Kathrin-Silvia Kunze

Der Kampf der Balinen


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der Holzstab nun näher über dem Boden war. Und wirklich. Es dauerte nur einen Augenblick und schon rührte sich etwas in dem alten Holz. Der Stab begann mit beiden Enden auf und ab zu schwingen. Zunächst noch gleichmäßig. Dann jedoch mit größeren Ausschlägen auf der linken Seite. Voller Neugier hatten die Umstehenden Trahil bei seinem Tun zugesehen. Nun waren sie alle erstaunt und ihr aufgeregtes Raunen und Wispern schwoll an. Und mit einem Mal hörte man die belegte, verlegen klingende Stimme von Nereel, der nun auch verstanden hatte, was hier geschehen war: „Eine Wasserader!“ Trahil griff den Stab nun wieder fest und brachte ihn so zum Stillstand. Dann drehte er sich freudestrahlend um. „So ist es. Die Flüssigkeit im Holzfass hat auf den Fluss des unterirdischen Wasserlaufs reagiert und ist dabei der Strömung nach links gefolgt! Und so ist das Fass, begünstigt durch ein leichtes Gefälle, von Nereels zu Aronns Haus gezogen worden! Ihr hattet also alle Recht meine Lieben. Es war ein Missverständnis. Ein Schabernack der Natur, begünstigt durch Gefälle. Ich danke euch sehr, für eure willkommene Mithilfe.“ Die Menge jubelte. Ein jeder freute sich, dass sie alle hatten hilfreich sein können. „Bitte verzeih mir meine schlechten Gedanken.“, wandte Nereel sich nun zerknirscht an Aronn. Aber dieser beschwichtigte sofort: „Wer hätte das den auch ahnen können.“ Zwischen den zwei Freunden herrschte wieder tiefes Einverständnis. Aber Trahil wollte sie nicht so leicht davonkommen lassen. Auch im Hinblick auf ein gutes abschreckendes Beispiel für die vielen Anwesenden. „Du hast die Wut für dich sprechen lassen Nereel.“, begann Trahil deshalb. Ruhe bewahren ist das Allerwichtigste. Dann nachdenken und das Für und Wider abwägen. Und dann erst handeln! Aber die Schuld trifft nicht nur dich. Auch Aronn hätte versuchen müssen, mit dir zu reden. Vermutlich bist du wegen dem Fass schon länger nicht mehr freundlich zu ihm gewesen wie sonst.“ Aronn blickte etwas verwundert, denn bis jetzt hatte er sich hier nur als Opfer gesehen. „Ja.“, legte Trahil nach und sah Aronn dabei an. „Der Allliebende hat uns die Fähigkeit des Sprechens geschenkt, damit wir über alles miteinander reden und so in Harmonie zusammen leben können. Wo würden wir hinkommen, wenn jeder seine Probleme und Streitigkeiten so handfest lösen wollte wie ihr zwei?“ Welche Strafe wählt ihr also für euch selbst?“, stellte Trahil nun die entscheidende Frage. Ganz so, wie es beim Volk der Balinen schon seit jeher der Brauch war. Nereel erhob sich vom Boden und stellte sich, die Schultern durchgedrückt und das Kinn vorgestreckt, kerzengerade hin. Und voller Stolz sagte er: „Ich möchte mich zunächst entschuldigen. Bei dir mein Freund“, mit diesen Worten reichte er Aronn die Hand und zog ihn zu sich hoch. „Aber auch bei allen anderen hier, die unserer Auseinandersetzung beiwohnen mussten. Sollten Schäden an den Gebäuden entstanden sein, werde ich diese beheben. Und dir Aronn“, mit diesen Worten wand er sich seinem Freund zu, „biete ich an von nun an von meinem Milchfass zu nehmen. Es wird wohl sowieso die meiste Zeit bei dir stehen“. Alle Umstehenden lachten. „Das ist sehr großzügig von dir mein Freund“, lachte auch Aronn und klopfte Nereel auf die Schulter. „Und ich helfe dir die Schäden zu beheben. Und ich bringe dir von nun an auch immer einen der köstlichen Milchkuchen, die meine Frau immer aus deiner gut gelagerten Milch backt.“ Wieder lachten alle laut auf. „Sehr gut!“, lobte Trahil laut, damit auch alle Anwesenden es hören konnten. Ich bin zufrieden mit euch. Aber achtet von nun an darauf das klärende Gespräch jeglicher Gewalt vorzuziehen. Arbeitet vor allem an eurer Fähigkeit, Ruhe zu bewahren. Denn vergesst eins nicht: „Gewalt ist das Mittel der Unfähigen!“ Und mit einem warnenden Glitzern in den Augen fügte Trahil vorsichtshalber noch hinzu: „Sollte ich daher noch einmal so etwas wie eben von euch hören oder gar sehen müssen, stecke ich euch mit zu den Kindern zurück in die Lehrübungen. Da bleibt ihr dann solange, bis ihr Meister der Sanftmut geworden seid.“ Alle Umstehenden bogen sich schadenfroh vor lachen. Nur Nereel und Aronn sahen Trahil ernst an und nickten stumm. Doch innerlich hätten sie gar nicht glücklicher sein können. Was keiner von ihnen mehr zu hoffen gewagt hatte, war geschehen. Sie hatten sie wieder errungen, ihrer beider Freundschaft!

      8. Kapitel

      Es war bitterkalt. Der eisige Wind wirbelte die Schneeflocken umher, als vollführten sie einen wilden Tanz. Wenn auch schon die Zeit des ersten Grüns begonnen hatte, so hielt der Winter NordcumMelan noch fest in seinem Griff. Oft brach er nach der ersten Schneeschmelze noch mehrfach und mit großer Wucht über die Siedlung herein. Und auch in diesem Frühjahr hatte der lang ersehnte, willkommene Anblick des dunklen, Leben spendenden Erdreichs nicht lange vorgehalten. Alles lag nun wieder unter einem Tuch aus kaltem Weiß begraben. Und heute war es ganz besonders ungemütlich. Man vermochte kaum die Hand vor Augen zu sehen. Dennoch suchte sich in dem Schneetreiben eine dick vermummte Gestalt ihren Weg durch die Siedlung. Sie bewegte sich zielstrebig, aber auch langsam, fast schleichend. Oft suchte die dunkle Gestalt dabei schützende Hauswände oder Holzstapel auf. Beinahe so, als wollte sie verhindern entdeckt zu werden. Von kleiner, schlanker Statur, musste sie ihren Körper aber auch richtig gehend in den von vorne anstürmenden Wind hinein legen. Fast schien es so, als wollte der Wind selbst, die Gestalt daran hindern, ihr Ziel zu erreichen. Er drückte sie zurück, riss an ihrer Kleidung und schaffte es für einen Augenblick sogar, ihr die dicke baumwollene Kopfbedeckung nach hinten zu wehen. Sofort ergoss sich ein Schwall rotbrauner, lockiger Haare darunter hervor. Die dicken Strähnen tanzten im Wind auf und ab. Das Gesicht eines kleinen Mädchens, mit roten, großen Raubtieraugen, blasser Haut und ernsten, schmalen Lippen, trat zum Vorschein. Schnell drehte das Mädchen sich um, in den Wind hinein. Sie setzte die Kopfbedeckung wieder auf und band sie diesmal nicht mit einer Schleife, sondern mit einem Knoten fest. Nachdem sie mit eisigen Fingern ihre dicken Locken unwillig wieder zurück unter die Kopfbedeckung gestopft hatte, vergrub sie ihre halb erfrorenen, kleinen Finger schnell wieder im dicken Umhang. Und kaum hatte das Mädchen sich wieder zurückgedreht, um ihren Weg fortzusetzen, da sah sie es schon. Das rote Leuchten. Vor ihr. Nicht mehr weit entfernt. Als sie näher heran trat, nahm die Kraft des Windes ab. Denn sie stand nun im Windschatten eines großen, aufgeworfenen Erdhügels. Dieser war von den Bewohnern der Siedlung geschaffen worden. Nach der ersten Schneeschmelze. Als sie hier mit den Grabungen für eine neue Vorratshöhle begonnen hatten. Aus dem hohen, nun mit Schnee bedeckten Erdhügel, drang ein feiner Strahl schimmernden Lichtes aus dem Boden. Ganz leise hörte man ein hohes, summendes Geräusch aus dem Untergrund. Das Mädchen kniff die Augen zusammen und lauschte angestrengt. Obwohl es noch jung war, war sein Gehör schon jetzt ausgezeichnet. Es klingt wie ein aufgeregter, wütender Schwarm von Bienen, dachte das Kind. Doch anstatt nun endlich Angst zu bekommen und sich schnellstmöglich von diesem wunderlichen Ort zu entfernen, trat es nur noch näher heran. In mitten des Erdhügels war ein Tor eingelassen, das in den Boden führte. Ein Eingang, hinein in das Erdreich. Das Tor war seit jenem Tag geöffnet, wusste das Mädchen. Aber dennoch konnte sie zu ihrem tiefen Bedauern nicht hinein schauen. Denn seit dem verhängnisvollen Unglück hatten die Erwachsenen den offenen Eingang mit einer Mauer aus vielen schweren, lose aufgestellten Baumstämmen versperrt. Dennoch erhaschten ihre scharfen Augen immer wieder ein kurzes, rotes Aufleuchten dahinter. Das Mädchen trat noch etwas näher heran und lehnte sich nun sogar gegen die Holzstämme. Das rechte Auge geschlossen, spähte sie mit dem linken durch einen Spalt zwischen den unebenen Baumstämmen hindurch. Blutgeruch! Das Mädchen musste würgen und fürchtete schon sich übergeben zu müssen. Schnell griff sie in ihr Wams und zog einen großen Stängel Bitterkraut daraus hervor. Eilends stopfte sie sich die Heilpflanze in den Mund. Während sie hektisch darauf herumkaute überzog ein kalter, bitterer Geschmack ihre Zunge und vertrieb damit das Gefühl der Übelkeit. Das Mädchen hatte sich auf diesen unschönen Moment gut vorbereitet. Denn seit jenem schrecklichen Tag hatte sie jedes Mal, wenn sie hier in der Nähe vorbei gekommen war, einen Übelkeit erregenden Geruch wahrgenommen. Das geronnene, alte Blut derer, die damals hinein gegangen waren, erfüllte noch immer die abgestandene Luft dort unten. Seit damals war es auch strengstens verboten, sich dem nur notdürftig wieder verschlossenen Tor zu nähern. Es war das erste Mal gewesen, dass das Mädchen in NordcumMelan die Ausrufung eines Verbotes erlebt hatte. Und es galt auch für die Erwachsenen, vor allem aber für die Kinder. Doch das wunderschöne, geheimnisvolle rote Licht zog das Mädchen einfach unwiderstehlich an. Dazu die erschreckend aufregenden fremden Geräusche. Die Neugierde wurde ihr schier unerträglich. Sie merkte nicht einmal, wie ihre Füße langsam immer kälter wurden und sich ein Taubheitsgefühl hinauf in ihre Beine schlich. Was war das dort unten den bloß? „Ich möchte es sehen.“, murmelte sie leise vor sich hin. Doch die dicken Rindenreste