Kathrin-Silvia Kunze

Der Kampf der Balinen


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Bund getrockneter Pflanzen aus ihrem Sack und legte es auf einen Holztisch an der Wand. Daneben stellte sie ein verschlossenes, kleines, bauchiges Tongefäß. „Man schneidet sich in den Zeigefinger und hält seine Wunde gegen die eines anderen Mädchens. Dann mischt sich das Blut und von diesem Moment an ist man eine Blutsschwester.“, erklärte Wawelaa lächelnd. Aber dann blickte sie zu den kleinen, blassen, im Sterben liegenden Kindern und ihre grünen Augen wurden nachdenklich. „Ja!“, sagte sie. „Aber wehe die Feuersteinklinge ist nicht völlig sauber. Dann gelangt mitunter Gift in den Körper. Und dann kann es sogar so böse enden wie hier.“ In diesem Moment kam Tiria zurück und brachte einen großen Holzkrug voll frischer Milch und viele Holzbecher noch dazu. „Sehr gut, mein liebes Kind!“, lobte Wawelaa ihre junge Freundin. „Dann wollen wir den Mädchen mal ihr fröhliches Lachen zurückgeben!“ Begeistert sahen Seline und Tiria zu, was Wawelaa dann tat. Zunächst lies sie in den Milchkrug sonnengelben, zähflüssigen und wohl duftenden Honig aus dem bauchigen Tongefäß fließen. Danach zerkrümelte sie über die Milch die getrockneten Pflanzen. Und dabei erklärte sie: „Diese Pflanze wächst und gedeiht in größter Sonnenhitze und braucht kaum Wasser. Man nennt sie deshalb Feuerkraut. Und wir“, sagte Wawelaa während sie die Krautstückchen mit einem langen Holzstab in die Milch unterrührte, „werden jetzt Feuer mit Feuer bekämpfen!“ Einige Zeit später, saßen Seline und Tiria unten vor dem Heilgebäude auf einem flachen Stück Mauer und genossen die letzten wärmenden Strahlen der untergehenden Sonne. Sie waren gelöst und ausgelassen vor Glück. Denn nachdem sie den Mädchen Wawelaas Heilmittel vorsichtig eingeflößt hatten, konnten sie richtiggehend dabei zusehen, wie es den Mädchen mit jedem Atemzug besser gegangen war. „Wawelaas Feuertrank!“, kicherte Tiria albern und Seline lachte, einfach nur aus Freude, mit. „Sich absichtlich schneiden.“, schüttelte Seline abfällig den Kopf. „Mach dir darüber mal keine Sorgen mehr!“, beruhigte Tiria sie. „Ab morgen werden wir Lehrenden allen Kindern dazu die passende, abschreckende Geschichte erzählen können!“ Und dabei blickte sie vielsagend hinter sich. Seline nickte zufrieden, kniff aber nachdenklich den Mund dabei zusammen. Dann murmelte sie: „Deine Wawelaa ist schon wirklich etwas besonderes. Gut sie hier in unserer Stadt zu wissen!“ Nun war es an Tiria zustimmend zu nicken. Da jedoch kam ihr noch ein anderer Gedanke und sie sagte: „Weißt du eigentlich schon, was Wawelaa mir neulich über Lethon erzählt hat?!“ Seline verdrehte kurz die Augen gen Himmel und verzog den Mund dabei. Denn wie so oft, kam ihre Freundin wieder einmal auf ihr Lieblingsthema zu sprechen. Es muss mindestens schon einen ganzen Tag her sein, dass sie mir nichts mehr von ihm erzählt hat, dachte Seline spöttisch. Aber als eine wahre Freundin schwieg sie dazu und hörte sich geduldig an, was Tiria auf der Zunge brannte. „Wawelaa hat mir erzählt“, begann Tiria fröhlich ihren Klatsch und Tratsch, „dass die Gärten Melans nun noch schöner erblühen, seit Lethon dort die Schmetterlingshäuser errichtete hat.“ Seline machte große Augen und wand sich ihrer Freundin zu. Das interessierte sie nun allerdings doch! „Ja“, nickte Tiria und sonnte sich sichtlich in der vollen Aufmerksamkeit ihrer Freundin. „In diesen geschützten Bauten finden die Schmetterlinge einen warmen, trockenen Schlafplatz in der Nähe ihrer Futterblumen. Und durch feine Borsten im Inneren der Bauten“, Tiria zuckte mit den Schultern, um zu verdeutlichen, dass sie davon nichts genaueres wusste, „wird den Schmetterlingen der Pollen vom Körper gestreift. Du musst nämlich wissen“, holte Tiria jetzt so richtig aus, um zu zeigen, was sie schon alles von Lethon gelernt hatte, „die Schmetterlinge werden beim Nektarsaugen von den Blumen mit Pollen bedeckt! Ja!“, nickte Tiria wieder ihrer interessierten Freundin zu. „Und weil Lethon die Schmetterlinge noch stärker an die geschützten Bauten gewöhnen will, steht dort innen manchmal auch eine kleine Schale mit zerdrückten Früchten, oder so.“ „Und was macht man dann mit dem Pollen?“, fragte Seline. „Nun, man verwendet Blütenpollen für Heilmittel oder zur Kräftigung von Speisen.“, antworte Tiria. „Aber die Pollen der Schmetterlinge holen sich die Bienen!“ „Wie bitte?“, fragte Seline, die schon glaubte, sich verhört zu haben. „Ja!“, antwortete Tiria in ihrem nachdrücklichen Gerüchteton. „Lethon war auch darüber erstaunt. Eigentlich wollte er den Bienen die Pollen in ihre Wohnhöhle geben. Aber die Bienen haben schon vorher gemerkt, dass bei den Schmetterlingen was zu holen ist und sind in deren Bauten geflogen.“ „Und die Schmetterlinge?“, fragte Seline besorgt. „Die Bienen tun ihnen nichts. Und manchmal klettern sie jetzt schon einfach über die Schmetterlinge drüber, hat Lethon mir erzählt, als ich ihn auch sofort danach gefragt habe!“ Seline streckte die Unterlippe vor und schwieg. Sie war wirklich schwer beeindruckt. Dann sagte sie: „Honig kann man ja auch nie genug haben, denke ich.“ Tiria lachte: „Das habe ich auch gesagt! Aber Lethon hat mir erklärt, dass Schmetterlinge bei weitem nicht so viel Pollen sammeln, da sie nun mal in ihrem Verhalten ganz anders als Bienen sind. Sie sammeln ja nicht und flattern dann mit dem Bisschen, was an ihnen kleben bleibt auch noch hierhin und dorthin. Es ist zwar jetzt schon etwas mehr Pollen als früher und auch eine Entlastung für die Bienen, aber der Honig war dabei eigentlich nicht so wichtig!“ Seline blickte Tiria neugierig an und schüttelte verständnislos mit dem Kopf. „Es ging um die Gärten!“, erklärte Tiria. „Die Schmetterlinge sind gut für die Gärten. Darum ist doch auch Wawelaa so begeistert. Die Pollen der Schmetterlinge fängt Lethon nur auf, um den Bienen ihre Nahrungsgrundlage nicht streitig zu machen und um nicht weniger Honig zu gewinnen als üblich. Denn Lethon sagt, erst Bienen und Schmetterlinge zusammen bringen die Kraft der Pflanzen wirklich zur Entfaltung. Und obendrein zieren die Schmetterlinge noch den Garten, denn sie sehen selbst aus wie fliegende Blumen!“ Tirias Augen strahlten. Aber Seline konnte bei soviel Honig süßem Gerede einfach nicht länger an sich halten. Und um Tiria damit zu necken, sagte sie, in einem übertrieben begeisterten Tonfall, spitz: „Und wenn Lethon das sagt, dann muss das ja einfach stimmen!“ Tiria sah Seline verblüfft an, so als hätte man sie soeben unsanft geweckt. Doch dann fing sie an zu grinsen, wie ein ertapptes kleines Mädchen. Das Grinsen steigerte sich schnell zu einem Kichern und drohte schon sich zu einem handfesten Lachen auszuweiten. Und wie immer wirkte Tirias Fröhlichkeit auf Seline sofort ansteckend! Und so saßen die zwei Freundinnen in der Abendsonne und grinsten, kicherten und lachten abwechselnd vor sich hin. Und sie waren beide glücklich jemanden zu haben, mit dem sie so albern sein konnten!

      19. Kapitel

      Das Wesen spielte mit ihm. Es wollte ihn necken. Nie zeigte es sich ganz. Es kam näher an ihn heran, aber nur, um sich ihm dann sofort wieder zu entziehen. Immer wieder entschlüpfte es seinem Blick und versteckte sich. Es blieb unsichtbar, formlos, wie Nebel. Doch halt! Jetzt endlich schien es eine feste Gestalt anzunehmen! Endlich war es zum Greifen nah! Damtan streckte seine Hand danach aus – und erwachte! Seine Hand hatte ins Leere gegriffen. Als er die Augen aufschlug, da sah er seinen noch immer erhobenen Arm. Wie er sich der Dunkelheit des Zimmers entgegenstreckte. Damtan lies seinen Arm zurück auf das Bett fallen und fauchte vor Enttäuschung. Diesmal hatte er es fast gehabt! Er legte seine Hand über die Augen und rieb sich nachdenklich die Stirn. Was sollte dieses Versteckspiel? Und was wollte diese gestaltlose Kreatur nur immer wieder von ihm? Damtan schürzte die Lippen. Nun, er würde dieses Rätsel schon noch lösen. Damtan richtete sich auf. Er setzte sich auf den Rand seines mit Heu und Kräutern befüllten Bettes. Er trug eine lange, braune Leinenhose. Sein Oberkörper jedoch war frei, so wie immer, wenn er sich zur Nachtruhe begab. Damtan legte beide Hände vors Gesicht und versuchte sich noch einmal an den intensiven Traum zu erinnern. Jede Einzelheit konnte dabei von Bedeutung sein! Er durfte nichts übersehen. Damtan ahmte sogar das fehlgegangen Zugreifen am Ende des Traumes nach. Sein Arm schnellte nach vorn. Was hatte er dort greifen wollen? Was hatte er in den Schemen zu erkennen geglaubt? Er hielt den Arm ausgestreckt und bewegte seine Finger mit den langen spitzen Nägeln nachdenklich auf und ab. Dabei beobachtete er; wie die einzelnen Muskeln an seinem Arm sich ausprägten und auf und ab bewegten. Doch Damtan bezweifelte, dass ihm ein noch schnellerer Zugriff hier mehr eingebracht hätte. Damtan nahm den Arm zurück und fuhr sich mit der Hand ans Kinn. Denk nach, mahnte er sich selbst. Er wollte dieses Geheimnis unbedingt lösen und zwar schnell! Schon seit Tagen baute sich in ihm eine Vision auf. Wer außer Damtan hätte die Vorzeichen dafür besser zu deuten vermocht?! Er war der begabteste Empath aller Balinen. Der erwählte Empath von Felia. Darüber hinaus entstammte Damtan einer Familie, die Generation um Generation feinsinnige, zwischengeistig begabte Männer und Frauen hervorgebracht hatte. Mit Fähigkeiten, weit über