Kathrin-Silvia Kunze

Der Kampf der Balinen


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aber einschüchternden Möglichkeit, sog Trahil vor Schreck scharf die Luft ein! Doch schon im nächsten Augenblick hörte Trismon verwundert, wie der Alte plötzlich freudig rief: „Der Allliebende leite deine Schritte an diesem schönen Morgen, Seline.“ Unwillig über diese Störung sah Trismon auf. Er folgte dem Blick Trahils. Dort stand die Empathin. Trismon fiel sofort auf, wie müde und übernächtigt sie aussah und er konnte sich auch denken warum. Aber es gefiel ihm, dass sie ein schlichtes, hellbraunes Wollkleid trug, das beim Arbeiten nicht hinderte. Auch brachte es ihre grünen Augen zum Leuchten und hob den Glanz ihrer roten Locken hervor. Doch das, so befand Trismon gleich darauf wieder, war natürlich unwichtig. „Auch dir einen gesegneten Sonnenaufgang, Trahil!“, hatte Trismon sie eben noch rufen hören. Doch nun, als sie ihn erblickte, lies sie die Hand schnell wieder sinken, ganz so, als hätte sie sich an der Luft verbrannt. Sie bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick, der immer weiter abzukühlen schien. Bis sie schließlich abweisend die Lippen schürzte. Nur um dann grußlos, mit ernstem Gesichtsausdruck, davonzueilen. Trismon, der noch immer im Sand kniete, blickte ihr nach. Da hörte er Trahil neben sich seufzen. Der Alte wand sich ihm wieder zu und sagte betont freundlich: „Ich danke dir für deine Ausführungen, Trismon. Ich habe mir nun alles einprägen können.“ Bei diesen Worten deutet er mit seinem langen, schweren Holzstab, der dem von Trismon nicht unähnlich war, auf die Zeichnung im Sand. „Bitte entschuldige mich für einen Moment. Später werde ich dir unsere Stadt zeigen, wenn du es wünscht. Auch möchten sich die anderen Ratsmitglieder gerne noch weiter mit dir über die Entdeckung in NordcumMelan unterhalten.“ Noch ehe Trismon darauf antworten konnte, hatte Trahil sich bereits abgewandt. Trismon sah ihm nach. Der Alte ging den Weg, den die Empathin genommen hatte. War sie womöglich seine Tochter, fragte Trismon sich. Sie war vorhin sehr blass gewesen, mit Schatten unter ihren Augen. Das Tier letzte Nacht, hat es nicht geschafft, schlussfolgerte Trismon daraus. Mitfühlend senkte er kurz den Kopf und sah zu Boden. Da fiel sein Blick wieder auf die Zeichnung, direkt vor ihm im Sand. Das riss Trismon aus seinen Gedanken. Wütend stieß er ein Fauchen aus und war mit einem Satz auf den Beinen! Hoch aufgerichtet und berstend vor Tatendrang knurrte er: „Ich vergeude hier meine Zeit mit Tagträumerei!“ Und so etwas sah ihm sonst gar nicht ähnlich! Ärgerlich trat Trismon gegen die Zeichnung im Sand, die darob sofort verwischte. Auch habe ich doch schon alles gesagt, was ich weis, dachte er unwillig und schritt dabei unruhig auf und ab. Ich will etwas tun und nicht nur darüber reden! Trismon versuchte, sich zu beruhigen. Er blieb stehen und stemmte eine Hand in die Hüfte und fasste sich mit der anderen an die Stirn. Einige Bewohner der Stadt wurden schon neugierig und sahen zu ihm hinüber. Entnervt atmete Trismon aus. Er lies die Hand an seiner Stirn nach hinten gleiten und fuhr sich damit durch das blonde Haar. Natürlich wusste er nur zu gut, wie ungerecht diese Gedanken gegenüber Trahil gewesen waren. Von der Stadt Melan ganz zu schweigen, die ihn so freundlich empfing, seinem Anliegen Gehör schenkte und unverzüglich gehandelt hatte. Trismon plagte nun das schlechte Gewissen. Ausgerechnet in diesem Moment kam ein kleines Mädchen auf ihn zu gerannt und hielt ihm wortlos einen glänzenden, saftigen Apfel hin. Sie hatte kurze schwarze Haare und honigfarbene Augen, die ihn schüchtern anblickten. Und kaum hatte Trismon den Apfel genommen, da rannte sie auch schon schnell wie der Wind davon. Hinein in ihre Gruppe von Freundinnen, die etwas abseits standen und alles beobachtet hatten. Sie alle kicherten und flüsterten und blickten zu Trismon herüber. Dieser lächelte freundlich zurück. Und um das Spiel der Kinder mitzuspielen, verneigte er sich vor ihnen in einer eleganten Bewegung. Die Mädchen kreischten alle laut auf vor Vergnügen und rannten dann vor Verlegenheit auf und davon. Trismon grinste breit. Doch jetzt hatte er ein noch schlechteres Gewissen. Ein schlechter Mann wie du unter so freundlichen Balinen, fällte er das harte Urteil über sich selbst. Derart geläutert und Besserung gelobend, setzte Trismon sich auf ein niedriges Stück Mauerwerk, biss herzhaft in den köstlichen Apfel und wartete geduldig.

      16. Kapitel

      „Du bist zu hart zu dir selbst, mein Kind!“, sagte Trahil und sah Seline zu, wie sie dabei half, die Wegzehrung für die Boten zu bereiten. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt und war damit beschäftigt, Käse, Äpfel und Nüsse in kleine, weiße Leinentücher zu wickeln. Sie befanden sich in einem der oberen Stockwerke eines der Vorratsgebäude. Auf den großen Holztischen an der Wand lagen auch schon viele eingewachste Filzbeutel bereit. Diese würden später noch mit frischem Brunnenwasser befüllt werden. Als Seline ihm nicht antwortete, seufzte Trahil und wand seinen Blick dem Fenster zu. Es war so ein schöner Morgen und es dauerte ihn, Seline so betrübt zu sehen. Darum versuchte er noch einmal zu ihr durchzudringen. „Ich weiß“, sagte er, „dass es im Moment sehr viel für dich sein muss!“ Und diesmal erhielt er tatsächlich eine Antwort. Sehr schnell sogar, wenn auch Seline dabei nicht von ihrer Arbeit aufblickte. „Das kommt davon, wenn der Rat jemanden erwählt, der so unfähig ist, wie ich es bin!“, sagte sie trotzig und schnürte den Knoten des gefüllten weißen Leinentuches besonders fest zu. Hoffentlich bekommt der arme Bote, der diese Wegzehrung erhält, sie auch jemals wieder auf, dachte Trismon besorgt, hütete sich aber, etwas dazu zu sagen. Zur Not mit dem Feuerstein, beruhigte sich Trahil und unterdrückte bei diesem Gedanken ein Lachen. Seline jedoch war wieder völlig verstummt. Trahil schüttelte lächelnd den Kopf. Heute war sie aber ganz besonders mürrisch! „Jetzt ist es aber genug!“, sagte er ebenso streng wie liebevoll und griff sie bei den Schultern. „Kind! Du bist die Tochter, die ich nie hatte. Und ich bin sehr stolz auf dich! Wir alle sind das! In deiner mitfühlenden Art, hast du die Erwartungen des Rates in dich, auf das Schönste erfüllt. Aber du bist noch jung. Darum höre darauf, was ein alter Mann dir zu sagen hat!“ Er sah ihr liebevoll in die Augen und Seline war überrascht, als sie erkannte, wie ernst es ihm war. „Das tiefe Mitgefühl in dir, für alles und jeden. Du musst es auch für dich selbst haben!“ Seline sah in nachdenklich an und blinzelte verwundert. Daran hatte sie tatsächlich noch nie gedacht! Trahil, der Seline noch immer bei den Schultern hielt, konnte fühlen, wie ihr Körper sich merklich entspannte. Sie nickte dankbar und blickte etwas beschämt zu Boden. Dann jedoch blickte Seline plötzlich verwundert auf und fragte: „Hörst du das?“ Trahil blickte über Selines Kopf hinweg in die Ferne und lauschte. „Ich höre nichts!“, antwortete er dann und schüttelte den Kopf. „Es ist auch mehr so eine Erschütterung, die über den Boden läuft. Ein Vibrieren, das dann auch auf den Körper übergeht.“ Seline runzelte die Stirn und sagte nachdenklich: „Wie das ferne Brummen eines wütenden Fangzahns.“ Seline riss die Augen plötzlich weit auf. Und mit Angst und Schrecken rief sie: „Die Brannen! Sie kommen!“ Trahil erbleichte. Beide ließen voneinander ab und eilten zur Fensteröffnung. Sie hielten angestrengt Ausschau nach den großen Tieren, die mit ihren rundlich dicken Körpern und dem kurzen Fell in etwa so aussahen wie Limtaane. Nur, dass sie kurze Ohren hatten und nicht so stark entwickelte Hinterläufe. „Ich glaube, jetzt kann ich es auch fühlen!“, sagte Trahil besorgt. „Wie ein ganz leichtes, weit entferntes Beben der Erde.“ „Schau da!“; rief Seline plötzlich aufgebracht und wies mit dem ausgestreckten gen Süden. Trahil folgte ihrem Fingerzeig und erschrak. „Oh nein, die Kinder!“ Seline und Trahil mussten vom Fenster aus mit ansehen, wie sich dort am Stadtrand eine Gruppe von Kindern mit ihrem Lehrenden anschickte, die große Wiesenfläche zu überqueren. Offensichtlich waren sie auf dem Weg in den dahinter gelegenen Wald. „Wenn die Brannen dort vorbei ziehen, werden sie sterben, Seline.“, flüsterte Trahil mit tonloser Stimme, wie versteinert vor Entsetzen. „Seline?“, wiederholte er und drehte sich nach ihr um. Doch Seline konnte ihn schon nicht mehr hören. Sie war bereits losgerannt. „Ich muss es schaffen! Ich muss es schaffen!“, pochte der Gedanke unablässig in ihrem Kopf, als sie aus dem Zimmer hinaus, die Treppe hinunter, auf die Straße rannte. Am liebsten hätte sie sofort los geschrieen: „Die Brannen kommen!“ Doch sie fürchtete eine allgemeine Panik damit auszulösen. Und ein Tumult könnte ihr nun den Weg versperren und die so kostbare, unendlich kostbare, Zeit rauben. Deshalb blickte sie nur gehetzt um sich, denn sie suchte etwas ganz Bestimmtes. Und das Glück war mit ihr. Jetzt war der Platz noch ziemlich leer. Aber heute würden sich hier die Boten mit ihren Reittieren versammeln! Und tatsächlich. Da stand auch schon ein Limtaan. Dem Allliebenden sei Dank! Womöglich war es nicht zu spät und doch noch nicht alles verloren. Seline rannte auf den Limtaan zu. Er stand unweit von ihr, angebunden an einen Brunnen mit oberirdischem Wasserbecken. Das Tier war gerade dabei gewesen genüsslich und geräuschvoll Wasser aufzusaugen. Doch es merkte sofort,