Kathrin-Silvia Kunze

Der Kampf der Balinen


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zusammensteckten. „Ein Bote ist soeben eingetroffen. Er wünscht euch zu sprechen.“ „Jetzt?“, fragte Seline unsicher. „Ich habe den Einführungsritus noch nicht beendet.“ Seline blickte sich kurz nach hinten um und warf den Wartenden ein entschuldigendes Lächeln zu. Und wieder an Falenna gewandt fragte sie: „Ist Trahil denn nicht zugegen?“ „Der Bote kommt von sehr weit her und sagt es sei eine Angelegenheit von aller höchster Dringlichkeit. Deshalb bat er darum, das höchste Mitglied des Rates sprechen zu dürfen.“ Falenna untermalte ihren bittenden Tonfall noch mit einem flehenden Blick aus ihren großen, feurig roten Augen, die sowieso schon immer so wirkten, als wäre da eine versteckte reine Träne, in ihrem Augenwinkel. Seline wollte dennoch in dieser Sache hart bleiben. Einen ganz kurzen Augenblick konnte dieser Bote doch bestimmt noch warten. Allerdings war auch Falenna eine Empathin und gut darin Stimmungen und Gefühle zu erkennen. Deshalb half sie ihrer Bitte noch ein wenig nach, indem sie sagte: „Und bedenkt, das wir jedem Fremden unsere Ehre erweisen müssen, vor allem dann, wenn er uns um Hilfe ersucht!“ Seline seufzte ergeben. Ehrlich gesagt, konnte sie sich auch nicht daran erinnern, in irgendeinem dieser Gespräche, die sie mit Falenna geführt hatte, schon einmal gewonnen zu haben. Seline fragte sich langsam, ob das junge Mädchen nun so klug, oder aber so einfühlsam war. Oder waren es am Ende doch nur diese Augen? Also seufzte sie ergeben und sprach: „Gut. Geleite ihn in einen der Nebenräume. Ich komme dann sofort nach!“ Falenna nickte eifrig, verneigte sich dann noch einmal entschuldigend in Richtung der Wartenden und verließ so leise und rasch wie sie gekommen war, den Saal. Nachdenklich blickte Seline der jungen Frau noch einen Augenblick nach und strich sich mit der rechten Hand eine Haarsträhne aus der Stirn. Dabei vergaß sie aber völlig, dass ihr an dieser Hand noch etwas Erde klebte. Die Handfläche zumindest war danach nun wieder sauber. Aber dafür zierte nun ein graubrauner Streifen Erde ihre helle Stirn. Seline wandte sich wieder den Anwesenden zu und sprach: „Ich bitte euch um Verzeihung für diese unübliche Störung!“ Und sie schloss die Zeremonie nun mit den uralten Worten: „Der Einführungsritus ist hiermit vollzogen. Das Volk der Balinen begrüßt seinen neuen Gesteinsformer und wünscht ihm Geschick und Glück wohin auch immer seine Schritte ihn leiten mögen!“ Falronn lächelte und verneigte sich dankbar. „Wenn ihr mich nun leider bitte entschuldigen würdet?“, fragte Seline so ruhig und zuvorkommend wie möglich. „Ich muss kurz eine dringende Angelegenheit klären und komme sofort zurück!“ Ohne wirklich eine Antwort abzuwarten, eilte Seline verlegen davon. Dabei war es bis hierher eine so schöne Zeremonie gewesen, dachte sie ärgerlich. Doch ihre Sorge deswegen war hier unbegründet. Denn noch während sie den Saal verließ, nutzten Falronn, seine Eltern und der alte Keel die Gunst des Augenblicks, um sich glücklich zu umarmen. Und die Zeit wurde ihnen nicht lang. Denn sie betrachteten, besprachen und bestaunten den Gewittersturm.

      12. Kapitel

      Die Tür hinter ihm wurde geöffnet und jemand betrat den Raum. Trismon unterbrach sofort sein ruheloses auf und ab gehen und drehte sich um. Doch er traute seinen Augen nicht. Zu seiner Verwunderung stand dort eine Frau. Noch dazu war sie jung und nicht gerade von großer Statur. Trismon runzelte die Stirn. Hatte er sein Anliegen etwa nicht deutlich genug machen können? Wo waren die Obersten Männer des Rates, nach denen er so dringlich verlangt hatte? Doch dann beruhigte er sich wieder. Bestimmt will sie mir nur mitteilen, dass ich doch noch etwas länger warten muss, dachte Trismon. Jetzt wird sie mich gleich bitten, mich zu gedulden. Da jedoch, hatte Trismon weit gefehlt! „Ich begrüße euch im Namen der Stadt Melan, Fremder. Ich bin Seline, die erwählte Empathin und oberstes Mitglied des Rates. Man sagte mir soeben, dass ihr mich in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen wünscht?“ Trismon hatte größte Mühe, die Frau nicht ungläubig anzustarren. Dieses Kind? Zugegeben, er wusste gar nicht, ob er selbst so viel älter war als sie. Aber ihre ganze Art hatte etwas Kindliches. Und überhaupt. War das etwa Erde, was sie da im Gesicht hatte? Bestürzt sann Trismon darüber nach, wobei er sie wohl gestört haben mochte. Etwa bei der Arbeit im Garten? Aber in diesem Kleid? Indes merkte Seline, wie die Verärgerung unaufhaltsam in ihr aufzusteigen drohte. Für wen hielt dieser Fremde sich? Im ersten Moment als er sie gesehen hatte, war ihr seine Abneigung wie kaltes Wasser entgegen geschlagen. Leider war sie darauf in keiner Weise gefasst gewesen und hatte sich deshalb dagegen nicht rechtzeitig schützen können. Und so lastete dieses unangenehme Gefühl nun auf ihr und erschwerte ihr das Atmen. Sie wurde davon schier zu Boden gedrückt. Doch mit all ihrer Kraft stieß sie es von sich und schleuderte es weit hinten in den Raum hinein. Ich hätte es auf ihn schleudern sollen, dachte Seline und unterdrückte ein Knurren. Nun werde ich hier später Kräuter verbrennen müssen, um den Raum wieder davon zu reinigen. Dann straffte sie die Schultern und hob den Kopf. Sie blickte dem großen, blonden Mann durchdringend in seine blauen Augen. Immer noch mit Mühe, bekämpfte sie den Drang, ihm ihrerseits das Gefühl kalter Abwertung zu senden und es ihn so einmal selbst durchleiden zu lassen. Doch damit näherte sie sich einem verbotenen Bereich ihrer Fähigkeiten, den sie niemals betreten würde. Sie konnte ihre Gabe nicht missbrauchen. Selbst wenn sie es je gewollt hätte und dem war nicht so. Denn weil Seline immer und überall mit den Gefühlen aller Lebewesen verbunden war, so als wären es ihre Eigenen, fügte ihr das Leid anderer Leid zu. Deshalb wäre es für sie absolut selbstzerstörerisch, anderen zu schaden. Ganz abgesehen davon, dass sie dann keine Selbstachtung mehr hätte und ihr Leben damit für sie verwirkt wäre. Plötzlich blinzelte Seline und dachte verwundert, was nur in sie gefahren war! Seit wann dachte sie derart düstere Gedanken? Wie hatte dieser Fremde es nur geschafft, sie derart aus ihrer Ruhe zu bringen? Gut, es war falsch von ihm, sie sofort abzuurteilen ohne sie auch nur im Geringsten zu kennen. Aber wieso reagierte sie darauf so heftig? Wo war die ruhige Gelassenheit, die sie von Trahil im Laufe ihrer Ausbildung gelernt hatte? Und dafür habe ich nun die gelungene Einführungszeremonie vorzeitig verlassen, dachte Seline unglücklich. Trismon, der unter dem durchdringenden Blick der jungen Frau unbestimmt aber deutlich verspürte, das sie wohl doch nicht so schwach war, wie sie schien, überlegte seinerseits. Nun gut, sei es drum! Dann werde ich eben zuerst ihr davon berichten. Aber ich werde diese Stadt nicht eher wieder verlassen, bis ich mit den Männern des Rates sprechen konnte. Und so begann er: „Mein Name ist Trismon. Ich bin Gebietserkunder und stamme aus NordcumMelan. In einer dringenden Angelegenheit ersuche ich um Weisung. Wir haben in unserer Ansiedlung einer Entdeckung gemacht. Es handelt sich dabei scheinbar um eine Art Gebäude. Immer noch gekränkt, demonstrierte Seline zuvorkommendes Interesse gegenüber dem Fremden. Ganz so, wie es das Gesetz des Volkes eigentlich verlangte. Aber auch wenn sie ihm zunickte fortzufahren, so war sie mit ihren Gedanken schon fast wieder bei der Einführungszeremonie angelangt. „Das Gebäude liegt unter der Erde.“, erzählte Trismon weiter. Und als wenn er merkte, dass Seline nicht bei der Sache war, erhob er die Stimme und betonte nun jedes der folgenden Worte. „Und es stammt nicht vom Volk!“ Seline schüttelte irritiert mit dem Kopf und blinzelte benommen mit den Augen, um ihre Gedanken nun doch voll und ganz auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Scheinbar hatte sie sich soeben verhört. Deshalb fragte sie mit gerunzelter Stirn noch einmal nach. „Was hast du gerade gesagt,…Trismon?“ Zum Glück hatte sie zumindest den Namen des Fremden behalten. „Das Gebäude ist unterirdisch.“, wiederholte Trismon. „Nein“, sagte Seline ungeduldig, „danach.“ „Das Gebäude wurde nicht von Balinen errichtet!“ Diese Worte wiederholte der Fremde übertrieben langsam und betont. Hält er mich etwa für dumm, zuckte der Ärger einmal kurz durch Selines Gedanken, doch da war er auch schon wieder fort. Denn etwas viel Eindringlicheres hatte seinen Platz eingenommen. Die Furcht! Seline schwieg und sah Trismon nur durchdringend an, als dieser zu erklären versuchte: „Es ist, ..schwer zu beschreiben. Es ist, ..anders!“ So reglos stumm wie Seline auch dastand. In ihr überschlugen sich nun die Gedanken. Denn da war es plötzlich wieder. Dieses dumpfe Gefühl aus ihren Träumen. Diese dunkle Vorahnung. Noch wehrte sich ihr Geist gegen die eben ausgesprochenen Worte des Fremden. Kurz flüchtete sie sich sogar in den absurden Gedanken, dass dies womöglich nur eine Posse sein sollte. Am liebsten hätte Seline diesen Trismon verlacht. Wenn auch nur, um das kalte, unangenehme Gefühl, das sich nun in ihrem Magen ausbreitete, damit zu vertreiben. Doch in den klaren Augen des Mannes vor ihr, in seinem offenen Blick, erkannte sie sein ernsthaftes und pflichtbewusstes Wesen. Seine verhärteten Gesichtszüge ließen ihn älter erscheinen, als er es tatsächlich war und offenbarten die große Besorgnis, aus der sie sich nährten. Es musste ein schreckliches Erlebnis sein, erkannte Seline innerlich zitternd,