Kathrin-Silvia Kunze

Der Kampf der Balinen


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Deshalb beobachtete Tiria jetzt auch nur aus der Entfernung, gespannt aber still, was als nächstes geschehen würde. Lethon ging den Tieren entgegen. Er wusste, dass die Festvorbereitungen hinter ihm sie nervös machen könnten. Das vorderste Tier, er hielt es für das Leittier, blieb stehen, noch bevor es Lethon ganz erreicht hatte. Und wie auf ein Zeichen hin, verhielt damit auch der Rest der Gruppe. Nun erkannte Lethon auch den vollen Milchbauch des Leittieres und roch die feuchten, geschwellten Zitzen. Es handelt sich also wirklich um ein Muttertier, das gemolken werden wollte und deshalb von allein die Nähe der Balinen aufsuchte. Und am Liebsten von allen, kam ein jegliches Tier zu Lethon. Ein kräftiges, gut gewachsenes Junges, drückte sich Schutz suchend an die Seite des Leittieres. Und obschon es erst in den Sommermonaten des vergangenen Jahres geboren worden sein konnte, so war es doch schon fast halb so groß wie seine Mutter. Legurenjungen wachsen wirklich ungewöhnlich schnell, staunte Lethon immer wieder aufs Neue. Dann trat er auf das große Weibchen zu und formte in seinem Geist immer wieder die Gedanken Ruhe und Frieden. Er blieb auf Armeslänge vor ihr stehen und streckte ihr langsam seine Hand entgegen, damit sie ihn beschnuppern konnte. Dabei blies ihre feuchte Nase warme Atemluft in seine Hand, was sich sehr angenehm anfühlte. Gerade im Umgang mit den Leguren waren Lethons Fähigkeiten wirklich hervorstechend. Denn aus welchem Grund auch immer, waren die Leguren gegenüber den Balinen recht argwöhnisch. Nicht alle des Volkes vermochten eine beruhigende Wirkung auf diese Tiere auszuüben. Dabei wurden die Leguren ihrerseits von allen Balinen aufgrund ihrer Art und Erscheinung seit je her ganz besonders geschätzt. Und das nicht nur wegen ihrer äußerst schmackhaften und bekömmlichen Muttermilch. Diese war etwas ganz besonders Gutes und ließ sich ebenso zu fetter Sahne als auch zu würzigem Käse verarbeiten. Nachdem Lethon den ersten Kontakt erfolgreich hergestellt hatte, ging er kurz zurück zum Festplatz und nahm zwei große, bauchige rote Krüge aus gebranntem, mit Schlamm vermengtem Sandstein. Diese stellte er vorsichtig neben dem Legurenweibchen ab, das ruhig und geduldig auf ihn gewartet hatte. Lethon legte ihr seine Hand auf die weiche Stelle zwischen Kopf und Rücken. Dann fuhr er mit leichtem Druck den Rücken entlang, bis er die Hand an der Flanke des Tieres hinabgleiten ließ und sich dabei niederkniete, um das Tier zu melken. Wie vermutet, hatte das Muttertier zwei feuchte Zitzen. Das bedeutete, dass es zwei Jungen geboren hatte. Doch eines davon hatte scheinbar die Zeit der funkelnden Kälte nicht überlebt. Nachdem er seine Arbeit beendet hatte, schaute Lethon dem Muttertier in die klugen dunklen Augen und legte ihm sanft die Hand auf den weichen Kopf. Tiria hielt bei diesem Anblick unvermittelt den Atem an. Eine gefährliche Geste, dachte sie. Denn Lethons Arm war so den riesigen spitzen Schneidezähnen frei dargeboten. Aber Lethon erkannte an der gesamten Haltung des Tieres, dass es durchweg friedlich auf ihn reagierte. Und im Geist dachte er fest an die Worte, die seine Lippen formten: „Dein Kind wandelt jetzt zwischen den Sternen und ruht zu Füßen des Allliebenden!“ Die Augen des Legurenweibchens sahen ihn unverwandt an und Lethon war, als husche ein Glitzern des Verstehens über sie hinweg. Zum Dank für ihre Milch und zur Stärkung des Bundes zwischen ihnen und den Balinen, erhielten die Leguren Brotlaibe, welche sie genüsslich schmatzend vertilgten. Lethon und Tiria sahen lächelnd dabei zu, wie sie in Windeseile alles bis auf den letzten Brotkrumen verspeisten. Da hörten sie plötzlich aus der Ferne, wie Seline rief: „Lasst uns noch mehr Holz holen. Die Scheite müssen hoch aufgeschichtet werden, damit die Feuer bis hoch hinauf zu den Sternen leuchten. Denn wir wollen unseren Brüdern und Schwestern auf ihrer gefahrvollen Reise einen starken Segen senden!“

      22. Kapitel

      Sie hielten sich zunächst schnurgerade gen Süden und ritten damit genau auf den Wald von Melan zu. Trismon blickte verwundert zu Gleah hinüber, als er sah, wie diese mit voller Geschwindigkeit auf das dichte Grün zuhielt. Aber sein Instinkt sagte ihm, dass er den Fähigkeiten dieser Frau vertrauen konnte. Und als sie einen Augenblick später in die grünen Schatten des Waldes eintauchten, da sah Trismon, dass sich ihnen hier weit mehr Platz bot, als er erwartete hatte. Die scheinbar ewig alten, mächtigen Bäume standen zwar dicht an dicht, aber dennoch weit genug auseinander, um an ihnen vorbeireiten zu können. Kerzengerade und auf kraftvolle Art schlank, streckten sie sich in schwindelnder Höhe dem Himmel entgegen. Durch ihre wispernden, frühlingsfrisch blattbesetzten Spitzen drang das Sonnenlicht bis auf den Boden und vermischte sich dort geheimnisvoll mit vielfältigen Schattensprenkeln. Feiner, heller Sand bedeckte den ebenerdigen Grund und war mit altem raschelnden Laub und kleinen, dürren Zweigen geschmückt. Nur an einzelnen Stellen wurde diese heitere, weitläufig zu durchblickende Schönheit von Gebüsch oder gar Dornengesträuch unterbrochen. Trismon staunte nicht schlecht, denn einen solchen Wald hatte er noch nie gesehen. So törichte es auch klingen mag, dachte er, aber diesen Wald müsste man hübsch nennen, wollte man ihn richtig beschreiben. Wie ein junges, schönes Mädchen, schwärmte Trismon. Kein Vergleich zu den wilden, dunklen Nadelwäldern seiner Heimat. Auch sie wunderschön. Aber doch seit ewigen Zeiten von mächtigen Stürmen heimgesucht, die nicht selten alles dem Erdboden gleich machen. Auf dem Gerippe entsteht dann, nach Licht und Leben ringend, der neue Wald. Rau und stark und wild erhebt er sich, dachte Trismon, wie ein Mann, der sich sein Leben erkämpft. Und im direkten Vergleich miteinander, fiel es ihm auf, wirken die zwei Wälder, jeder auf seine Art, noch schöner. Trismon lächelte, denn er merkte an seinen Gedankengängen, dass es ihn berauschte, endlich wieder in einem Wald zu sein. Derweil wählte Gleah eine mittlere Geschwindigkeit, bei der die Limtaane sowohl schnell, als auch ausdauernd laufen konnten. Die dicken Muskelstränge der Tiere zeichneten sich unter ihrem Fell ab, als sie durch den Laubwald dahinjagten. Sie schienen es zu genießen, in der milden Frühlingsluft ihren Kräften freien Lauf zu lassen. Gleah musste ihrem Tier mehrfach fest ins Nackenfell greifen, damit es nicht noch schneller wurde. Und sogar Neminn, der ja schon älter war, legte eine hohe Geschwindigkeit vor. Vermutlich will er sich vor dem anderen Limtaan beweisen, lachte Trismon in sich hinein. Das Geschirr der Tiere bestand aus einem starken, breiten aber dennoch weichen Pflanzenfasergeflecht. Es war in kunstvoller Musterung geflochten und um den Nacken und Brustbereich der Tiere gegürtet, wobei es den Hals und die Vorderbeine umschloss. So engte es die Tiere nicht ein und bot den Reitern gleichzeitig eine Möglichkeit zum Festhalten und Sitzen. Und wenn die Limtaane auf freier Fläche mit voller Kraft dahinstürmten, konnten sich die Reiter gut über das Geschirr nach vorn beugen und ihre Arme in dem Geflecht verschränken. Gleah und Trismon waren schon eine geraume Zeit lang geritten, als sie eine große Lichtung erreichten. Die Bäume hatten sich von dieser freien Fläche zurückgezogen, als wagten sie nicht, den Ort zu betreten. Und so standen sie nur schweigsam drum herum, wie neugierige Beobachter. Der Boden der Lichtung war über und über mit einer dicke Schicht aus weichem, buntem Moos bedeckt. Überall auf dem dunkelgrünen Grund leuchteten winzige Moosblumen in gelb und blau, rot und braun. Ein kleiner See zierte die Lichtung. Sein Ufer war nicht bewachsen und es sah aus, als wäre der See in die Lichtung gestampft worden. Als hätte ein unvorstellbar großer Limtaan einmal in das weiche Moos getreten und sein Fußabdruck hatte sich danach mit Regen gefüllt. Auf der Wasseroberfläche tanzte das Sonnenlicht in gleißend hellen Funken und setzte den See in Brand. Als Gleah schwungvoll wie es ihre Art war, von ihrem Limtaan herab sprang, sackten ihre Füße tief hinein in den weichen Grund. „So weich, als würde ich wieder wie in Kindertagen auf meinem Bett herumspringen!“, lachte Gleah. „Es fehlt nur die Ermahnung meines Vaters.“ „Kind, spring nicht auf dem Bett herum!“, ahmte Trismon nach und beide fingen an zu lachen. Dann glitt auch Trismon von Neminn herab, vorsichtiger allerdings. Das Gefühl das ihn dann unter seinen Sohlen erwartete, war sehr angenehm. „Ein wunderbarer Ort zum Verweilen!“, sagte Trismon. „Wenn es nicht noch zu früh wäre, hätten wir hier sicher ein gutes Nachtlager gehabt!“ „Aber auf diesem weichen Boden hätten wir dann morgen bestimmt verschlafen!“, lachte Gleah, griff ihrem Reittier ins Nackenfell und führte es zum Wasser. Trismon folgte ihr mit Neminn nach und freute sich dabei an jedem Schritt, bei dem man erst tief einsackte und dann wieder sanft nach oben gedrückt wurde. Während die Tiere ihre Schnauzen in das klare Wasser steckten, kniete Trismon sich hinab, um ebenfalls seinen Durst an dem kühlen Nass zu stillen. Er formte mit seinen Händen eine Schale und tauchte sie in den See. Dann führte er seine geschlossenen Hände zum Mund und schlürfte das Wasser darin geräuschvoll. Das wiederholte er mehrfach, denn auf einer Reise war es immer besser, die Wasservorräte so wenig anzutasten, wie möglich. Dann wusch er sich noch das Gesicht, öffnete dann seinen Haarknoten und fuhr sich mit den nassen Händen mehrmals durch sein Haar. Als ihm dabei