestie sie nicht bemerkt, löschte nur gierig seinen Durst. Jane fielen der große dreisitzige Sattel und die zahlreichen Beutel und Taschen auf, mit denen das Tier behängt war.

      »Es ist domestiziert«, erkannte sie. Wer mochten nur die die Besitzer eines solchen Ungeheuers sein?

      Schließlich zeigten sie sich. Drei Schrate kamen die Uferböschung herunter gelaufen. Auf den ersten Blick wirkten sie menschenähnlich, mit krummen Beinen und ebenso krummen Rücken. Anstelle von Fingernägeln besaßen sie Klauen. Ihre Gesichter waren grausam entstellt, die Nasen krumm oder platt, die Augen gelb und giftig, die schwarzen Haare lang und fettig, die großen, spitzen Ohren zerfetzt. Bei zweien wies die Haut einen ungesunden schwefelgelben Farbton auf, beim Dritten war sie grau und fleckig, von Ekzemen und eitrigen Blasen übersät.

      Iulia konnte sich nur mit Mühe zusammenreißen, um nicht laut zu kreischen. Jane schlich so leise wie sie konnte, rückwärts und zog die Prinzessin mit sich. Die Schrate hatte sie nicht entdeckt, packten ihr vielfach größeres Ungeheuer am ledrigen Zaumzeug und zwangen es in die Knie, um auf den hohen Rücken zu klettern. Gar keine leichte Übung, bei einem Monsterwolf, der so groß und schwer war wie ein ausgewachsenes Nashorn.

      »Sie haben mich gefunden, sie haben mich gefunden«, heulte Iulia. »Den ganzen Weg von Gloria Maresia bis hierher sind sie mir gefolgt. Jetzt haben sie mich. Das ist unser Ende.«

      Jane verstand nicht, was die junge Frau damit meinte. Aber sobald die Schrate sie entdeckten, wäre es vorbei. Sie bückte sich und hob ein paar größere Steine auf. Noch immer waren die Unholde damit beschäftigt, auf den Sattel zu klettern. Kaum saßen sie oben, erhob sich der Fenris behäbig und trottete am Ufer entlang. Er fuhr mit seinem mächtigen Schädel herum und witterte etwas in der Luft. Im Nu richteten sich seine kleinen, orangen Augen auf Jane und Iulia. Seinen Reitern war die frische Beute nun ebenfalls aufgefallen.

      »Na, was haben wir denn da?« krakelte der erste Fenrisreiter. »Der Boss hat recht gehabt, das Flittchen hat sich bei den dreckigen Elben versteckt. Zu dumm, zu dumm!«

      Seine beiden Kameraden beugten sich nach vorn.

      »Unsere entlaufene Prinzessin, mitsamt einer leckeren Freundin«, grölten sie und lachten boshaft. Zumindest hielt Jane diese abscheulichen, würgenden Geräusche für ein Lachen.

      Wieder ganz die Polizistin, packte sie Iulia und schob sie hinter sich. Den Fenris und seine drei furchtbaren Reiter interessierte das allerdings kaum. Für sie war Jane ein ebenso leichtes Opfer wie Iulia.

      »Rennen Sie, Prinzessin! Rennen Sie um Ihr Leben«, rief Jane, schleuderte einen der Steine nach dem ersten Schrat. Sie würde versuchen, diese Kreatur aufzuhalten. Dass sie das nicht einmal einen Moment lang schaffen und obendrein mit ihrem Leben bezahlen würde, kam ihr nicht einmal in den Sinn. Sie war Polizistin! Ihr Job war es, andere zu beschützen, wenn Gefahr drohte.

      Mit einem dunklen Grollen machte der Fenris einen Satz nach vorne. Jane erstarrte. Sie glaubte ihr Leben in einer Art Film am Auge vorbeirauschen zu sehen. Doch noch war sie nicht tot, noch hatte sie die Bestie nicht erreicht.

      Etwas sauste pfeifend an ihrem Ohr vorbei, erwischte den Fenris zwischen den Augen. Mit einem plötzlichen Aufbäumen brach das Monster auch schon zusammen und warf die Schrate ab, die erschrocken kreischten. Jane war für einen Moment wie gelähmt, dann erkannte sie, dass es ein langer Pfeil gewesen war, abgeschossen von Faeringel, der gut und gerne fünfzig Meter hinter ihr stand.

      Die Schrate wurden jetzt erst richtig lebendig. Sie fluchten auf einer garstigen, würgenden und krächzenden Sprache, zückten Dolche und Schwerter, stürmten auf Jane zu.

      Sie schleuderte ihre Steine, einen nach dem anderen, traf den ersten Schrat hart an der Stirn. Mit einem Quieken ging er zu Boden und fasste sich heulend an den Schädel. Die anderen beiden hielt das nicht auf. Ein weiterer Pfeil Faeringels fällte den nächsten Angreifer. Schrat Nummer Drei stürzte sich dagegen mit besinnungsloser Wildheit auf Jane. Sie wich seinem Hieb blitzschnell aus, trat ihm in den Bauch und hielt ihn auf Distanz. Der Unhold fauchte, brüllte, geiferte. Mit mordgierigen, gelben Augen griff er erneut an, den krummen, rostigen Dolch fest in der Rechten.

      »Dir zeig ich’s, Weib! Ich schlitz dich auf, ich schneid dir die Kehle durch!« kreischte er, stach mit seinem Dolch nach Jane. Ein Pfeil von Faeringel, mitten in die Stirn, machte auch diesem Kerl den Garaus.

      Der letzte der Schrate nahm ein kleines Horn vom Gürtel und prustete hinein. Heraus kam ein scheußlicher Ton, der weithin durch das Tal hallte. Bevor er ein zweites Mal hineinstoßen konnte, durchbohrte einer von Faeringels Pfeilen seine Kehle. Der Schrat schlug wild um sich, mit einem scheußlichen Gurgeln verstummte er schließlich.

      Veyron, Tom und Faeringel kamen angelaufen, begutachteten die vier toten Monster. Iulia fiel Tom zitternd um den Hals, klammerte sich an ihm fest.

      »Sie haben mich gefunden, sie haben mich gefunden«, schrie sie in entsetzlicher Panik, wieder und immer wieder.

      »Ein leibhaftiger Fenriswolf!« schimpfte Faeringel voller Entrüstung. »Wie frech und dreist müssen die Schrate geworden sein, wenn sie sich in diese Gegenden wagen, nur ein knappes Jahr nach der Schlacht bei den Messerbergen!« Er gab dem toten Ungeheuer einen verärgerten Tritt.

      »Die sind nicht zufällig hier, sie wurden ausgesandt, um uns aufzuhalten«, meinte Veyron. Er warf Tom einen besorgten Blick zu.

      Der Junge begriff sofort, was sein Pate meinte.

      »Consilian«, erkannte er flüsternd. Veyron nickte.

      Iulia schüttelte dagegen verzweifelt den Kopf, als sie das hörte.

      »Nein, das kann nicht sein. Ihr müsst Euch irren. Consilian ist ein ehrbarer Mann, er würde sich niemals mit diesen Unholden einlassen!«

      Lautes Bellen und schauriges, dunkles Heulen aus dem Wald beendete die Diskussion, noch ehe sie richtig begonnen hatte. Weitere Fenrisse!

      »Wir müssen hier weg. Los, den Flusslauf entlang! An diesem breiten Strand sind wir eine zu leichte Beute«, entschied Faeringel. Sie liefen zurück zu ihrem Lager, packten die Rucksäcke und Veyrons Reisetasche. Anschließend hieß es die Beine in die Hand nehmen. Faeringel rannte voraus, gefolgt von Iulia, Jane und Tom. Veyron bildete das Schlusslicht. Sie mussten in Bewegung bleiben, um möglichst großen Abstand zu den Ungeheuern zu wahren und notfalls durch Davonschwimmen zu entkommen.

      Etwa hundert Meter vor ihnen tauchte ein Fenris oben auf einem großen Felsen auf, der senkrecht aus der Uferböschung aufragte. Faeringel spannte sofort den Bogen, tötete das Monster mit einem gezielten Schuss ins Herz. Die Bestie stürzte in den Fluss, riss seine drei Reiter mit sich. Der tote Fenris begrub sie unter sich.

      »Die sind hin! So ein Mesonychid wie dieser Fenris, wiegt über eine Tonne«, wusste Veyron. Die fünf liefen weiter, vorbei an dem halb im Wasser versunkenen Fleischberg. Tom