Kathrin-Silvia Kunze

Der Kampf der Balinen


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vermochten auch nur sehr wenige wieder einzufangen, ehe er sich endlich wieder von selbst beruhigte. Doch hier und jetzt galt es, keine Zeit zu verlieren. Deshalb versuchte Seline noch im Rennen ihren aufgebrachten Geist zu beruhigen und mit freundlichen Gedanken und Empfindungen zu füllen. Dabei formte sie innerlich immer wieder die Worte: „Ich brauche deine Hilfe!“ In der Hoffnung, dass ihre Fähigkeit auch ein wenig bei Tieren wirken könnte. Der Limtaan jedenfalls blieb ruhig stehen und blickte Seline aufmerksam an. Er war sehr groß und stark und seine Muskeln zeichneten sich unter dem prächtigen schwarzen Fell ab. Ohne zu zögern griff Seline nach dem Strick, mit dem sein Brustgeschirr an einem der Brunnenpfeiler befestigt war. Mit vor Aufregung zitternden Händen löste sie den Knoten am Brustgeschirr. Dann kletterte sie auf den Rücken des Tieres und dieses wartete geduldig. „Hee!“, rief eine verwunderte Männerstimme hinter Seline. Vermutlich der Reiter des Tieres. Aber Seline war schon dabei das Tier mit mehrfachem, kräftigen Schenkeldruck zu wenden. Und nun schien es ihr auch die rechte Zeit, das nahende Unheil zu verkünden. „Die Brannen kommen!“, rief sie und trieb dabei gleichzeitig dem Limtaan die Fersen in die Seite. Das Tier machte einen großen Satz nach vorn und raste davon in Richtung Süden, auf den Stadtrand zu. Und fast so schnell, wie der Limtaan durch die Straßen rannte, bereitete sich auch die furchtbare Neuigkeit aus. Diese jedoch nicht nur in eine Richtung, sondern nach allen Seiten gleichzeitig. „Die Brannen kommen! Der Allliebende stehe uns bei! Habt ihr es auch schon gehört? Hoffentlich fallen sie nicht wieder in die Stadt ein!“ Und einige der Melanen, die sich im Süden der Stadt befanden, konnten die erwählte Empathin hören, wie sie immer wieder laut rief: „Holt die Kinder von der Wiese! Die Brannen kommen! Holt die Kinder zurück in die Stadt!“ Und Trismon, der plötzlich gesehen hatte, wie die Empathin auf einem großen schwarzen Limtaan davon gerast war und geschrieen hatte, verstand überhaupt nicht, was da vor sich ging. Er sah die aufgeregten Einwohner wild umherrennen und hörte immer wieder das Wort „Brannen“. Deshalb beschloss er ganz einfach zu fragen. Und zwar den Einzigen der, soweit Trismon es sehen konnte, nicht hektisch hierhin oder dorthin rannte. Er stand an einem Brunnen und hielt einen Strick in der Hand. Er hatte braune dichte Locken und rote Augen, die ebenso verwundert wie besorgt, der Empathin hinterdrein blickten. Trismon schlenderte auf den Mann zu und fragte leichthin: „Brannen? Was ist das?“ Der andere Mann wandte ihm nur langsam den Kopf zu, denn er konnte sich kaum trennen vom Anblick der Empathin, die in der Ferne immer kleiner wurde. Er schaute Trismon ungläubig an und sagte: „Du kennst die Brannen nicht, Fremder?“ Und Trismon antwortete: „Hoch im Norden, von wo ich stamme, kennen wir diese Tiere nicht. Mein Name ist Trismon.“, stellte er sich dem Mann etwas verspätet vor. „Ich heiße Kallenn. Und Brannen sind Tiere, die alles niederrennen, was auf ihrem Weg liegt. Sie sind groß und kommen in Scharen. Immer dann, wenn es schon früh im Jahr mild ist und ungünstige Winde wehen. Ansonsten sind sie völlig harmlose Grasfresser.“ An seinem Blick merkte Kallenn, das Trismon den Tumult ringsumher trotzdem noch für übertrieben hielt. Deshalb blickte er ihm eindringlich in die Augen und sagte: „Verstehst du denn nicht? Wenn sie erst einmal richtig in Bewegung sind, trampeln sie dich und jeden anderen einfach tot. Sie stampfen dich beim Vorbeirennen in den Boden, ohne es auch nur zu merken!“ Trismon erbleichte. Er dachte an die kleine, junge Frau, die soeben auf dem Limtaan davongeritten war. Wollte sie sich etwa diesen Tieren, diesen „Brannen“ entgegenstellen. So etwas Törichtes würde er ihr zutrauen! Ohne zu überlegen rannte Trismon los. Er setzte mit weiten Sprüngen und ausladenden Schritten, der Empathin hinter her. In NordcumMelan war er schon seit seiner Kindheit, der schnellste Läufer gewesen. Und dabei waren eigentlich alle Balinen schon recht schnell. Aber ob ich es hier überhaupt noch rechtzeitig schaffen kann, dachte er besorgt. Denn schon drang über den Boden ein leichtes Zittern. Immer stärker brandete es auf und wurde schon zu einem Schütteln. Wie ein Erdbeben, das seine Hände nach der Stadt ausstreckte. Trismon hörte, wie ringsumher Gegenstände umfielen und klirrend auf dem Boden zerschellten. Doch er versuchte, sich davon nicht ablenken zu lassen, sondern blickte nur stur geradeaus und achtet auf seinen Weg. Aber er schaffte es trotz allem nicht! Noch weit vom Stadtrand entfernt, merkte er plötzlich, wie sich der Himmel zu verdunkeln schien. Verwundert blieb er stehen und blickte auf. Melan lag plötzlich im Schatten. Denn dort kamen sie! Trismon blieb vor Staunen der Mund offen stehen und seine Augen wurden weit. Eine Welle aus großen Tierleibern hatte die Hügelkette im Osten erreicht und schwoll immer weiter an. Sie verdunkelten die Sonne, die direkt hinter ihnen am Horizont stand. Und auch wenn Trismon ein Blinzeln unterdrückte, um nichts von diesem furchteinflössenden, erstaunlichen Anblick zu versäumen, so waren die Tiere trotzdem zu schnell für das Auge des Betrachters. Denn schon hatten sie sich über die Hügel ergossen und stürzten ins Tal, um die große Grasebene vor Melan zu fluten. Werden sie wieder in die Stadt einfallen? Erst jetzt merkte Trismon, das dieser letzte Gedanke nicht von ihm gekommen war. Sondern von den vielen Bürgern, die um ihn her standen und sich besorgt etwas zuriefen. Man konnte aber kaum mehr sein eigenes Wort verstehen. Denn auch der Lärm und das Getöse, das von dem stampfenden Getrampel der Tiere herrührte, schwollen immer stärker an. Es wurde schier ohrenbetäubend! Und dann – dann war es vorbei. Die Tiere waren direkt an Melan vorbeigerast, gen Westen auf die offene Grasebene zuhaltend. Und in eben dem Moment, wo sie an der Stadt vorbei waren, war es fast sofort wieder still. Nur ein immer leiser werdendes Dröhnen war noch zu hören, das aber mehr und mehr zurückwich. Alles, was jetzt noch von dem Ansturm der Brannen kündete, war der Staub! Eine große Staubwolke hatte sich von den Hügeln aus erhoben. Sie waberte auf die Wiesenfläche hinab, um sich mit dem Staub der von der Wiese aufgewirbelt worden war, zu vereinen. Diese dichte Wand aus Staub schwebte nun langsam in die Stadt hinein. Dort lies sie sich nieder, um den südlichen Teil Melans mit einer feinen, hellbraunen Sandschicht zu überziehen. Das Beben war noch nicht ganz in der Ferne verebbt, da hörte Trismon plötzlich Freudenrufe, die sich vom südlichen Stadtrand her immer weiter ausbreiteten. Mit seinen scharfen Augen erkannte er eine Schar Kinder, die von ihren lachenden und weinenden Eltern in die Arme gerissen wurden. Und in Mitten des Getümmels, war dort eine kleine, zierliche Gestalt, mit langem rotem Haar.

      17. Kapitel

      Die Sonne war schon über ihren höchsten Punkt am Himmel gewandert, als Trahil sich endlich auf die Suche nach Trismon begab. In dem Trubel und Durcheinander dieses Morgens, hatte er den wichtigen Gast doch tatsächlich einfach vergessen! Allliebender, womöglich wartete der jetzt immer noch! „Ich werde alt!“, schimpfte Trahil, denn es plagte ihn das schlechte Gewissen. „Huch, da ist er ja, dem Allliebenden sei Dank! Juhu, Trismon!“, rief Trahil und hob die Hand mit dem langen Holzstab, um auf sich aufmerksam zu machen. „Hier drüben bin ich, Trismon!“ Doch Trismon sah ihn nicht und konnte ihn auch nicht hören. Denn er stand in einer großen, lärmenden Ansammlung. Es waren die Boten, die ihre Tiere für den morgigen Aufbruch vorbereiteten. Sie untersuchten die Augen, Nüstern, Muskeln und Krallen ihrer Limtaane, um deren Gesundheitszustand abschätzen zu können. Auch wurde das Fell noch einmal gründlich gereinigt und gebürstet. Krallen wurden geschnitten und auch das Brustgeschirr musste einer letzten Prüfung unterzogen werden. Trahil hatte Mühe, sich durch das Knäuel aus Leibern von Balinen und Tieren hindurchzuzwängen. So voll, hatte er den großen Platz vor dem Ratsgebäude, hier im Zentrum der Stadt, schon lange nicht mehr gesehen! Es war ja kaum durchzukommen! Aber Trahil hatte es fast geschafft, Trismon zu erreichen. Er sah, wie dieser sich angeregt mit jemandem unterhielt. „Hab ich dich endlich gefunden!“, schnaufte Trahil und schob dabei das gewaltige Hinterteil eines Limtaans vorsichtig ein Stück aus seinem Weg. Er lächelte Trismon zu und begann direkt munter drauflos zu erzählen. „Was für ein ereignisreicher Morgen heute, nicht wahr?“ Und ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort. „Das war ein starkes und gutes Zeichen! Die Brannen sind an uns vorbeigestürmt ohne Melan zu schaden. Das bedeutet dem Aufbruch der Boten wird Schnelligkeit und Glück beschieden sein!“ Trismon jedoch blickte skeptisch und antwortete nur knapp: „Ich verstehe nicht viel von solchen Dingen.“ Denn er glaubte nicht an so etwas wie Glück. Er glaubte an die Fügung. An den Weg, den der Allliebend einem zu Füßen legt. Aber vor allem war Trismon ein Mann, der an sich selbst glaubte und der sich auch nur auf sich selbst verlies. Dennoch wollte er Trahil nicht kränken, der ja augenscheinlich ganz begeistert davon war. Also behielt Trismon diese Gedanken für sich. Stattdessen wies er auf den großen Mann neben sich und sagte zu Trahil: „Das hier ist Kallenn. Er wird morgen nach Felia aufbrechen.“ Trahil nickte dem rotäugigen